Inhaltsverzeichnis
Musik im Fokus der Gewaltforschung
von Walter Eigenmann
Gewaltassoziierte Musikgenres und -formen konsumieren Jugendliche täglich. Die Musikwissenschaftlerin Gabriele Hofmann und ihr Autoren-Team gehen in ihrem Sammelband “Musik & Gewalt” multiperspektivisch der Frage nach, wie die Relevanz von “Gewalttexten” einzuschätzen ist. In sieben Einzelreferaten werden die aggressiven Tendenzen in musikalischen Jugendkulturen thematisiert.
In ihrem Eingangsbeitrag umreißt Stefanie Rhein den Kontext der Diskussion: “Affinitäten zu bestimmten Jugendkulturen wie auch entsprechende Distanzierungen dienen der kulturellen Selbstpositionierung und der Konstruktion kultureller Identität. Entscheidungen im Hinblick auf musik- und jugendkulturelle Zugehörigkeiten sind nicht notwendig Entweder-Oder-Entscheidungen: Jugendliche zählen sich […] oft zu keiner Szene, sondern pendeln zwischend den verschiedenen Szenen im jugendkulturellen Raum hin und her, ohne sich dauerhaft festzulegen.” Darüber hinaus gelte: “Wenn von gewalthaltiger Musik […] die Rede ist, trifft dies in der Regel nicht die Musik an sich, sondern in erster Linie die Texte, die visuelle Umsetzung (Musikvideos) oder die Live-Inszenierung (Konzerte)”.
Aktivierung neuronaler Netzwerke
Während der Beitrag “Ist das schon Gewalt?” von Benjamin Elser die Geschlechter-Stereotypen als Gewaltdarstellungen in Musikvideos analysiert, rücken die Autoren M. Gutscher, H. Schramm und W. Wirth den Einfluss auditiver Gewaltdarstellung auf das Aggressionsniveau in den Fokus. Ihre Studie geht der Frage nach, ob Musik mit gewalttätigen Texten einen Einfluss auf das Aggressionsniveau von Rezipienten hat. Dabei schreiben sie der Aktivierung von entspr. neuronalen Netzwerken eine bedeutende Rolle zu: Aggressive Textinhalte in Musikstücken steigern das situative Aggressionsniveau, die Interpretation von Wortbedeutungen wird durch sie beeinflusst und die Zugänglichkeit zu aggressiven Begriffen erhöht.
“Rebellen mit der Gitarre in der Hand”
Am Anfang des Traktates von Georg Brunner, der sich der Rezeption und Wirkung von rechtsextremer Musik annimmt, wird festgehalten, dass der Musik ein gewisses Potential an Macht bzw. Beieinflussungspotential zugesprochen wird. Eine Erkenntnis, der sich nicht nur die deutschen Nazi’s und deren Propagandist Goebbels bedienten: “Musik als Kampfmittel und Waffe im Ringen um die deutsche Seele” (Goebbels 1934). Nazi-Bands wie “Kraftschlag”, “Sturmwehr” und “Foirstoss”, oder aktueller “Blutzeugen”, “Stahlwerk”, “Volksnah” u.va. bewirtschaften nicht nur “But und Boden”, sondern verstehen sich als “Rebellen mit mit der Gitarre in der Hand” (Foirstoss), die sich mit schriller Inbrunst und fetzigem Bass ihrer Feinbilder (Ausländer, Linke, Juden, Farbige u.a.) annehmen.
Brunner untersucht dabei verschiedene Bereiche und Verhaltensmuster der Konsumenten von Nazi-Musik, die Aspekte Geschlecht, Persönlichkeit, Elternhaus, Ausbildung, Sozialer Status und Selbstsozialisation werden näher aufgeführt.
Musikalische Gewalt der Metal-Bands
Ein abschließendes Referat von Erika Funk-Hennigs nimmt sich der einflussreichen Heavy-Metal- und der rechtsextremen Skinhead-Szene an, deren Text-Manifestationen sich als eigentlicher kultureller “Code des Bösen” interpretieren lassen, und deren Themenspektrum sich vom Satanismus, Schwarzen Messen und Tieropfern bis hin zu Friedhofsschändungen, Drogen, Vergewaltigungen und anderen menschenverachtenden Botschaften erstreckt. Das Fazit der Autorin: “Der zeitgenössische Rechtsextremismus präsentiert sich in einer Kombination von Freizeitwert, Lebensgefühl und politischen Botschaften. Jugendliche können hier eine Erlebniswelt erfahren, in der rückwärtsgewandtes Denken vorherrscht, das mit fremdenfeindlichem, rassistischem, nationalistischem und antisemitischem Gedankengut verknüpft ist. […] Musik hat in diesem Kontext keine eigenständige Funktion, sie dient vielmehr als Katalysator für rechtsextreme Aussagen”. ♦
Gabriele Hofmann (Hrsg): Musik & Gewalt – Aggressive Tendenzen in musikalischen Jugendkulturen, Forum Musikpädagogik, 140 Seiten, Wissner Verlag 2011/2021, ISBN 9783957862938
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Musik-Psychologie auch über Lutz Jäncke: Macht Musik schlau?