Jean Kleeb: Classic goes Jazz (Klavier-Arrangements)

Geschmackvolle Transformation der Klassiker

von Walter Eigenmann

Pu­ri­ta­ner un­ter den Klas­sik-In­ter­es­sier­ten, wo­mög­lich gar aka­de­misch ge­schult an ei­nem jahr­hun­der­te­lang ent­wi­ckel­ten Ka­non fi­xier­ter mu­sik­äs­the­ti­scher Vor­stel­lun­gen, kon­ven­tio­nel­ler Hör­ge­wohn­hei­ten und his­to­risch-for­ma­li­sier­ter Kon­zert­mus­ter, dürf­ten an­ge­sichts der fol­gen­de Kla­vier-Tak­te – aus Jean Kleeb: „Clas­sic goes Jazz“ – ei­ni­ger­mas­sen an­ge­wi­dert die Nase rümpfen:

Jazz-Arrangement der berühmten Schumann'schen "Träumerei" für Klavier von Jean Kleeb
Jazz-Ar­ran­ge­ment der be­rühm­ten Schumann’schen „Träu­me­rei“ für Kla­vier von Jean Kleeb

Es han­delt sich um die welt­be­kann­te, tau­send­fach auf Schall­plat­ten und Kon­zert­po­di­en kol­por­tier­te „Träu­me­rei“ – aber wo ist Schu­mann? Wo ist die hoch­ar­ti­fi­zi­el­le „Nai­vi­tät“ al­ler sei­ner „Kin­der­sze­nen“; wo die ab­grün­di­ge, ganz und gar un­kind­li­che Psy­cho­lo­gie hin­ter die­sen Mi­nia­tu­ren als „Rück­spie­ge­lung ei­nes Äl­te­ren und für Äl­te­re“, die nur in der ori­gi­na­len Kla­vier­fas­sung auf­schei­nen kann; wo die rhyth­mi­sche und har­mo­ni­sche Raf­fi­nes­se der „fal­schen“, gleich­wohl or­ga­nisch wir­ken­den Be­to­nun­gen bzw. Dy­na­mi­ken des Ori­gi­nals; wo Schu­manns ro­man­ti­sche „De­sta­bi­li­sie­rung“ des Zeit­li­chen; wo der aus­drück­lich in­ten­dier­te mu­sik-dich­te­ri­sche Aspekt, ma­ni­fes­tiert u.a. im Kon­trast der schlicht-se­li­gen Me­lo­dik und der melancholisch-„haltlosen“ Har­mo­nik; und über­haupt: wo ist der his­to­risch be­grün­den­de Kon­text die­ses Stü­ckes, ge­ne­riert durch bio­gra­phi­sche Ent­wick­lung, kom­po­si­ti­ons­tech­ni­schen Rei­fe­grad und sti­lis­ti­sche Zeit­ge­nos­sen­schaft Schu­manns? Kurz­um: Ro­man­ti­ker Schu­mann goes Jazz – darf man das?

Schumann goes Jazz – darf man das?

Jean Kleeb - Classic goes Jazz - BärenreiterNa­tür­lich ist die­se Dis­kus­si­on, wie­wohl im­mer wie­der (jetzt auch hier) auf­ge­wärmt, eine ur­alte, viel­leicht stets von neu­em not­wen­di­ge, aber letzt­lich wohl un­frucht­ba­re. Denn wie­so soll­te aus­ge­rech­net in un­se­ren kul­tu­rel­len Zei­ten des „Any­thing goes“ die Trans­for­ma­ti­on, ja As­si­mi­lie­rung der „Klas­si­ker“ ta­bui­siert wer­den? Und fin­den nicht vie­le Klas­sik-Muf­fel ge­ra­de durch v.a. rhyth­mi­sie­ren­de „mo­der­ne“ Ar­ran­ge­ments be­rühm­ter Me­lo­dien zu­rück zu den Quel­len der Ori­gi­na­le? Kann die Pa­ti­na ur­alter Stü­cke nicht durch ak­tu­el­les „Auf­fri­schen“ mit­tels „pop­pi­ger“ Rhyth­mik und Har­mo­nik er­folg­reich weg­ge­pus­tet wer­den? Was ist kul­tu­rell falsch dar­an, mit­tels „un­ter­hal­ten­den“ Stil­mit­teln eine Brü­cke zu schla­gen zwi­schen Al­tem und Neuem?
Wie schon an­ge­tönt, der heh­re Dis­put über sol­che „mu­si­cal cor­rect­ness“ läuft letzt­lich auf die simp­le Ge­schmacks­fra­ge hin­aus – die brei­te, oh­ne­hin weit­ge­hend kom­mer­zi­ell de­ter­mi­nier­te Mu­sik­pra­xis bzw. -re­zep­ti­on heut­zu­ta­ge schert sich längst nicht mehr um der­ar­ti­ge kul­tur­his­to­ri­sche, mu­sik­äs­the­tisch in­ter­es­san­te, man­cher­orts aber fast fun­da­men­ta­lis­tisch ge­führ­ten Auseinandersetzungen.

Jazz vom Barock bis zur Spätromantik

Jean Kleeb - Glarean MagazinBleibt im­mer­hin – um wie­der zu Jean Klee­bs neu­em Kla­vier­heft „Clas­sic goes Jazz“ zu­rück­zu­keh­ren – die Fra­ge nach der hand­werk­li­chen Qua­li­tät sol­cher Trans­for­ma­tio­nen. Und dies­be­züg­lich muss sich „Clas­sic goes Jazz“ nicht ver­ste­cken. Den 13 Jazz-Ar­ran­ge­ments – vom ba­ro­cken Bach-Me­nu­ett bis zur spät­ro­man­ti­schen Mus­sorg­ski-Pro­me­na­de – merkt man durch­aus die ge­naue­re Be­schäf­ti­gung Klee­bs mit den Vor­bil­dern an, etwa wenn ver­sucht wur­de, sti­lis­tisch bzw. kom­po­si­ti­ons­tech­nisch wich­ti­ge Ele­men­te „hin­über­zu­ret­ten“.

Dies­be­züg­lich nur drei Beispiele:

Imi­ta­ti­on bei Bach…

…und bei Kleeb:

Ho­mo­pho­nie bei Mozart…

…und bei Kleeb:

Fi­gu­ra­ti­on bei Chopin…

…und bei Kleeb:

Den Duk­tus des je­wei­li­gen „Klas­si­kers“ also zu­min­dest an­nä­hernd zu ad­ap­tie­ren war – über den rei­nen Wie­der­erken­nungs­wert des Me­lo­di­schen hin­aus – of­fen­sicht­lich ein An­lie­gen des Arrangeurs.

Die 13 jazzigen Klassiker-Adaptionen in Jean Kleebs
Die 13 jaz­zi­gen Klas­si­ker-Ad­ap­tio­nen in Jean Klee­bs „Clas­sic goes Jazz“ klin­gen aus­ge­spro­chen „gut“, sind ori­gi­nell kon­zi­piert, der Kla­vier­satz liegt da­bei be­quem in den Fin­gern, ist auch schlank und trans­pa­rent ge­hal­ten, und die von ir­re­gu­lä­ren Tei­lun­gen weit­ge­hend be­frei­te Rhyth­mik gibt auch dem „klas­sisch“ auf­ge­wach­se­nen Ama­teur-Pia­nis­ten kei­ner­lei Pro­ble­me auf.

Da­von ab­ge­se­hen sind aber alle Klee­b­schen Klas­sik-Be­ar­bei­tun­gen durch­aus „pure“ Jazz-Mu­sik (der eher tra­di­tio­nel­len Sor­te), mit al­len de­ren ty­pisch-stan­dar­di­sier­ten In­gre­di­en­zi­en, vom ter­nä­ren Ach­tel über die ex­zes­si­ve Syn­ko­pier­ung bis zur Sep­ti­mak­kord-Ska­la. Aus­ser­dem fin­den sich da und dort in rhyth­mi­scher oder me­lo­di­scher Hin­sicht wei­te­re Stil­rich­tun­gen wie Tan­go oder Sal­sa ein­ge­floch­ten, und die­ser Sti­le-Mix hat durch­aus sei­nen Reiz. Selbst­ver­ständ­lich will Jazz-Pia­nist Kleeb bei al­le­dem sei­ne No­ten­tex­te aber nicht als sa­kro­sankt ver­stan­den wis­sen: das Jazz-ur­ei­ge­ne Mo­ment des Im­pro­vi­sie­rens und Va­ri­ie­rens gibt er auch in sei­nem „Vor­wort“ aus­drück­lich als zu­sätz­li­chen Spass­fak­tor auf den Weg. (Na­tür­lich wur­den sämt­li­che Stü­cke von Kleeb ei­gen­hän­dig auf eine Au­dio-CD ge­spielt, die dem No­ten­heft beliegt).

Schlank und transparent gehaltener Klaviersatz

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Al­les in al­lem: Die 13 Stü­cke von „Clas­sic goes Jazz“ klin­gen aus­ge­spro­chen „gut“, sind ori­gi­nell kon­zi­piert, der Kla­vier­satz liegt da­bei be­quem in den Fin­gern, ist auch schlank und trans­pa­rent ge­hal­ten, und die von ir­re­gu­lä­ren Tei­lun­gen weit­ge­hend be­frei­te Rhyth­mik gibt auch dem „klas­sisch“ auf­ge­wach­se­nen Pia­nis­ten kei­ner­lei Pro­ble­me auf. Spiel­tech­nisch ist die Samm­lung etwa auf dem Le­vel „Un­te­re Mit­tel­stu­fe“ an­ge­sie­delt, also für eine Viel­zahl auch der Hob­by-Spie­ler rea­li­sier­bar. Wer die Ori­gi­na­le kennt bzw. schon spiel­te, geht mit schmun­zeln­dem Au­gen­zwin­kern an Klee­bs Werk, al­len an­de­ren sei der um­ge­kehr­te Weg „zu­rück zu den Wur­zeln“ ans Herz ge­legt – als heil­sa­mer Kul­tur­schock sozusagen… ♦

Jean Kleeb, Clas­sic goes Jazz, 13 jaz­zi­ge Ar­ran­ge­ments für Kla­vier, Bro­schur mit Au­dio-CD, Bä­ren­rei­ter Ver­lag, ISMN 979-006-53873-7

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Kla­vier-Ar­ran­ge­ments auch über Susi weiss: Bar-Pia­no-Ar­ran­ge­ments (Ever­greens)

… so­wie zum The­ma Cross­over-Mu­sik über Mi­cha­el Daug­her­ty: This Land Sings – Auf den Spu­ren von Woo­dy Guthrie

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