Peter Biro: Schluss mit lustig! – Zur Corona-Pandemie 2020

Schluss mit lustig!

Appell eines Arztes zur Covid-19-Pandemie

von Prof. Dr. med. Peter Biro

Nor­ma­ler­wei­se ist mir sel­ten ernst zu­mu­te, und ich fin­de in fast al­lem et­was Hei­te­res zum dar­über Frot­zeln. Aber jetzt ist es aus mit der Lus­tig­keit. Die­se wur­de in letz­ter Zeit zu­neh­mend von Ver­zweif­lung abgelöst.

Na­tür­lich ma­che ich mir Sor­gen um die mir na­he­ste­hen­den Per­so­nen, und auch um mei­ne ei­ge­ne Ge­sund­heit. Aber nicht das ist es, was mich zur Ver­zweif­lung treibt, son­dern die Igno­ranz der Zeit­ge­nos­sen und die Nach­läs­sig­keit der Behörden.

Corona-Pandemie - Virus-Erde mit Maske - Glarean Magazin
War­um die Co­ro­na-Pan­de­mie kei­ne ge­wöhn­li­che Grip­pen-Sai­son ist

Wir sind in­mit­ten ei­ner ex­po­nen­ti­el­len Ver­schlech­te­rung der Lage mit ei­ner Ver­dop­pe­lung der Fall­zah­len für Kran­ke, Schwer­kran­ke und To­des­fäl­le alle zwei bis drei Tage. Was da­bei am meis­ten be­un­ru­higt, ist das gras­sie­ren­de Un­ver­ständ­nis des eh­ren­wer­ten Pu­bli­kums für ex­po­nen­ti­el­les Wachs­tum. Bei kon­stan­ter Ver­dop­pe­lung ent­ste­hen bin­nen kür­zes­ter Zeit ge­wal­ti­ge Zah­len. Die alt­be­kann­te Wei­zen­korn-Le­gen­de von der Be­loh­nung des Schach­spiel-Er­fin­ders durch den dank­ba­ren per­si­schen Kö­nig ver­an­schau­licht die­se Un­vor­stell­bar­keit: Auf die Fra­ge, was er sich als Be­zah­lung für sei­nen Dienst wün­sche, ant­wor­te­te der Meis­ter, dass er ein Wei­zen­korn fürs ers­te Feld des Schach­bretts ha­ben möch­te, ge­folgt von dop­pelt so viel, also zwei auf dem zwei­ten – und so wei­ter, mit Ver­dopp­lung der Körn­er­zahl mit je­dem wei­te­ren der 64 Fel­der. Der von der schein­ba­ren Be­schei­den­heit des Er­fin­ders be­lus­tig­te Kö­nig gab den Auf­trag an sei­ne Be­diens­te­ten zur Aus­füh­rung wei­ter. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis sich her­aus­stell­te, dass es bei wei­tem nicht ge­nug Wei­zen auf der gan­zen Erde gab, um auch nur ei­nen Bruch­teil des Auf­trags zu erfüllen.

Chance des totalen Lock-Downs verpasst

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean Magazin
Prof. Dr. Pe­ter Biro: „Schluss mit lustig!“

Was ich da­mit sa­gen will ist, dass die Aus­brei­tung der Co­ro­na-In­fek­ti­on sich so ra­sant ab­spielt, dass durch nor­ma­le Er­fah­rung vor­ein­ge­nom­me­ne Men­schen die­se dem ex­po­nen­ti­el­len Wachs­tum in­ne­woh­nen­de Ge­fahr nicht wirk­lich ver­ste­hen. Die bis vor kur­zem non­cha­lant in gros­sen Ru­deln fla­nie­ren­den Son­nen­an­be­ter am See­ufer zeu­gen von die­ser Igno­ranz. Da­bei hät­te es eine ein­zi­ge Mög­lich­keit ge­ge­ben, die mas­sen­haf­te Aus­brei­tung zu ver­hin­dern: Man hät­te gleich am An­fang – als noch erst we­ni­ge Fäl­le ge­mel­det wur­den – die wei­test­ge­hen­den Mass­nah­men er­grei­fen müs­sen wie das to­ta­le Lock­down und die völ­li­ge Iso­la­ti­on auf al­len Ebe­nen – von der Ein­zel­per­son über die Ort­schaf­ten und Re­gio­nen bis hin zum gan­zen Land.
Doch der Mo­ment, als das noch hät­te nüt­zen kön­nen, wur­de in der Schweiz wie fast über­all an­dern­orts sträf­lich ver­passt. Um eine Ana­lo­gie aus mei­nem be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu be­mü­hen, das ist ähn­lich zur Krebs­er­kran­kung: So­bald die­se dia­gnos­ti­ziert ist, wird man nicht die Be­hand­lung schritt­wei­se mit dem Wachs­tum des Tu­mors aus­bau­en, son­dern gleich am An­fang mit der ma­xi­ma­len The­ra­pie be­gin­nen, z.B. mit ei­ner Ra­di­kal­ope­ra­ti­on. Nur so kann man Krebs ei­ni­ger­mas­sen wirk­sam be­kämp­fen: ma­xi­ma­le Mass­nah­men bei noch ge­rin­ger Tu­mor­pro­gre­di­enz. Das­sel­be gilt für al­les, was ge­gen ex­po­nen­ti­el­les Wachs­tum an­ge­wen­det wer­den soll.

So verhalten, als sei man bereits erkrankt!

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Jetzt ist zu be­fürch­ten, dass uns eine ähn­li­che Ent­wick­lung wie in Ita­li­en be­vor­steht. Aber wenn man schon nicht mit der ad­äqua­ten Re­ak­ti­on der Be­hör­den rech­nen kann, dann bleibt uns nichts an­de­res üb­rig, als uns in­di­vi­du­ell rich­tig zu ver­hal­ten. Und das heisst, so zu tun als sei man be­reits er­krankt – mit dem Im­pe­ra­tiv, in die per­sön­li­che Iso­la­ti­on zu ge­hen. Man gehe nir­gend­wo mehr hin, man hal­te Ab­stand, des­in­fi­zie­re re­gel­mäs­sig die Hän­de und las­se sich die Ein­käu­fe vor die Tür brin­gen. Wenn man kein Des­in­fek­ti­ons­mit­tel mehr auf­trei­ben kann, lan­ge man nach den Spi­ri­tuo­sen in der hei­mi­schen Kel­ler­bar. Wenn man nichts der­glei­chen hat, soll­te man re­gel­mäs­sig die Hän­de wa­schen, das hilft auch. Aber das Wich­tigs­te ist: Zu­hau­se blei­ben, ver­dammt nochmal! ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch von Pe­ter Biro: Hoff­nungs­vol­le Hamsterkäufe

Wei­te­re In­ter­net-Adres­sen zum The­ma Co­ro­na-Pan­de­mie 2020

3 Kommentare

  1. Sehr ge­ehr­te K.Z. und B.G. vie­len Dank für Ihre zu­stim­men­den Kom­men­ta­re. In der Tat, das Ge­sund­heits­per­so­nal ist in die­sen Zei­ten sehr ge­for­dert und auch mehr der Ge­fahr aus­ge­setzt als an­de­re Be­rufs­grup­pen. Ap­plaus wird gern ent­ge­gen­ge­nom­men. Aber in die­ser Si­tua­ti­on ist der Schwer­punkt nicht bei ein­zel­nen Hel­den. Wor­auf es an­kommt ist die sys­tem­über­grei­fen­de Team­ar­beit. Die reicht vom Por­tier des Spi­tals bis hin zur In­ten­siv­pfle­ge­kraft am Bett ei­nes be­atme­ten In­fi­zier­ten und um­fasst sämt­li­che Be­rufs­grup­pen und Dienst­leis­ter. Es gibt kaum eine an­de­re Si­tua­ti­on im Ge­sund­heits­we­sen in der es so sehr auf ein gut or­ga­ni­sier­tes und ab­ge­stimm­tes Team an­kommt wie bei ei­ner Pan­de­mie. Und die ein­zel­nen Team­mit­glie­der ken­nen sich nicht mal alle un­ter­ein­an­der, müs­sen sich aber ge­gen­sei­tig ver­trau­en und sich dar­auf ver­las­sen, dass je­der das Rich­ti­ge tut. Die Ar­beits­last steigt hier­bei nicht gra­du­ell, son­dern es­ka­liert schlag­ar­tig so­bald die Res­sour­cen er­schöpft sind. In die­ser Si­tua­ti­on be­fin­det man sich be­reits in Ita­li­en, wo nicht mehr alle Pa­ti­en­ten die er­for­der­li­che Be­hand­lung be­kom­men kön­nen, weil alle In­ten­siv­the­ra­pie­plät­ze (samt al­len Res­sour­cen) be­reits be­setzt sind. In der Schweiz sind wir noch nicht so weit, und be­reits die nächs­ten Tage wer­den zei­gen, ob es uns auch er­eilt. Und wenn ja, in wel­chem Aus­mass. Es be­steht auch die Mög­lich­keit, dass die all­ge­mein ver­kün­de­ten und ge­trof­fe­nen Mass­nah­men an­fan­gen zu grei­fen, und die Wachs­tums­ra­te der Neu­erkran­kun­gen sinkt. Dann bleibt uns die De­kom­pen­sa­ti­on des Ge­sund­heits­sys­tems er­spart und es ist nur noch mit ei­nem An­stieg der Zahl von Ge­heil­ten zu rech­nen. Wir wis­sen noch nicht wann und un­ter wel­chen Um­stän­den die­ser Über­gang er­fol­gen wird – ir­gend­wann kommt er si­cher. Die Fra­ge ist nur, vor oder erst nach der Über­for­de­rung der Sys­te­me. Auf je­den Fall müs­sen wir ver­su­chen, we­nigs­tens ei­nen Schritt wei­ter zu den­ken und uns vor­be­rei­ten, als es der Ist­zu­stand ge­ra­de vor­gibt. Vor­erst soll­ten wir uns lie­ber auf eine wei­te­re Zu­nah­me der Er­krank­ten ein­stel­len. De­es­ka­lie­ren ist je­den­falls leich­ter als al­les andere.

  2. Bra­vo, Herr Dr. Biro! Manch­mal ist flu­chen die ein­zi­ge Mög­lich­keit, um noch von den Doo­fen und Igno­ran­ten ge­hört zu wer­den. Dank. – Karl

    • Schlies­se mich dem voll­um­fäng­lich an! Wenn man so die jüngs­ten State­ments z.B. von füh­ren­den SVP-Schwät­zern liest, könn­te ei­nem das Ko… kom­men. Da keift ein selbst­ver­lieb­ter Hohl­kopf wie Ro­ger Köp­pel im­mer noch laut­hals: „Ret­tet die Schwei­zer Wirt­schaft!“ ( https://www.nzz.ch/schweiz/heb-de-latz-corona-spaltet-die-svp-ld.1546995 ) wo doch jetzt wirk­lich welt­weit fast jede/r weiss, dass nur flä­chen­de­cken­de Qua­ran­tä­ne noch ei­nen letz­ten Rest von Hoff­nung ver­spricht. Mir ist lie­ber, wir sind in der wirt­schaft­li­chen Stein­zeit, da­für aber am Le­ben – als ein paar lau­fen­de Rest­ma­schi­nen, aber drei Vier­tel Tote… Viel Mut und Durch­hal­te­wil­len Ih­nen als Arzt, Herr Dr. Biro, das kön­nen Sie wohl brau­chen jetzt im Spi­tal. Über­haupt ein rie­si­ger Ap­plaus euch al­len auf den In­ten­siv­sta­tio­nen!! Ehr­lich, ich gebe es zu, an eu­rer Stel­le möch­te ich jetzt wirk­lich nicht ar­bei­ten. Hut ab!! Danke!!
      Ben G. / Zürich

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