Robert Seethaler: Der letzte Satz (Gustav-Mahler-Roman)

Operation gelungen, Patient gestorben

von Christian Busch

Mit ein we­nig Ver­wun­de­rung dürf­te die li­te­ra­ri­sche Welt auf­neh­men, dass der jüngst so er­folg­rei­che ös­ter­rei­chi­sche Schrift­stel­ler Ro­bert See­tha­ler sich in sei­nem neu­es­ten Werk, dem Ro­man „Der letz­te Satz“ mit den letz­ten Ta­gen Gus­tav Mahlers be­fasst. Ge­wiss, be­reits in bis­he­ri­gen Wer­ken be­weg­te See­tha­ler sich in der Zeit der Jahr­hun­dert­wen­de („Der Tra­fi­kant„) oder be­rühr­te die Mo­ti­ve Tod („Das Feld“) und Le­bens­bi­lanz („Ein gan­zes Le­ben“). Oder liegt es dar­an, dass über Gus­tav Mahler be­reits Ent­schei­den­des vor­liegt? Mahlers 160. Ge­burts­tag am 7. Juli dürf­te wohl eben­falls nicht der An­lass ge­we­sen sein. Viel eher scheint das In­ter­es­se an ei­ner über­ra­gen­den, doch zwie­späl­ti­gen Künst­ler­exis­tenz sein Mo­tiv ge­wor­den sein.

Robert Seethaler - Der letzte Satz - Roman über Gustav Mahler - Hanser VerlagWie steht der Künst­ler, der sich in sei­ner ei­ge­nen Welt sei­ner Kunst ver­schrie­ben hat, zum Le­ben, zur Na­tur und zu den Men­schen, die er liebt und doch gleich­sam ver­nach­läs­si­gen und ent­beh­ren muss – und das im An­ge­sicht des na­hen­den To­des? See­tha­lers Ro­man be­ginnt an Deck des von New York nach Eu­ro­pa keh­ren­den Schif­fes „Ame­ri­ka“, auf dem Gus­tav Mahler, von Krank­heit und To­des­ah­nung ge­zeich­net, sei­ne letz­te Rei­se an­tritt. Dort er­le­ben wir ihn im Ge­spräch mit dem re­spekt­vol­len, aber mit­leid­lo­sen Schiffs­jun­gen, meist aber – mit Blick auf das end­los of­fe­ne Meer – al­lein in sei­nen Ge­dan­ken und Er­in­ne­run­gen, die um sei­ne letz­ten Er­fol­ge in Mün­chen krei­sen, sei­ne bahn­bre­chen­de Um­ge­stal­tung des Wie­ner Opern- und Mu­sik­le­bens, den Som­mer in den Ber­gen, den Tod sei­ner Toch­ter Ma­rie und na­tür­lich um sei­ne ge­lieb­te Frau Alma, die er schon ver­lo­ren hat.

Fehlende Tiefenschärfe

Gustav und Alma Mahler - Amerika-Reise 1911 - Schiff S.S. Amerika - Glarean Magazin
Gus­tav und Alma Mahler (rechts) auf ih­rer Schiffs­rei­se im April 1911 nach Amerika

Das scheint ins­ge­samt durch­aus stim­mig und fügt sich zu ei­nem ge­schlos­se­nen Bild, wird aber we­der den Mahler-Lieb­ha­ber noch den an der Künst­ler­exis­tenz an sich in­ter­es­sier­ten Le­ser zu­frie­den stel­len. Denn es fehlt dem 125 Sei­ten lan­gen Skript an Um­fang und Tie­fen­schär­fe, so dass man al­len­falls von ei­ner No­vel­le spre­chen kann, die schein­bar viel­deu­tig – mit Blick auf Mahlers Neun­te Sin­fo­nie – auf den „letz­ten Satz“ hin­steu­ert, am Ende aber recht ein­di­men­sio­nal in sich zu­sam­men­fällt. See­tha­lers Spra­che ist da­bei frag­los kunst­voll und be­däch­tig, aber doch auch im­pres­sio­nis­tisch ge­glät­tet mit Ober­flä­chen­spie­ge­lung, dra­ma­ti­sche Aus­brü­che aus­schlies­send, letzt­lich teilnahmslos.
Dass da­bei Mahler aus der per­so­na­len Er­zähl­per­spek­ti­ve dar­ge­stellt wird, ist zu­nächst als Aus­druck des Re­spek­tes an­ge­mes­sen. Doch die­ser Re­spekt er­weist sich im Ver­lauf der Er­zäh­lung als hohl und auf­ge­setzt. Auch der Schiffs­jun­ge ist eben nur ein ge­wöhn­li­cher Schiffs­jun­ge, der nie auch nur ei­nen Ton Mahler­scher Mu­sik ver­nom­men hat und ver­neh­men wird. Er wird le­dig­lich ar­tig be­dau­ern, dass die Mu­sik des gros­sen Man­nes, die er sich als et­was „Gros­ses, Un­be­re­chen­ba­res“ vor­stellt, ver­lo­ren ist. War­um be­hält er das letz­te Wort? Der Igno­ranz das Wort?

Musiker-Roman ohne Musik

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Da­mit er­weist See­tha­ler der Kunst und dem Künst­ler ei­nen Bä­ren­dienst. Wo­mit wir beim gröss­ten, un­ver­zeih­li­chen Ver­säum­nis des Skripts sind: Mahlers Werk. Es bleibt völ­lig aus­ge­spart, von ein paar Vö­geln, die Mahler in­spi­riert ha­ben, so­wie ei­nem Faust-Zi­tat ab­ge­se­hen. Wie kann man ei­nen Künst­ler qua­si ohne sein Werk dar­stel­len? Wie kann man Mahlers letz­te Rei­se fas­sen, ohne etwa sei­ne letz­te Sym­pho­nie in Be­tracht zu zie­hen? Denn so bleibt See­tha­lers No­vel­le eben nur die letz­te Rei­se ei­nes kran­ken Man­nes, der ger­ne noch ein we­nig län­ger ge­lebt hät­te. Das ist banal.
An die­ser Stel­le bleibt nur der Hin­weis auf Guy Wag­ners deut­lich um­fang­rei­che­ren, viel­schich­ti­ge­ren und akri­bisch re­cher­chier­ten Ro­man mit Do­ku­men­ten-Col­la­ge Die Heim­kehr – Vom Ster­ben und Le­ben des Gus­tav Mahler.

Fa­zit: Ope­ra­ti­on ge­lun­gen, Pa­ti­ent tot. Ro­bert See­tha­ler hat sich in sei­nem neu­en Werk sicht­bar ver­ho­ben, in­dem er – al­len er­zäh­le­ri­schen Fä­hig­kei­ten zum Trotz – den gros­sen Kom­po­nis­ten, Di­ri­gen­ten und Opern­re­gis­seur Gus­tav Mahler fern­ab sei­ner Mu­sik und ge­stal­te­ri­schen Ab­sich­ten dar­ge­stellt hat. Er öff­net da­her nicht den Zu­gang zu ihm, son­dern ver­schliesst ihn. Schade. ♦

Ro­bert See­tha­ler: Der letz­te Satz – Ro­man, Han­ser Ver­lag, 124 Sei­ten, ISBN 978 3 446 26788 6

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Gus­tav Mahler auch über die Ers­te Sin­fo­nie („Der Titan“)

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