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In Wirklichkeit ist alles nur ein Traum
von Alexander Peer
“Magdalenas Mann verabschiedet sich in den Nebenraum”, heisst es im ersten Satz von Peter Reutterers als Novelle gekennzeichnetem Text “Siesta mit Magdalena”. Nicht nur in den Nebenraum scheint dieser Mann zu verschwinden, sondern gleichsam aus dem Text und damit aus der Perspektive des Erzählers Beno, der hier in einer Art lyrischem Monolog die Beziehung zu Magdalena besingt, beklagt, bekundet.
Schon die Titelgebung folgt einem programmatischen Ansatz. Die Siesta als Zeit der Musse, des Zuruhekommens und als Zäsur des Tages steht metaphorisch für einen Erzählduktus, der zwischen Wiedergabe von Ereignissen und imaginierten Begegnungen steht. Gewissermassen schafft die Erzählhaltung ein Bewusstsein, das als semipermeabel erscheint, als halbdurchlässig. Glaubt man in einem Absatz noch einem Bericht zu folgen, steigert sich im nächsten in oft elegisch gehaltenem Ton der Erzähler in einen Rausch.
Eine unbändige Beziehung
Es fällt schwer, nicht Maria Magdalena zu assoziieren. Nicht allein um des Namens willen, sondern weil diese Beziehung, die sich bloss in einzelnen Brennpunkten zu manifestieren scheint und gewissermassen als geheim vermittelt wird, etwas Unbeständiges ist. An einer Stelle ist der Bezug zur evangelischen Magdalena jedoch evident, wenn es heisst “Magdalena sei die Heiligste in der Gefolgschaft des Gottessohnes und gleichzeitig die Leibfrohste, Telefonsex würde dem lauteren Wesen Magdalenas widerstreben.” Bevor dem Text allerdings ein Etikett verabreicht wird, das ihm nicht gerecht wird, gilt es die Erzählanordnung zu loben.
Hier wird keine Kritik der christlichen Religion im rationalen Sinn unternommen, vielmehr entsteht aus der Notwendigkeit die Sehnsucht nach etwas über die weltliche Existenz Hinausweisenden jenseits abgegriffener Dogmatik artikuliert. Diese Notwendigkeit heisst Tod. “Kompromisslos still bleiben die Toten, auch wenn sie uns anwesen”, heisst es einmal.
Pendelnder Zustand von Erinnerungsmomenten

Bis zur Seite zwölf des Bandes sterben der Erzählung ihre praktisch noch gar nicht zu Gestalt gekommenen Protagonisten weg. Karlchen, Melisse, Onkel Ernst, dem “eben noch aus dem Mantel geholfen wird” und auf welchen schon das Leichentuch wartet, und schliesslich vor allem der Bruder Karl, der Suizid begeht. Dieser Freitod schwebt über dem Geschehen, weil er einen Konflikt zwischen Erzähler und dem Vater festmacht. Ein Konflikt der nicht chronologisch aufgeschlüsselt wird, ja gar nicht aufgeschlüsselt werden darf, will das Motiv der Siesta, diesem pendelnden Zustand von Erinnerungsmomenten, akuten Befindlichkeiten und Verweisen auf Künftiges, konsequent umgesetzt werden. Es genügt, wenn der Erzähler den Vater skizziert, ihn als einen in der Zeit der Nationalsozialisten gesellschaftsfähig gemachten Mannes darstellt, dessen persönliche Wirklichkeit für alle zu gelten hat und der dem Sohn, dem Musiker und Tagträumer, “der sich im Bett gerne in Phantasmen verliegt”, nur als fremd erscheinen kann, vor allem jedoch als unnahbar. Fast erleichternd ist eine ab und an auftretende Nüchternheit, wenn Beno bekennt: “Was wir auf Erden tun können: miteinander schlafen gehen.”
Ebenfalls konkret, jedoch meist abwesend ist die Beziehung des Erzählers zu seiner Frau Kathrin und seinen Söhnen. Sie gehören einem Alltag an, den der Erzähler eher absolviert als lebt, sich lassen und sich loslassen scheint ihm nur mit Magdalena möglich, eine Jugendliebe, die bis ins Seniorenheim zu währen hofft.
Das Pathos etwas dick aufgetragen

An manchen Stellen, muss gerechterweise festgehalten werden, ist der Pathos etwas dick aufgetragen, und manche rhetorischen Kniffe sind zu gesucht, vor allem eine Formulierung wie “ich lasse mich von einer Rolltreppe abtreiben” halte ich für missglückt. Das soll aber die Leseempfehlung nicht schmälern: Peter Reutterer erzeugt eine stimmige Collage von verpassten Momenten, Vereinigungen und fast schon beklemmender Lust. Der Erzähler reichert seine Ausführungen mit einigen zitablen Befunden an, etwa wenn es wiederum programmatisch heisst, “wenn wir das Leben nicht wahrnehmen, nehmen wir uns das Leben”. Während an anderer Stelle die Vernichtung des Lebens durch den Alltag kommentiert wird: “Später werde ich zwischen Leuten sitzen, die ihr eingerichtetes Haus als ihr Leben ansehen.” Weise fast eine Erkenntnis, dass eine Scheidung nach 25jähriger Ehe fast nur dazu führen könne, “die Lebenslage nur noch behandeln und nicht mehr gestalten zu können”.
Die Allmacht der Sexualität über den Tod hinaus

Gerade diese ernsten, jedem Menschen mit gravierendem Beziehungsverlust nachvollziehbaren Erfahrungen erzeugen in Kombination mit den Passagen von Klage und Erfüllung ein stimmiges Ganzes. Eine Erwartung jedoch muss der Rezensent enttäuschen: Dieses Buch liefert keine Wichsvorlage. Peter Reutterer ist es zu ernst mit der Allmacht der Sexualität, die über den Tod hinauszuweisen scheint. Er degradiert seine komplexen Protagonisten nicht zu hechelnden Statisten.
Denn Tod und Liebe bestimmen die Brennpunkte von Peter Reutterers Novelle. Wo die körperliche Vereinigung über die Egozentrik der Bedürfnisbefriedigung hinausweist, scheint sie in einem höheren Sinn zu gelingen. Diese Bezugnahme auf eine befreiende Sexualität ist angenehm einfach – und provoziert gleichzeitig. ♦
Peter Reutterer, Siesta mit Magdalena, Novelle, Arovell Verlag, Seiten, ISBN 9783902547149
Geb. 1971 in Salzburg/A, Studien der Germanistik, Philosophie und Publizistik, lebt als freier Autor und Journalist in Wien
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Novelle auch den Kurzprosa-Text von
Andreas Wieland: Famulus
… sowie zum Thema “Literatur und Sexualität” über
Regine Schricker: Ohnmachtsrausch und Liebeswahn
Eine Rezension in dieser Qualität ist für einen Autor immer eine Freude; und ich freue mich mit ihm mit! Paul Jaeg. Gosau OÖ.