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“Mir gefällt gar nicht, was gerade hier los ist”
(Lucy zu Tante Kay, Seite 200)
von Isabelle Klein
Kay Scarpetta hat es auch diesmal wieder einmal höchst privat getroffen. In ihrem mittlerweile 24. Fall lässt Cornwell Kay in der Hitze Cambridges bis zum Umfallen schuften. Doch in gewohnter Scarpetta-Manier schlägt sie sich tapfer und kämpft an vielen Fronten…
An einem glühend heissen Nachmittag ist Kay unterwegs, um letzte Erledigungen für den anstehenden Besuch ihrer heissgeliebten Schwester Dorothy zu tätigen, als sie einmal mehr zur Zielscheibe ihres derzeitigen Stalkers “Tail-end Charlie” – warum nur muss man hier auch in der Übersetzung immer mit Anglizismen arbeiten?! – wird, der wiederum Marino auf den Plan ruft. Und schon sind wir einmal mehr in der höchst kruden und unüberschaubar bösen Welt, die Kay und ihre Lieben umgibt. Marino ist wie so oft von unguten Gefühlen getrieben, während seine Ex-Chefin sinniert: Über das Marihuanablatt-Tattoo ihres Büroleiters Bryce, über den bevorstehenden Vortrag in Harvard mit ihrem Mentor Briggs, über den gefürchteten Besuch der herzallerliebsten Schwester – als einmal mehr ein Leichenfund das rare Privatleben stört, gerade als Kay sich mit ihrem Gatten zum Essen auf dem Campus trifft. Selbstverständlich mischt zugleich das FBI mit und Benton entschwindet… Nicht zu vergessen selbstverständlich die immer Böses witternde, phobische Super-Lucy, die nun auch die am Flughafen weilende Dorothy unter ihre Fittiche nehmen muss.
Wir merken es schon haarscharf im ersten Drittel: Frau Cornwell lässt Scarpetta wieder einmal viel zu viel sinnieren und schwadronieren; dermassen raumgreifende Redundanz lässt den Leser gerne die Leselust verlieren…
Hinter allem besteht ein Zusammenhang…
Von vornherein ist allen Beteiligten mehr als glasklar: Hinter allem besteht ein Zusammenhang, denn neben der Leiche einer jungen Frau namens Elisa Vandersteel mit merkwürdigen Verletzungen, die von einem Blitzschlag herzurühren scheinen, wird auch Briggs nicht unbeschadet aus diesem Drama hervorgehen. Es kann nur eine Verantwortliche geben, wissen Benton und Lucy sofort. Et voilà: Vorhang auf für Carrie Grethen, die uns seit der “Toten ohne Namen” und schon lange zuvor als Lucys Geliebte und FBI-Ausbilderin das Leben zur Hölle machte. Steckt sie hinter den Mobbing-Attacken auf Kay? Hat Benton recht, wenn er Kay mit nach Maryland nehmen möchte, da er Kay in höchster Gefahr sieht? Neben Marinos Panikmache und Lucys Endzeitstimmung hat Kay nun auch noch mit einem überfürsorglichen Ehemann zu kämpfen…
Dekadente Luxusteilchen des Lebens
Fragen über Fragen, die Cornwell in ihrer “Alles-hängt-mit-allem-zusammen-und-Kay-steht-immer-im-Zentrum-des-Bösen”-Masche derart unglaubwürdig (über)konstruiert, dass einem von Anfang an die Haare zu Berge stehen. Kay sinniert seitenweise über das intellektuelle Harvard der upper class, über teure Luxuskarossen – all das ist sinnbildlich für Cornwells Aufstieg von der Gerichtsreporterin zur Schriftstellerin und ihren Erfolg zu sehen. Scarpetta und Lucy sind wohl ein Mischung aus Marcella Fierro (die Leiterin der Gerichtsmedizin des Staates Virginia, von der Cornwell vieles gelernt hat) und Cornwell höchstselbst.
Erfolg ist eine schöne Sache, aber ermüdend, wenn man als Leser seit nunmehr weit über 15 Jahren all die kleinen dekadenten Luxusteilchen ihres Lebens in jedem Detail miterleben muss. Ergo: Seit nunmehr weit über 14 Bänden überwiegt die Zahlen der schlechten Bücher, die auf krude Weise redundant sind und sich zunehmend in den Phobien der Beteiligten, allen voran in jenen Miss Superwomans Lucy’s, verlieren. Wahrhaft geniale Bücher der Scarpetta-Reihe findet man wenige, nur sieben. Seit dem Tod Bentons und seiner Wiederauferstehung befinden wir uns an einem Punkt, ab dem normales Ermitteln in gut konstruierten und vor allem glaubhaften Zusammenhängen nicht mehr möglich scheint, denn immer wieder nehmen Psychopathen oder alte Bekannte das Quartett in den permanenten Fokus ihrer Bösartigkeiten. Dem Cornwell’schen Mikrokosmos des CFC fehlt es an jedweder Plausibilität, an inhaltlicher Raffinesse und einem Spannungsbogen, eben an alledem, was einen Thriller ausmacht.
Langeweile bei Tatort-Sicherungen

Dabei hilft auch diesmal wieder (wie in allem ihrer Bücher der letzten Jahre) der eng gesteckte Zeitrahmen. Gerade mal 24 Stunden hat Kay, um das Ableben Elisa Vandersteels aufzuklären. Und sie wird dabei nicht müde, uns immer wieder darauf hinzuweisen, dass alles, jedes Wort doppelt und dreifach überlegt werden müsse, denn jede Aussage könne ins Gegenteil verkehrt werden. Und so vergeht, während Kay den Tatort aufsucht, bis zu dem Zeitpunkt, als die Leiche im CFC landet, eine ganze Nacht, während der genervte und gelangweilte Leser verfolgen muss, wie Harold und Rusty in jeder Einzelheit den Tatort sichern.
Wenn Cornwell mit ihrem Wissen brillieren will, soll sie ein Sachbuch über Forensik und die Schwierigkeiten der Tatortsicherung schreiben, aber uns damit verschonen, wie endlos Zeit ins Land geht – und wir unterdessen mit Akronymen (BUD, NCFC, ORNL,RFID, AFSME etc.) und schlechten Metaphern zugemüllt werden.
Akronyme und schlechte Metaphern
Beispiel gefällig? “Seelische Verletzungen können zu Rissen führen, die wie Kratzer auf einer DVD manchmal irreparabel sind” (S. 207). Oder: “Verwesungsgeruch blüht in unseren Nasenlöchern wie eine dunkle tödliche Blume” (S. 380).
Beinahe hätte ich es vergessen: Immerhin hat Cornwell diesmal ihre Tendenz zu Schleichwerbung für Apple, Ferrari, Audi und Co. ein wenig gedrosselt, aber an anderer Stelle noch gesteigert. So lautet der Name ihres Zweithundes allen Ernstes “Tesla”…. Schön, dass sie uns durch Lucy, Benton und Kay zeigt, was sie alles erreicht hat, und wie wichtig ihr Status durch eben diese Symbole zu sein scheint. Mich ermüdet, verärgert es. Wir werden neben ihrer Keurig-Kaffemaschine und Bentons Audi auch die Landseer-Bilder in ihrem Büro kennenlernen und erfahren minutiös viele banale Handlungsabläufe (etwa wie sie im Büro über den Teppich läuft oder die Wand mit Bildern passiert usw.).
Literarischer Niedergang einer Kult-Reihe

Längst vergangen sind die Zeiten einer spannenden Scarpetta-Lektüre, als die Atmosphäre im mordschwangeren Virginia höchst subtil und effektiv mit geringen, aber dafür umso wirkungsvolleren Kniffen reduziert/maximiert wurde; als Cornwells Ego, Reichtum und schlechte Prosa noch inexistent waren. Die gute alte Scarpetta-Zeit eben.
Patricia Cornwell hat es einmal mehr geschafft, einen weiteren negativen Höhepunkt in ihrer seit weit über 15 Jahren abfallenden Serie um die Forensik-Ikone Kay Scarpetta zu erschaffen: Langeweile, Redundanz, Paranoia, Überkonstruktion. Kurz: verschenkte Lesezeit.
Kehren Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, also besser zu Cornwells genialen Anfängen zurück und gönnen Sie sich die ersten Bücher der Scarpetta-Reihe noch einmal! ♦
Patricia Cornwell: Totenstarre (Kay Scarpetta / Bd. 24), Krimi, HarperCollins Verlag, 432 Seiten, ISBN 978-3959671255
und über den Krimi von Beat Portmann: Alles still
Absolut meine Meinung! Sehr gute Kritik, welche wahrscheinlich niemals Cornwell erreichen wird…leider! Vielen Dank !