Chessbase: “Schach-Problem” Heft Nummer 4-2018

Taktik aus der Praxis für die Praxis

von Ralf Binnewirtz

Schach-Pro­blem” befasst sich nicht etwa ‒ wie es der Titel im ers­ten Moment sug­ge­rie­ren könnte ‒ mit Schach­pro­ble­men, wie sie aus dem Bereich des Kunst­schachs bekannt sind. Viel­mehr wid­met sich die­ses Peri­odi­kum, das erst­mals 2016 her­aus­kam und vier­mal jähr­lich erscheint, aus­schliess­lich dem tak­ti­schen Trai­ning für den Kampf am Brett, und es rich­tet sich nach Aus­sage des Redak­teurs Mar­tin Fischer vor­nehm­lich an Hob­by­spie­ler, die (noch) kei­nem Ver­ein bei­getre­ten sind. Die Leser wer­den im aktu­el­len Heft 4/2018 mit 134 Auf­ga­ben tak­ti­scher Prä­gung kon­fron­tiert, die in Dia­gramm­form prä­sen­tiert wer­den und die es zu lösen gilt, selbst­re­dend ohne Unter­stüt­zung des all­ge­gen­wär­ti­gen Rechen­knechts. Sämt­li­che Lösun­gen fin­den sich in Kurz­no­ta­tion (ohne ver­bale Kom­men­tie­rung) am Ende des Büch­leins. Doch gehen wir die vier Kapi­tel der Bro­schüre nach­ein­an­der durch.

100 Aufgaben Bundesliga 2017/2018

Chessbase Schach-Problem Heft Nummer 4 - Taktik-Aufgaben - Glarean MagazinNach Vor­wort und Erläu­te­rung der Schach­no­ta­tion geht es direkt in medias res: Sind die ers­ten Auf­ga­ben noch sehr leicht lös­bar und auch für Ein­stei­ger zu bewäl­ti­gen, so steigt die Schwie­rig­keit all­mäh­lich deut­lich an. Dem­zu­folge ist den Auf­ga­ben ein Schwie­rig­keits­grad von Stufe 1 bis 5 zuge­ord­net, der auf dem Tak­tik-Ser­ver von Chess­Base ermit­telt wurde. Die auf­tre­ten­den tak­ti­schen Motive sind breit gestreut und vari­ie­ren ständig.
Die ers­ten ca. 42 Auf­ga­ben, die über­wie­gend unter Stufe 1 und 2 ran­gie­ren (hier sind auch schon mal ein­zelne Stufe 3-Auf­ga­ben ein­ge­fügt), soll­ten von einem durch­schnitt­li­chen Hob­by­spie­ler ohne grosse Pro­bleme zu lösen sein. Bei den Auf­ga­ben der Stu­fen 3 bis 5 wird es kniff­li­ger, und es wird vom schach­li­chen Ent­wick­lungs­stand des Spie­lers abhän­gen, wie weit er mit­hal­ten kann. Ich gebe nach­ste­hend zwei Auf­ga­ben der Stufe 3 bzw. 5 aus dem Buch, damit sich die Leser einen Ein­druck ver­schaf­fen kön­nen. (Die Lösun­gen fin­den sich am Ende die­ses Beitrags).

Auf­gabe 29 (Schwie­rig­keits­grad Stufe 3)

Weiss am Zug

Bartel, M. ‒ Kem­pinski, R.
(USV Dres­den ‒ Ham­bur­ger SK)

Auf­gabe 100 (Schwie­rig­keits­grad Stufe 5)

Weiss am Zug

Lind­gren, P. ‒ Braun, A.
(FC Bay­ern ‒ SV Hockenheim)

Taktik-Schule: Der Doppelangriff

Die­ser Abschnitt kon­zen­triert sich auf ein ein­zel­nes tak­ti­sches Motiv, im aktu­el­len Heft ist der Dop­pel­an­griff an der Reihe. Einer 1-sei­ti­gen Ein­füh­rung mit vier erläu­ter­ten Bei­spiel­auf­ga­ben fol­gen 10 Auf­ga­ben zum Lösen (ohne eine Ein­stu­fung hin­sicht­lich der Schwie­rig­keit). Aus eige­nen Löse­ver­su­chen darf ich wohl ablei­ten, dass Hob­by­spie­ler hier kei­nes­wegs chan­cen­los sind. Ein Bei­spiel zur Illustration:

Auf­gabe 108

Weiss am Zug

Mar­tin, J. ‒ Hoff­mann, P.
(OSG Baden ‒ USV Dresden)

Weltmeisterlich kombinieren mit Botvinnik

Hier möchte ich vorab bemer­ken, dass mir in deut­schen Büchern die eng­li­sche Tran­skrip­tion von Eigen­na­men aus kyril­li­scher Schrift gene­rell nicht zusagt. Für die meis­ten Leser mag die­ser Punkt nicht von Belang sein, aber sie soll­ten zumin­dest wis­sen, dass in “Schach-Pro­blem” durch­weg die FIDE-Tran­skrip­tion (oder eng­li­sche Tran­skrip­tion) ver­wen­det und z.B. Bot­vin­nik mit “v” statt mit “w” geschrie­ben wird. Offen­bar ist dies eine Folge der Über­tra­gung von Namen aus Chess­Base-Daten­ban­ken ohne nach­träg­li­che Anpassung.

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Der Abschnitt wird ein­ge­lei­tet durch eine kurze Bio­gra­fie des rus­si­schen Patri­ar­chen und Welt­meis­ters (von 1948-57, 1958-60 und 1961-63) inklu­sive Foto. (In den vor­her­ge­hen­den Hef­ten wur­den andere Welt­meis­ter beleuch­tet.) Es ist jeden­falls löb­lich, dass in einem Maga­zin die­ser Aus­rich­tung auch schach­his­to­ri­sche Inhalte Ein­gang fin­den. Von den zehn fol­gen­den Knack­nüs­sen auf welt­meis­ter­li­chem Niveau soll­ten sich die Löser nicht zu sehr abschre­cken las­sen, es gibt auch hier Auf­ga­ben, deren tak­ti­scher Ideen­ge­halt für einen ver­sier­ten Hob­by­spie­ler auf­zu­drö­seln ist. Und bis­wei­len sogar ein­zü­gige Gewinne, wie in der fol­gen­den Aufgabe:

Auf­gabe 114

Schwarz am Zug

Uhl­mann, W. ‒ Bot­vin­nik, M.
(Mün­chen Olym­piade 1958)

Der Ernstfall am Brett

Die letz­ten 14 Auf­ga­ben sind Par­tien zwi­schen Profi und Ama­teur ent­nom­men, die eben­falls in der Schach­bun­des­liga gespielt ‒ und in der Hitze des Gefechts nicht immer kor­rekt fort­ge­setzt wur­den. Erschwe­rend für den Löser wirkt sich aus, dass er nicht weiss, wonach er zu suchen hat: die durch­schla­gende Gewinn­kom­bi­na­tion, die kor­rekte sub­tile Ver­tei­di­gung, die Ret­tung aus kri­ti­scher Lage, es kann alles erdenk­lich Mög­li­che vor­kom­men. Ledig­lich die letzte Auf­gabe 134 (s.u.) dürfte in Sekun­den­schnelle zu lösen sein (daher ver­zichte ich auf eine Lösungsangabe).

Auf­gabe 134

Schwarz am Zug

Han­sen, S. ‒ Bok, B.
(Ham­bur­ger SKSG Solingen)

Faktoren des Erfolgs

Die Frage drängt sich unwill­kür­lich auf, ob ein neues Peri­odi­kum zum Thema Tak­tik noch benö­tigt wird, wo doch bereits zahl­rei­che Bücher zum glei­chen Thema am Markt erhält­lich sind, zudem sich die Mög­lich­kei­ten des Tak­tik-Trai­nings im Web noch hin­zu­ge­sel­len. Chess­Base weist selbst auf sei­nen Tak­tik-Ser­ver hin mit einem rie­si­gen Bestand von 50.000 Schach­auf­ga­ben online, der zur all­ge­mei­nen Nut­zung zur Ver­fü­gung steht. Des Wei­te­ren ent­hal­ten die gän­gi­gen Schach­zeit­schrif­ten in der Regel Tak­tik-Rubri­ken, und die aktu­elle Tur­nier­be­richt­erstat­tung (in Print­me­dien und im Web) bie­tet stän­dig wei­te­res Anschau­ungs- und Übungs­ma­te­rial. Für den de facto beacht­li­chen Erfolg von “Schach-Pro­blem” sind offen­bar die fol­gen­den Fak­ten und Fak­to­ren verantwortlich:
Das Maga­zin erscheint im hand­li­chen A5-For­mat und ist infolge kräf­ti­ger Kar­ton-Deckel rela­tiv robust aus­ge­stat­tet. Das Lay­out ist über­sicht­lich und die Dia­gramme, die die Auf­ga­ben­stel­lung stets aus der Sicht des am Zug befind­li­chen Spie­lers zei­gen, sind von nahezu rekord­ver­däch­ti­ger Grösse, somit nur zwei auf einer Seite plat­zier­bar. Damit dürf­ten auch Seh­be­hin­derte von der guten Erkenn­bar­keit der Stel­lun­gen ange­tan sein, und gene­rell sollte der Leser sich ani­miert füh­len, direkt vom Blatt zu lösen. All dies macht das Heft beson­ders geeig­net für Zug- und Flug­rei­sende, die auf län­ge­ren Stre­cken das Ange­nehme = Unter­hal­tung mit dem Nütz­li­chen = schach­li­cher Wei­ter­ent­wick­lung ver­knüp­fen möchten.

Freude an erfolgreichen Löseerlebnissen

FAZIT: Das noch junge Peri­odi­kum von Chess­base: “Schach-Pro­blem” prä­sen­tiert in der aktu­el­len Aus­gabe 4/2018 eine gelun­gene Mischung von 134 tak­ti­schen Denk­sport­auf­ga­ben zum selbst­stän­di­gen Lösen, die mit einer wei­ten Spanne im Schwie­rig­keits­grad ein­her­geht. Die aus Daten­ban­ken extra­hier­ten Auf­ga­ben ent­stam­men weit­hin der letz­ten Deut­schen Bun­des­liga-Sai­son, abge­se­hen von einem durch­aus inter­es­san­ten Aus­flug in die Bot­win­nik-Ära. Das zen­trale Kapi­tel “100 Auf­ga­ben Bun­des­liga 2017/18” wird aus­ser­dem sinn­voll ergänzt von den Abschnit­ten “Tak­tik-Schule: Der Dop­pel­an­griff” und “Der Ernst­fall am Brett …”. Das Maga­zin schlägt eine Brü­cke zwi­schen alt­be­währ­ten Tak­tik-Klas­si­kern und anspruchs­vol­len Wer­ken der Moderne, und das Preis-Leis­tungs­ver­hält­nis erscheint ausgewogen.

Der Käu­fer­gruppe längst zuge­hö­rig sind aber auch Ver­eins­spie­ler, die offen­bar zuneh­mend von der Freude an erfolg­rei­chen Löse­er­leb­nis­sen ange­trie­ben wer­den, sowie Trai­ner oder Übungs­lei­ter, die sich gern aus dem üppi­gen Fun­dus geeig­ne­ter Auf­ga­ben bedie­nen. Über­haupt mag das besagte Löse­er­leb­nis in Kom­bi­na­tion mit der the­ma­ti­schen Varia­bi­li­tät und der wech­seln­den Schwie­rig­keit der Auf­ga­ben für die schnell gewach­sene Beliebt­heit des Maga­zins bestim­mend gewe­sen sein.
Es kommt hinzu, dass mit die­sem Peri­odi­kum offen­bar eine Lücke geschlos­sen wurde, die sich zwi­schen den klas­si­schen Tak­tik-Lehr­bü­chern und den moder­nen, höchst anspruchs­vol­len Tak­tik-Wer­ken auf­ge­tan hatte (nach GM Kars­ten Mül­ler, zitiert von Ray­mund Stolze). Die­ser “Lücken­schluss” hat sich frag­los als ein geschick­ter mar­ke­ting­stra­te­gi­scher Schach­zug des Ver­lags erwiesen.
Viele wer­den schliess­lich einen wei­te­ren Plus­punkt darin sehen, dass das Gros der Auf­ga­ben aus Par­tien der jüngs­ten Ver­gan­gen­heit stammt. Zudem tref­fen Trai­nings­werke im Zeit­schrif­ten­for­mat gemein­hin auf eine grös­sere Akzep­tanz beim Publi­kum als umfäng­li­che Bücher, die einen auf­wän­di­ge­ren “Ver­dau­ungs­pro­zess” erfordern. ♦

Lösungen

Auf­gabe 29
26. Sc6 droht 27.Dh7+ Kf7 28.Lg6#, woge­gen das gesche­hene 26…Db5 nichts aus­rich­tet. Das Schla­gen des wS ver­liert indes auch schnell: 26…Lxc6 27.Dh7+ Kf7 28.Lg6+ Ke7 29.Lc5+ oder 26…Txc6 27.Dh7+ Kf7 28.Txd7+ Ke8 29.Lxc6 usw.
Die ers­ten bei­den Züge las­sen sich ver­tau­schen: 26.Dh7+ Kf7 27.Sc6 usw. mit glei­chem Ergebnis.

Auf­gabe 100
31. Dxh7+ Kxh7 3.Th4+ Kg8 33.Se4 f5 34.Sf6+ Kf7 35.Lh6 Sxe5 (35…Da3 36.Tb7+ +-) 36.dxe5 Txe5 37.Sxe5+ Kxf6 38.Lxf8 +-

Auf­gabe 108
66. e8D Txe8 67.Df7 (Dop­pel­dro­hung 68.Dh7#/Dxe8+) Te7 68.Df8+ Dg8 69.Dh6+ Th7 70.Dxd6 1-0

Auf­gabe 114
23… Df7 0-1 Der Dop­pel­an­griff auf f2 (mit Matt­dro­hung) und a2 gewinnt den wT.

Mar­tin Fischer (Hrsg): Schach-Pro­blem ‒ Die rät­sel­haf­ten Sei­ten von Fritz, Heft 4/2018, Chess­Base Ham­burg, 88 Sei­ten, ISBN 978-3-86681-680-0


Ralf Binnewirtz - Schach-Korrespondent - Mitarbeiter Glarean MagazinDr. Ralf J. Binnewirtz

Geb. 1951 in Kre­feld, Che­mi­ker im Ruhe­stand, lebt in Meerbusch/D, Schwer­punkte sei­ner Inter­es­sen sind Pro­blem­schach (“Schwalbe”-Mitglied seit 1987) und Schach­ge­schichte, seit 2006 bis 2018 frei­be­ruf­lich als Lek­tor für einen deut­schen Schach­ver­lag tätig

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Schach-Tak­tik auch über Wer­ner Kauf­mann: Berech­nung im Schach

… sowie zum Thema Pro­blem­schach über Cyrus Lak­da­wala: Rewire Your Chess Brain

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