Shahriar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren (Roman)

Was man sieht, ist nicht das, was es ist

von Karin Afshar

Sie wol­len end­lich ein­mal eine Lie­bes­ge­schichte von einem Ira­ner lesen, die gut aus­geht? Sha­riar Man­da­ni­pur ver­spricht Ihnen dies – in sei­nem neu­es­ten Roman “Eine ira­ni­sche Lie­bes­ge­schichte zen­sie­ren” – zumin­dest, und kün­digt dann noch gleich in der Ein­lei­tung an, dass seine Hel­din in weni­gen Minu­ten ster­ben wird. Wie kann das eine glück­li­che Lie­bes­ge­schichte sein?
Aber wenn Sie an die­ser Stelle ange­langt sind, haben Sie nun schon ein­mal ange­fan­gen zu lesen und befin­den sich bereits mit­ten in einem aus­ge­leg­ten Netz, aus dem Sie nur her­aus­kom­men, wenn Sie wei­ter­le­sen – wenn über­haupt je wieder.

Vertreter der iranischen Moderne

Shahriar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren - Roman - Unionsverlag - RezensionShah­riar Man­da­ni­pur ist 1957 in Schi­ras gebo­ren; man ist sich über­ein, dass er nicht nur einer der bekann­tes­ten, son­dern auch der modernste unter den ira­ni­schen Autoren ist. (Modern, wer­den Sie bald mer­ken, geht dabei oft mit Schwer­les­bar­keit ein­her.) Auf dem Klap­pen­text lesen Sie, dass der Autor Poli­tik­wis­sen­schaf­ten stu­dierte und im ira­nisch-ira­ki­schen Krieg, der vom Sep­tem­ber 1980 bis zum August 1988 dau­erte, Sol­dat war. Für seine Werke bekam er zahl­rei­che Preise, dar­un­ter den Meh­re­gan Award und den Gol­den Tablet Award. Wegen der Zen­sur konnte er zwi­schen 1992 und 1997 im Iran nichts ver­öf­fent­li­chen und ver­liess 2006 den Iran. Zur Zeit ist er Gast­do­zent in Har­vard, in Cam­bridge lebend. Noch mehr Auto­bio­gra­fi­sches kön­nen Sie dem Buch entnehmen.
“Eine ira­ni­sche Lie­bes­ge­schichte zen­sie­ren” wurde aus dem Per­si­schen von Sara Kha­lili ins Eng­li­sche über­setzt. Autor und Über­set­ze­rin haben gemein­sam daran gear­bei­tet, die sub­tile, manch­mal hei­tere Dop­pel­bö­dig- und stete Sym­bol­haf­tig­keit der per­si­schen Spra­che zu über­tra­gen. Die deut­sche Über­set­zung von Ursula Bal­lin beruht auf der eng­li­schen. Sie wer­den sich trotz­dem wün­schen, Sie könn­ten gut genug Per­sisch, um das Ori­gi­nal zu lesen!

Anspielungen auf klassische und neue persische Literatur

Shahriar Mandanipur - Glarean Magazin
Shah­riar Mandanipur

Sie heisst Sara, und der junge Mann, um den es hier – Alter ego Man­da­ni­purs? – geht, Dara. Das ist eine geniale Namen­wahl. Wenn Sie Ira­ner ken­nen, fra­gen Sie sie, was es damit auf sich hat. Anspie­lun­gen, Hin­weise – inter­tex­tu­elle Bezüge auf klas­si­sche per­si­sche wie auch klas­si­sche und moderne west­li­che Lite­ra­tur, auf Filme, auf Gescheh­nisse  – fin­den sich aller­or­ten. Dem Zen­sor, der “mit viel Ein­füh­lungs­ver­mö­gen seine Arbeit machen muss, um unmo­ra­li­sche Schrift­stel­ler, wel­che die ira­ni­sche Jugend zu ver­der­ben dro­hen, zu ent­lar­ven”, hat Man­da­ni­pur den Namen Porf­irij Petro­witsch gege­ben. Was – Sie ken­nen ihn nicht? Und aus­ge­rech­net in Sadegh Heda­yats Roman “Die blinde Eule” fin­det Sara den ers­ten Lie­bes­brief von Dara.
Sie bedie­nen sich Saint-Exupé­rys “Klei­nen Prin­zen” ebenso wie Gar­cia Lor­cas. Dara mar­kiert Buch­sta­ben mit Punk­ten, aus denen Sara nun Briefe dechif­friert. So kom­mu­ni­zie­ren sie eine Weile, ohne dass sie sich ken­nen, und so beginnt ihre Liebesgeschichte.

Geschichte in der Geschichte

Shah­riar Man­da­ni­pur ist ein gewief­ter Ich-Erzäh­ler, der Sie an der Ent­wick­lung der Geschichte und an sei­nen Gedan­ken zu deren Kon­struk­tion teil­ha­ben lässt, eine Geschichte in der Geschichte in der Geschichte erzäh­lend. Sie erfah­ren viel über das täg­li­che Leben der Men­schen, ihre Nöte und ihren erfin­dungs­rei­chen Umgang mit auf­tre­ten­den Pro­ble­men, über Reak­tio­nen auf poli­ti­sche Ereig­nisse und deren Hintergründe.
Um es gleich vor­weg zu neh­men: der Ton ist locker, luf­tig, respekt­los, wie ihn nur Men­schen haben kön­nen, die vor nicht mehr viel Angst haben. Doch was ein­fach aus­sieht, ist nicht sel­ten das Ergeb­nis durch­leb­ten Leids. Auf den ers­ten Sei­ten wer­den Sie öfter herz­haft lachen. Hier bekom­men die Ira­ner ebenso wie die Ame­ri­ka­ner (in Geo­gra­phie nicht so gut bewan­dert) ihr Fett weg. Doch täu­schen Sie sich nicht: das Buch ist weder eine Lie­bes­ge­schichte noch eine belang­lose, zufäl­lige Anein­an­der­rei­hung bei­läu­fig geschil­der­ter Ereig­nisse und Hinweise.

“Der Zen­sor sitzt bereits im Kopf des Autors, und was dann folgt, ist der Par­cours durch eine Welt, in der man nicht glau­ben darf, was man sieht und liest und nicht sehen darf, was ist, und in der der Spa­gat zwi­schen Innen und Aus­sen schier schi­zo­phren macht.”

Man­da­ni­pur hat 320 Sei­ten mit Buch­sta­ben gefüllt, die eigent­li­che Geschichte aber steht zwi­schen den Zei­len. Es geht eben um Zen­sur, und Sie wer­den am Ende des Buches eine Ahnung davon haben, wie Sie wer­den – soll­ten Sie jemals unter eine Dik­ta­tur gera­ten – zu schrei­ben haben.

Widersprüche im Buch und in der persischen Seele

Wider­sprü­che durch­zie­hen das Buch, wie sie die per­si­sche Seele durch­zie­hen. Das macht ihre Anzie­hungs­kraft aus, auch wenn sie Leid bedeu­ten. Denn Leid gehört zum Leben, und dass es nicht immer ver­bit­tert geschil­dert wer­den muss oder nihi­lis­tisch (was aufs Glei­che hin­aus­kom­men könnte), zeigt Man­da­ni­pur. Sprach­ver­liebt und sprach­ge­wal­tig ist er. Es sind nicht nur die vie­len Bezüge und die Ver­schach­te­lun­gen, die Ihnen das Lesen schwer machen könn­ten, son­dern auch die Kas­ka­den von Sät­zen und Bil­dern. Ori­en­tie­rung wird Ihnen durch das Schrift­bild zuteil: es gibt fett gedruckte Text­stel­len, nor­mal gedruckte und durch­ge­stri­chene. Set­zen Sie sich nicht gleich hin und schrei­ben einen Brief an den Ver­lag, weil das Buch sug­ge­riert, es sei zen­siert und dann irr­tüm­li­cher­weise doch mit den zen­sier­ten Pas­sa­gen abge­druckt worden.

Zensor im Kopf des Autors

Der Zen­sor aller­dings sitzt bereits im Kopf des Autors, und was dann folgt, ist der Par­cours durch eine Welt, in der man nicht glau­ben darf, was man sieht und liest und nicht sehen darf, was ist, und in der der Spa­gat zwi­schen Innen und Aus­sen schier schi­zo­phren macht.

Wenn Sie von der Kul­tur Per­si­ens – das es ja nicht mehr in die­ser Form und mit die­ser Bezeich­nung gibt – fas­zi­niert sind und den Men­schen, die auf dem Staats­ge­biet des heu­ti­gen Iran leben, nahe ste­hen, wer­den Sie ken­nen und bestä­ti­gen, was Man­da­ni­pur schreibt. Wenn Sie das alles erst ken­nen­ler­nen und ver­ste­hen wol­len, haben Sie eine grosse Auf­gabe vor sich. Es ist eine Geschichte der Mensch­heit, von Mensch­lich­keit und Unmenschlichkeit. ♦

Shah­riar Man­da­ni­pur (Über­set­zung: U. Bal­lin), Eine ira­ni­sche Lie­bes­ge­schichte zen­sie­ren, Roman, Uni­ons­ver­lag, 320 Sei­ten, ISBN 3-293-00415-6

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Ira­ni­sche Lite­ra­tur auch über Ameneh Bah­r­ami: Auge um Auge (Isla­mis­mus)

… sowie über den Roman von Simone Stöl­zel: Der Tod in Potenzen


Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)