Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain (Schach)

Taktik-Training mit Schachkompositionen

von Ralf Binnewirtz

Cy­rus Lak­da­wa­la, US-ame­ri­ka­ni­scher Schach-IM und -Trai­ner mit in­di­schen Wur­zeln, ist in den letz­ten 10 Jah­ren vor al­lem als bie­nen­flei­ßi­ger Au­tor her­vor­ge­tre­ten. Rund 50 Bü­cher sind be­reits aus sei­ner Fe­der er­schie­nen. In sei­nem neu­es­ten Werk „Re­wire Your Ch­ess Brain“ über­rascht er uns mit ei­ner bis­lang we­nig be­ach­te­ten Trai­nings­me­tho­de zur Ver­bes­se­rung der tak­ti­schen Fer­tig­kei­ten, näm­lich dem Lö­sen von End­spiel­stu­di­en und Problemen.

Cyrus Lakdawala - Rewire your Chess Brain - Everyman ChessWäh­rend ers­te­re für den ge­nann­ten Zweck wohl weit­hin ak­zep­tiert sind, sol­len Pro­ble­me dies­be­züg­lich kaum ziel­füh­rend sein – so je­den­falls der mehr­heit­li­che Te­nor der Par­tie­spie­ler. Das Un­ter­fan­gen des Au­tors, auch das Schach­pro­blem aus sei­nem Schat­ten­da­sein der (schein­ba­ren) Nutz­lo­sig­keit zu be­frei­en, scheint mir in­des­sen geglückt.

Eine Lanze für das Kunstschach

Lak­da­wa­la, der seit je­her ein Fai­ble für das Kunst­schach hat, kann je­den­falls auf die po­si­ti­ven Er­fah­run­gen ver­wei­sen, die er als Trai­ner mit sei­nen Schü­lern ge­won­nen hat. In sei­ner Ein­füh­rung zum Buch ent­kräf­tet er zu­nächst die Ein­wän­de, die stan­dard­mä­ßig ge­gen Kom­po­si­tio­nen zum Zwe­cke des Schach­trai­nings vor­ge­bracht wer­den, und lis­tet auf vol­len drei Sei­ten auf, wel­che Vor­tei­le das Lö­sen von Stu­di­en und Pro­ble­men mit sich bringt.

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Wei­ter führt er aus, wie der Leser/Löser den größt­mög­li­chen Nut­zen aus sei­nem Buch zie­hen kann. So ist es kei­nes­wegs er­for­der­lich, bei kom­ple­xen Stu­di­en und Pro­ble­men jen­seits des Drei­zü­gers die ge­sam­te Lö­sung zu fin­den. Aus sei­ner Sicht ist es al­lein der men­ta­le Such­pro­zess, der – ge­mäß der Auf­for­de­rung des Buch­ti­tels – das Ge­hirn neu verkabelt!
Na­tür­lich soll sich der Le­ser je­weils die kom­plet­te Lö­sung mit ih­ren we­sent­li­chen Mo­ti­ven und Va­ri­an­ten ge­nau an­se­hen, um den krea­ti­ven Ideen der Kom­po­nis­ten nach­zu­spü­ren, um die Fä­hig­kei­ten der Vi­sua­li­sie­rung aus­zu­bau­en und ein­ge­fah­re­ne Denk­mus­ter ab­zu­strei­fen, um letzt­lich das Un­kon­ven­tio­nel­le, Über­ra­schen­de und un­er­war­tet Schwie­ri­ge zum neu­en Stan­dard der ei­ge­nen Denk­pro­zes­se am Brett wer­den zu lassen.

Zauberhafte Endspielstudien

Schach-Mansube 10. Jahrhundert - Matt in 3 Zügen - 1. Th7 - Glarean Magazin
Ara­bi­sche Schach-Man­su­be aus dem 10. Jahr­hun­dert: Matt in 3 Zü­gen 1. Th7+ Sxh7 2. Sc3 Tg1+ 3. Sd1 Txd1#

Ein ers­tes kür­ze­res Ka­pi­tel „Old School“ zeigt Stu­di­en und Pro­ble­me aus al­ter Zeit, die für den Lö­ser ein­fa­cher zu be­wäl­ti­gen sind als die Auf­ga­ben der fol­gen­den Ka­pi­tel. Die­se als Man­suben be­kann­ten Stü­cke (von Al Adli, Sal­vio, Gre­co, Stamma, Er­co­le del Rio u.a.) die­nen vor­nehm­lich der Ein­stim­mung und Aufwärmung.
Ernst wird es in den bei­den an­schlie­ßen­den Ka­pi­teln mit Re­mis- bzw. Ge­winn­stu­di­en, die ge­mein­sam gut 240 Sei­ten um­fas­sen. Die Stu­di­en (glei­ches gilt für die spä­ter be­han­del­ten Matt­pro­ble­me) sind chro­no­lo­gisch an­ge­ord­net, wei­te­re Ein­ord­nun­gen wie nach the­ma­ti­schen Ge­sichts­punk­ten oder nach Schwie­rig­keits­grad wur­den aber nicht vorgenommen.

Probeseite aus Cyrus Lakdawala: Rewire Your Chess Brain
Pro­be­sei­te aus Cy­rus Lak­da­wa­la: Re­wire Your Ch­ess Brain

Die Lö­sun­gen wer­den je­weils im An­schluss an das Auf­ga­ben­dia­gramm prä­sen­tiert, wo­bei die Lö­sungs­be­spre­chung 1 bis 4 Sei­ten um­fas­sen kann. In Ab­hän­gig­keit von Län­ge und Kom­ple­xi­tät der Lö­sung sind ggf. wei­te­re Dia­gram­me ge­setzt wor­den, da­mit sich die Lö­sun­gen „vom Blatt“ nach­voll­zie­hen las­sen. Auch sind an kri­ti­schen Stel­len häu­fig Übungs­auf­ga­ben („Exer­ci­s­es“) ein­ge­streut, die den Le­ser nach der wei­te­ren Vor­ge­hens­wei­se be­fra­gen oder meh­re­re plau­si­ble Mög­lich­kei­ten zur Aus­wahl stellen.

Un­ter den Kom­po­nis­ten fin­det sich prak­tisch al­les, was in den letz­ten gut 150 Jah­ren Rang und Na­men hat(te), von den be­kann­ten Klas­si­kern bis zu den Grö­ßen der Ge­gen­wart wie Oleg Per­va­kov, Mar­tin Min­ski und Stef­fen Slums­trup Niel­sen, der auch ein Vor­wort zum Buch beisteuerte.
Ei­ni­ge Re­mis- und Ge­winn­stu­di­en sind in der Le­se­pro­be ab Page 54 zu fin­den – gön­nen Sie sich eine Kostprobe!

Unerschöpfliche, rätselhafte Problemwelt

Cyrus Lakdawala - Schach-IM - Schachautor - Glarean Magazin
In­ter­na­tio­na­ler Meis­ter und Au­tor zahl­rei­cher Schach-Lehr­bü­cher: Cy­rus Lakdawala

Die nächs­ten ca. 200 Buch­sei­ten wer­den be­legt von (or­tho­do­xen) Matt­pro­ble­men, die uns, nach an­stei­gen­der Zü­ge­zahl grup­piert, in se­pa­ra­ten Ka­pi­teln be­geg­nen: aus­ge­hend von (we­ni­gen) ein­zü­gi­gen Pro­ble­men über Zwei­zü­ger, Drei­zü­ger bis hin zu Vier- und Mehr­zü­gern. Ein wei­te­res Ka­pi­tel „Unch­ess“ ver­sam­melt schließ­lich eine Rei­he von au­ßer­ge­wöhn­li­chen, bi­zar­ren oder gro­tesk an­mu­ten­den Auf­ga­ben. Die Zwei­zü­ger neh­men in­so­fern eine Son­der­stel­lung ein, als sie von den Le­sern wohl noch am ehes­ten zum Sel­ber­lö­sen in Be­tracht ge­zo­gen wer­den (so die Er­war­tung des Au­tors), winkt hier doch ein ver­gleichs­wei­se schnel­les und be­frie­di­gen­des Löseerlebnis.

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Das bei den Stu­di­en Ge­sag­te trifft auch für die Pro­ble­me zu, nur die Lö­sungs­be­spre­chun­gen sind hier im Schnitt kür­zer. Wie zu er­war­ten, sind die frü­hen ame­ri­ka­ni­schen Ko­ry­phä­en des Pro­blem­schachs, Sam Loyd und W. A. Shink­man, viel­fach ver­tre­ten, über­ra­schen­der­wei­se noch häu­fi­ger tritt je­doch der deut­sche „Rät­sel­on­kel“ Fritz Gie­gold in Er­schei­nung (des­sen zwei­ter Vor­na­me Emil ku­rio­ser­wei­se stän­dig mit­ge­führt wird). Of­fen­bar schätzt Lak­da­wa­la Pro­ble­me mit star­kem Rät­sel­cha­rak­ter, wo auf den ers­ten Blick mys­te­riö­se Schlüs­sel­zü­ge, un­er­war­te­te Wen­dun­gen und ori­gi­nel­le Poin­ten das Ge­sche­hen do­mi­nie­ren. Die Par­tie­spie­ler wer­den es frag­los po­si­tiv auf­neh­men, dass der Au­tor den mehr­heit­lich un­be­lieb­ten Pro­blem­jar­gon auf ein er­träg­li­ches Mi­ni­mum be­schränkt hat.

In den Dia­gramm­über­schrif­ten (An­ga­ben zu Au­tor, Quel­le, etc.) stößt man ge­le­gent­lich auf feh­ler­haf­te bzw. feh­len­de An­ga­ben („Unknown source“), die meist mit ge­rin­gem Auf­wand hät­ten korrigiert/ergänzt wer­den kön­nen. Auch wenn dies für das vor­ge­se­he­ne Trai­nings­pro­gramm un­er­heb­lich er­schei­nen mag, hät­te ich mir an die­ser Stel­le eine pro­fun­de­re Ar­beit des Au­tors ge­wünscht.1)

Nun war­tet ein we­nig Denk­sport auf Sie: nach­ste­hend zwei Pro­ble­me aus dem Buch, die Ih­nen hof­fent­lich zu­sa­gen (Maus­klick auf ei­nen Zug oder eine Va­ri­an­te öff­net ein Ana­ly­se-Fens­ter / A mou­se click on a move or line opens an ana­ly­sis window):




Das fol­gen­de klei­ne Ve­xier­stück aus dem „Unchess“-Kapitel wer­den Sie si­cher­lich selbst lö­sen wol­len, die Stel­lung mit der kom­plet­ten schwar­zen „Homebase“-Position ist ja durch­aus ein­la­dend. Zur Er­in­ne­rung: Im Hilfs­matt zieht Schwarz an und bei­de Par­tei­en ko­ope­rie­ren, um das ge­mein­sa­me Ziel – das Matt des schwar­zen Kö­nigs – in der ge­for­der­ten Zü­ge­zahl zu erreichen.


Adäquate Zugaben

Zum Ende des Buchs fin­den sich zwei kur­ze Ka­pi­tel: „Life si­mu­la­tes Art“ zeigt er­staun­li­che Frag­men­te von Tur­nier­par­tien, die kom­po­nier­ten Stu­di­en na­he­kom­men, und in „The Wun­der­kind“ stellt der Au­tors ei­nen sei­ner Schü­ler vor, den 13-jäh­ri­gen IM Chris­to­pher Yoo, der auch ein be­gab­ter Stu­di­en­kom­po­nist ist: fünf sei­ner Stu­di­en, dar­un­ter zwei Ur­dru­cke, gibt es zu be­wun­dern. Ein In­dex der Kom­po­nis­ten und Spie­ler be­schließt das Werk.

Lehrreich – unterhaltsam – lesefreundlich

Lak­da­wa­la hat mit sei­ner neu­en Pu­bli­ka­ti­on nicht nur eine vor­treff­li­che Ein­füh­rung in das Kunst­schach vor­ge­legt. Er pro­pa­giert da­mit auch eine wir­kungs­vol­le Me­tho­de für das häus­li­che Tak­tik-Trai­ning, die für den Kampf am Brett eine ver­bes­ser­te Vi­sua­li­sie­rung ver­bor­ge­ner Mög­lich­kei­ten, eine er­wei­ter­te Mus­ter­er­ken­nung im Hin­blick auf Ge­winn- und Matt­füh­run­gen, aber auch auf ver­steck­te Ver­tei­di­gungs­res­sour­cen verspricht.

Cyrus Lakdawala - Rewire Your Chess Brain - Inhaltsverzeichnis Everyman Chess - Schach-Rezensionen Glarean Magazin
Das In­halts­ver­zeich­nis von „Re­wire Your Ch­ess Brain“

Ins­be­son­de­re Lak­da­wa­las an­re­gen­der Stil und dif­fe­ren­zier­te Dik­ti­on ver­die­nen eine „eh­ren­de Er­wäh­nung“ (um im Pro­blem­jar­gon zu blei­ben). Sei­ne va­ria­ble und geist­reich-wit­zi­ge, in ih­rer Art un­nach­ahm­li­che Kom­men­tie­rung macht die Lek­tü­re zu ei­nem Ver­gnü­gen, ge­le­gent­li­che Zi­ta­te aus Li­te­ra­tur und Film, von Pro­blem­freun­den oder aus sei­ner Face­book-Grup­pe ver­lei­hen zu­sätz­li­che Wür­ze. Und sein Schreib­ta­lent be­fä­higt ihn, sei­nen Le­sern auch kom­ple­xe Auf­ga­ben im lo­cke­ren Un­ter­hal­tungs­mo­dus na­he­zu­brin­gen. Die Lö­sungs­be­spre­chun­gen, die auf An­fän­ger ohne Vor­kennt­nis­se im Pro­blem­schach zu­ge­schnit­ten sind, könn­ten in ih­rer Aus­führ­lich­keit un­über­trof­fen sein. Dazu ver­leiht ein groß­zü­gi­ges, über­sicht­li­ches Lay­out bes­te Lesefreundlichkeit.

Übungsbuch mit Unterhaltungswert

Ins­ge­samt ist dies ein Lehr-, Lese- und Übungs­buch von ho­hem Un­ter­hal­tungs­wert, mit ei­ner Aus­wahl von ins­ge­samt 326 meist hoch­klas­si­gen und häu­fig dif­fi­zi­len Auf­ga­ben. Die oben er­wähn­ten klei­nen Schwä­chen könn­ten in ei­ner zwei­ten Auf­la­ge leicht aus­ge­räumt wer­den. Da­her eine nach­drück­li­che Emp­feh­lung mei­ner­seits: Neh­men Sie die Her­aus­for­de­rung an und ver­drah­ten Sie Ihre klei­nen grau­en Zel­len neu – Sie wer­den es nicht bereuen!

1)Of­fen­bar hat sich der Au­tor we­der der ver­füg­ba­ren Pro­blem­da­ten­ban­ken be­dient (wie der Schwal­be-PDB, der YACPDB  oder der Al­brecht-Samm­lung ) noch der ein­schlä­gi­gen deut­schen Pro­blem­li­te­ra­tur: Sei­ne „Bi­blio­gra­phy“ (S. 5) ver­zeich­net nur eng­lisch­spra­chi­ge Titel.

Ich habe eine (si­cher­lich noch un­voll­stän­di­ge) Er­ra­ta-Lis­te zu den Pro­ble­men er­stellt, da­bei le­dig­lich An­ga­ben ge­prüft, die mir su­spekt er­schie­nen oder of­fen­sicht­lich lü­cken­haft sind. ♦

Cy­rus Lak­da­wa­la: Re­wire Your Ch­ess Brain – End­ga­me Stu­dies and Ma­ting Pro­blems to Enhan­ce Your Ta­c­ti­cal Abili­ty, 528 Sei­ten, Ever­y­man Ch­ess, ISBN 978-1-78194-569-8

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Schach­pro­ble­me auch über das „Schach-Pro­blem“ Heft Num­mer 4-2018 von Chessbase

… so­wie über ein wei­te­res Lehr­buch des Schach-Au­toren Cy­rus Lak­da­wa­la: Win­ning Ugly in Chess


2 Kommentare

  1. Thank you very much for this ex­ten­si­ve and de­tail­ed re­view. It gi­ves a very good over­view of the book. Good work, Mr. Binnewirtz.
    Gree­tings from Chi­ca­go: Ches­ter Thomas

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