Viola Sanden: Playground Chess (Schach-Roman)

Schach auf amourösen Pfaden

von Ralf Binnewirtz

Der De­büt­ro­man der Wup­per­ta­ler Au­torin Vio­la San­den (ali­as Ma­nue­la San­ne) „Play­ground Ch­ess“ ist dem noch jun­gen New Adult-Gen­re zu­zu­rech­nen: In die­sem Fall ein Lie­bes­ro­man, der die Al­ters­grup­pe der etwa 18- bis 30-Jäh­ri­gen im Vi­sier hat. Das Un­ge­wöhn­li­che an die­ser Love­sto­ry ist zwei­fel­los de­ren all­mäh­li­che vir­tu­el­le An­bah­nung auf ei­nem Schach­ser­ver, wo schnel­le Par­tien zwi­schen ge­mein­hin an­ony­men Kon­tra­hen­ten aus­ge­tra­gen werden.
Das in zar­ter Ro­sa­tö­nung ge­hal­te­ne Buch­co­ver ist durch ein at­trak­ti­ves De­sign mar­ke­ting­wirk­sam ge­stal­tet und legt dem Be­trach­ter nahe, dass eine vor­nehm­lich weib­li­che Le­ser­schaft an­ge­spro­chen wer­den soll. Wer­fen wir ei­nen kur­zen Blick auf den Ver­lauf sei­ner Story.

Online Chess mit Nickname Caissa

Playground Chess - Berührt Geführt - Liebesroman Viola Sanden - Piper Verlag - Glarean MagazinCa­trin (Cati), 28, stu­dier­te Öko­tropho­lo­gin (also Er­näh­rungs­wis­sen­schaft­le­rin) aus Düs­sel­dorf, ist seit ei­ni­ger Zeit solo, nach­dem sie sich von Da­ni­el ge­trennt hat – der ihr nichts­des­to­trotz ein Freund und Hel­fer in al­len Le­bens­la­gen ge­blie­ben ist und im Buch eine sub­stan­zi­el­le Ne­ben­rol­le spielt. Letz­te­res gilt auch für Ca­trins bes­te Freun­din Anett, die ihr Pri­vat­le­ben – we­ni­ger zu­rück­hal­tend und be­son­nen als Cati – mit häu­fi­gen kurz­le­bi­gen Af­fä­ren anreichert.
Ca­trin spielt in ih­rer Frei­zeit vor­zugs­wei­se Schach auf der On­line­platt­form „Play­ground Ch­ess“ (un­ter ih­rem Nick­na­me „Cais­sa“ – die Nymphe/Göttin des Schachs) und trifft dort auf den ihr schach­lich weit über­le­ge­nen „Ma­gnus“ (wem kommt da nicht so­fort der am­tie­ren­de nor­we­gi­sche Schach­welt­meis­ter in den Sinn?), der mit bür­ger­li­chem Na­men Jon heisst und als Leh­rer für Eng­lisch und Ma­the­ma­tik in Bonn lebt. Bei­de sind of­fen­bar di­rekt von­ein­an­der an­ge­tan, Neu­gier und Fas­zi­na­ti­on wach­sen suk­zes­si­ve im Ver­lauf ei­ni­ger Wo­chen, ka­ta­ly­siert durch ei­nen zu­neh­men­den E-Mail-Aus­tausch und durch be­glei­ten­de On­line-Chats. Aber die der­art von­ein­an­der er­lang­ten Ein­drü­cke und Kennt­nis­se blei­ben na­tur­ge­mäss un­voll­stän­dig oder un­si­cher, wor­an auch ein von Jon in­iti­ier­tes „Game“, ein auf Ehr­lich­keit be­ru­hen­des Fra­ge-und-Ant­wort-Spiel zwecks ge­gen­sei­ti­gen bes­se­ren Ken­nen­ler­nens, nichts grund­le­gend ändert.

Virtuality vs Reality

Schach Liebe Sex - Chess Love - Glarean Magazin
Lie­bes­nacht via On­line-Schach: Vir­tua­li­ty oder Reality?

In die­sem ers­ten Teil des Buchs, über­schrie­ben mit Vir­tua­li­ty, wird so­mit ein merk­li­cher Span­nungs­bo­gen er­zeugt: Die Fra­ge und die sich stei­gern­de Er­war­tung, ob, wann, wo und wie den Wort-Spie­le­rei­en im aus­schliess­lich vir­tu­el­len Raum letzt­lich ein Nach­spiel in der rea­len Welt folgt, harrt der Auf­lö­sung. Die­se wird in Teil 2 des Ro­mans – Rea­li­ty – ge­ge­ben. An­hän­ger des Pro­blem­schachs mö­gen in die­sem Kon­text eine Schach­kom­po­si­ti­on as­so­zi­ie­ren, bei der das vir­tu­el­le Spiel (Ver­füh­run­gen, Pro­be­spie­le) zum re­el­len Spiel (ei­gent­li­che Lö­sung) hin­führt, aber die­se for­ma­le Ana­lo­gie soll hier nicht über­stra­pa­ziert wer­den. Im Buch ver­ab­re­den sich Ca­trin und Jon zu ei­nem un­ver­bind­li­chen Date in ei­nem Köl­ner Ho­tel, und es kommt, wie es kom­men muss: Das Tref­fen kul­mi­niert in ei­ner lei­den­schaft­li­chen Liebesnacht.

Viola Sanden - Manuela Sanne - Schriftstellerin - Playground Chess - Glarean Magazin
Un­ter­halt­sam schrei­bend und in­tel­li­gent kon­zi­pie­rend: De­büt-Ro­man­ciè­re Vio­la San­den (©Wynn Pho­to­de­sign)

Aber als­bald zie­hen dunk­le Wol­ken am Ho­ri­zont auf, Jon ver­setzt Ca­trin bei ei­nem an­schlies­sen­den Date, und (mehr soll hier nicht ver­ra­ten wer­den) letzt­lich bleibt es of­fen, ob die Be­zie­hung lang­fris­tig Be­stand ha­ben kann. Wer ein Hap­py End à la Ro­sa­mun­de Pilcher er­war­tet ha­ben soll­te, wird da­her mehr oder we­ni­ger ent­täuscht sein. In­des ist es aus Sicht des Re­zen­sen­ten po­si­tiv zu wer­ten, dass die Au­torin kei­nen solch tri­via­len Schluss­punkt ge­setzt hat. Zu­dem er­hält sie sich die Op­ti­on, in ei­nem Fol­ge­band die Ge­schich­te von Ca­trin und Jon wei­ter­zu­spin­nen, was sich na­tür­lich an­bie­tet, so­fern sich die­ser ers­te Band auch als kom­mer­zi­el­ler Er­folg er­wei­sen sollte.

Romanhandlung ohne Konflikte

FAZIT: „Play­ground Ch­ess“ ist ein un­ge­wöhn­li­cher Lie­bes­ro­man, in dem sich das On­line-Schach als Ve­hi­kel für eine Lie­bes­af­fä­re ent­puppt. Für die an­fangs er­wähn­te Ziel­grup­pe und die­je­ni­gen, die die­se Art von Li­te­ra­tur mö­gen, ver­dient der un­ter­halt­sa­me, gut ge­schrie­be­ne und in­tel­li­gent kon­zi­pier­te Ro­man si­cher­lich eine nach­drück­li­che Emp­feh­lung. Und wer weiss, viel­leicht wird die eine oder der an­de­re durch die Lek­tü­re an­ge­regt, sich et­was nä­her mit dem kö­nig­li­chen Spiel zu befassen?

Die we­sent­li­chen Fi­gu­ren des Ro­mans sind ge­ne­rell po­si­tiv ge­zeich­net und kön­nen als Sym­pa­thie­trä­ger gel­ten. Kei­nen Platz gibt es für den klas­si­schen Bö­se­wicht, der als Ge­gen­spie­ler be­droh­lich da­zwi­schen­funkt und Un­heil an­rich­ten will. Erns­te Kon­flik­te sind in der Ro­man­hand­lung nicht vor­ge­se­hen. Die im Buch auf­ge­bau­te Span­nung hält sich da­mit in ge­wis­sen Gren­zen, wer atem­be­rau­ben­den Thrill sucht, soll­te zu an­de­ren Bü­chern greifen.
Der Schreib­stil der Au­torin ist durch­weg flüs­sig und leicht ver­ständ­lich, der Satz­bau über­sicht­lich, so dass das Le­se­pu­bli­kum ih­ren Ge­dan­ken­gän­gen mü­he­los fol­gen kann. Bei di­ver­sen Ka­pi­teln wech­selt die Er­zähl­per­spek­ti­ve von der Ich-Er­zäh­le­rin Ca­trin auf an­de­re Prot­ago­nis­ten (Jon, Anett, Da­ni­el), ein dra­ma­tur­gisch ge­schickt ein­ge­setz­tes Mit­tel, das uns die Sicht­wei­se der an­de­ren be­tei­lig­ten Per­so­nen auf das Ge­sche­hen na­he­bringt. Da die­se Ka­pi­tel je­weils durch den Na­men des Er­zäh­lers in der Über­schrift kennt­lich ge­macht sind, soll­te dies kei­ne Ir­ri­ta­tio­nen bei der Lek­tü­re auslösen.

Schachwissen unnötig

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Aus­ge­spro­chen ge­fal­len hat mir, dass die Au­torin sämt­li­chen Ka­pi­teln ein be­zie­hungs­rei­ches Zi­tat bzw. eine Weis­heit von mehr oder we­ni­ger be­kann­ten Per­sön­lich­kei­ten vor­an­ge­stellt hat, wo­für sie of­fen­bar nicht nur die Schach­li­te­ra­tur durch­fors­ten muss­te. Als Auf­takt zu ih­rem Werk hat sie zu­dem ein Schach­so­nett von Chris­ti­an Mor­gen­stern re­pro­du­ziert. Der ins­ge­samt po­si­ti­ve Ein­druck wird noch durch den Be­fund ge­stützt, dass im Text be­mer­kens­wert we­ni­ge Tipp­feh­ler ver­blie­ben sind. Er­wähnt sei le­dig­lich, dass der nie­der­län­di­sche Schach-GM J. van der Wiel durch ei­nen Buch­sta­ben­dre­her et­was un­glück­lich zu „van der Weil“ mu­tiert ist (S. 120 oben) – viel­leicht eine Aus­wir­kung der un­se­li­gen au­to­ma­ti­schen Rechtschreibkorrektur….

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Was die schach­li­chen In­hal­te des Ro­mans be­trifft, so dür­fen Schach­freun­de nicht all­zu viel Tief­gang er­war­ten. Dies ist of­fen­bar der un­aus­ge­spro­che­nen For­de­rung ge­schul­det, die Mehr­heit ei­ner schachun­kun­di­gen Le­ser­schaft nicht durch über­mäs­si­ges Ex­per­ten­wis­sen zu ver­grau­len. Play­ground Ch­ess ist da­her auch ohne spe­zi­fi­sche Schach­kennt­nis­se gut les­bar. An­sons­ten scheint die Au­torin in ih­rem Schach­wis­sen ge­fes­tigt, im Text sind ihr kei­ne fun­da­men­ta­len s(ch)achlichen Feh­ler un­ter­lau­fen. Dies ist er­freu­lich an­ge­sichts der be­reits be­stehen­den schach­bel­le­tris­ti­schen Li­te­ra­tur, in der sich teils ekla­tan­te Feh­ler ver­sam­melt haben. ♦

Vio­la San­den: Play­ground Ch­ess – Be­rührt. Ge­führt, Ro­man, 212 Sei­ten, Pi­per Ver­lag, ISBN 978-3-492-50264-1

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Li­te­ra­tur und Schach auch über Ari­el Ma­gnus: Die Schach­spie­ler von Bue­nos Ai­res (Schach­ro­man)

… so­wie zum The­ma On­line-Da­ting in der Ro­man­li­te­ra­tur über Anke Beh­rend: Fake Off!

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