Philip Teir: So also endet die Welt (Roman)

Ein Urlaub am Meer

von Günter Nawe

Ein Ur­laub am Meer, in der Ein­sam­keit Finn­lands. Ein al­tes, schon et­was ver­fal­le­nes Fe­ri­en­haus. Die­se Land­schaft, die­ses Haus wird im Ro­man von Phil­ip Teir: “So also en­det die Welt” zum Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt ei­ner dra­ma­ti­schen Fa­mi­li­en­ge­schich­te – eher noch: von vier sehr un­ter­schied­li­chen Beziehungsgeschichten.

Philip Teir - So also endet die Welt - Roman - Blessing Verlag - CoverEine ganz nor­ma­le Fa­mi­lie zieht in die­ses Fe­ri­en­haus: Ju­lia, mit­tel­mäs­sig er­folg­rei­che Schrift­stel­le­rin, lei­det un­ter ei­ner Schreib­blo­cka­de, mehr aber noch un­ter ih­rer Rol­le als Mut­ter und Ehe­frau. Ihr Mann Erik al­ler­dings “konn­te nicht wis­sen, wie es war, sie zu sein. Zu füh­len, wie sie. Er konn­te ihr die Ein­sam­keit nicht neh­men.” Ge­nau­so we­nig wie Ju­lia sich in die see­li­sche Ver­fas­sung ih­res Man­nes ver­set­zen kann. Erik, ge­ra­de ent­las­sen und nun ar­beits­los, ver­schweigt den Raus­wurf aus sei­ner Fir­ma, ist aber auch nur be­dingt be­reit, sich um ei­nen neu­en Job zu be­mü­hen. Statt­des­sen trinkt er und ver­sucht so, sei­ne Frus­tra­ti­on und De­pres­sio­nen und nicht zu­letzt sei­ne Ein­sam­keit zu bekämpfen.
Längst ver­su­chen auch die bei­den Kin­der Ali­ce und An­ton, sich die­ser be­drü­cken­den At­mo­sphä­re zu ent­zie­hen. Sie ge­hen ei­ge­ne Wege. An­ton ist ein stil­ler, aber sehr ge­nau­er Be­ob­ach­ter des Dra­mas, das sich um ihn her­um ab­spielt. Und Ali­ce fin­det in Leo ei­nen Part­ner für die jun­ge Lie­be und ei­nen ver­läss­li­chen Freund.

Nicht belastbare Lebensentwürfe

Philip Teir: So also endet die Welt - Portrait Glarean Magazin
Phil­ip Teir (Geb. 1980)

Phil­ip Teir hat eine Fa­mi­li­en­ge­schich­te ge­schrie­ben, in der sich die Le­bens­ent­wür­fe sei­ner Prot­ago­nis­ten als nicht be­last­bar er­wei­sen, Ver­wer­fun­gen ent­ste­hen und ge­sell­schaft­li­che Nor­men nicht mehr gel­ten. Auch weil die Ge­sell­schaft nicht mehr das ist, was sie ein­mal war.
So wer­den die Ge­schich­ten von Phil­ip Teir zu ei­nem Spie­gel­bild der Ge­sell­schaft. Vor al­lem auch in den Be­zie­hungs­ge­schich­ten der an­de­ren Men­schen, die sich in der Ein­sam­keit der fin­ni­schen Land­schaft fin­den. Und das in ei­ner auf­ge­la­de­nen Atmosphäre.

FAZIT: Phil­ip Teir hat ei­nen gros­sen, ei­nen meis­ter­li­chen Ro­man ge­schrie­ben, eine Art Psy­cho­thril­ler über so ganz un­ter­schied­li­che Be­zie­hungs­ge­schich­ten, die über das Per­sön­li­che hin­aus ein Spie­gel­bild ei­ner sich grund­le­gend ver­än­dern­den Ge­sell­schaft sind.

Roman-Stoff am Puls der Zeit

So also en­det die Welt” legt ein­mal mehr – er hat be­reits mit dem Ro­man “Win­ter­krieg” 2014 ein gross­ar­ti­ge De­but hin­ge­legt – den Fin­ger auf den Puls der Zeit, be­weist ein Ge­spür für mensch­li­che und zwi­schen­mensch­li­che Ge­fühls­la­gen. Im­mer auch im Kon­text zu den ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen, die sich vor al­lem in ei­nem zwei­ten Paar manifestieren.
Da sind Chris und Ju­li­as Ju­gend­freun­din Ma­ri­ka. Auch de­ren Ehe lei­det – in ers­ter Li­nie un­ter dem Ver­hal­ten des sex­süch­ti­gen Welt­ver­bes­se­rers und Um­welt­ak­ti­vis­ten Chris, des­sen Cre­do es ist, “dass es kei­ne Hoff­nung gibt, dass uns nicht mehr ret­ten kann”. Auch die Ehe von Chris und Ma­ri­ka nicht.
Teir be­schreibt die Si­tua­ti­on die­ser bei­den Paa­re mit psy­cho­lo­gi­scher Grun­die­rung. Wie mit ei­nem Se­zier­mes­ser und mit tie­fen Ge­spür für die mensch­li­chen Ge­fühls­la­gen legt Phil­ip Teir die Schich­ten der see­li­schen Ver­let­zun­gen of­fen. Und wie in ei­nem Schach­spiel setzt er sei­ne Per­so­nen in Be­zie­hun­gen zu­ein­an­der. Er be­schreibt ihre Sehn­süch­te nach Si­cher­heit, nach Glück, nach Lie­be und gleich­zei­tig ihre Ver­zweif­lung. Ein meis­ter­li­cher Roman.
Eine Art Ge­gen­pol bie­ten Eriks Bru­der An­ders, eine Art Aus­stei­ger, der sich am Ende in die­ser brü­chi­gen, sich auf­lö­sen­den Fe­ri­en­ge­sell­schaft wie­der­fin­det. Ein stil­ler, nach­denk­li­cher Mensch. Er wird in der von De­pres­sio­nen ge­plag­ten The­ra­peu­tin Ka­tie eine ver­wand­te See­le und end­lich ei­nen Halt finden.
Vier Paa­re in ei­nem Som­mer­dra­ma in fin­ni­scher Ein­sam­keit. Über Erik schreibt Teir an ei­ner Stel­le “Es war so ein Tag, an dem er eine Wahr­heit fin­den woll­te. Ge­fun­den hat er sie nicht”. Erik nicht und al­len an­de­ren Per­so­nen in die­sem Dra­ma nicht. Den­noch: Ganz ohne Hoff­nung bleibt der Le­ser nicht zurück. ♦

Phil­ip Teir: So also en­det die Welt, Ro­man, 300 Sei­ten, Bles­sing Ver­lag, ISBN 978-3-89667-606-1

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Fa­mi­li­en-Dra­ma auch über San­dra Brö­kel: Das hung­ri­ge Krokodil

Wei­te­re Links zum The­ma Fa­mi­lie als Spie­gel­bild der Ge­sell­schaft: Ul­ri­ke Her­wig: Das Le­ben ist manch­mal woanders

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