Inhaltsverzeichnis
Pionierarbeit zum Schachspiel im Internet
von Thomas Binder
Seit seiner Etablierung als Turnier- und Wettkampfsport hat das königliche Spiel wohl keinen grösseren Wandel erfahren als in den letzten ca. 20 Jahren durch das Aufkommen des Online-Schachs im Internet. Diese Entwicklung ist vor allem ein Segen, erschliesst sie doch das Schach einem unbegrenzten Personenkreis und schafft neue Möglichkeiten des Wettkampfs (jederzeit, gegen Spieler jeder Spielstärke), des Trainings und der passiven Teilhabe (Live-Übertragungen von Turnieren in aller Welt). Sie kann auch ein Fluch sein, wenn sie durch das Überall-Jederzeit-Angebot die Strukturen klassischer Schachvereine bedroht.
Stefan Breuer sieht in seiner neuen Untersuchung “Online-Schach für Amateur- und Hobbyspieler” vor allem die positiven Aspekte, ist er doch gewissermassen selbst die Verkörperung dieser Trends. Das aktive Turnierspiel hat er aus Zeitgründen längst aufgegeben, im Online-Schach findet er eine neue Gelegenheit, seiner Leidenschaft zu frönen. Er nimmt diese Gelegenheit mit Begeisterung (und Erfolg) wahr.
Thema von allen Seiten beleuchtet
Angesichts der enormen Bedeutung des Online-Spiels im heutigen Schachalltag ist es kaum zu glauben, wie stiefmütterlich das Thema bislang in der Literatur behandelt wird. Stefan Breuers schmales Bändchen (92 Textseiten, weitgehend schmucklos aufbereitet) leistet insofern Pionierarbeit.
Der Autor beleuchtet das Phänomen “Online-Schach” von allen Seiten. Die unterschiedlichen Bedenkzeiten und Turnierformen werden kurz vorgestellt. Dabei konnte auch der Rezensent, der nur gelegentlich online spielt, noch Neues entdecken. So weiss ich jetzt, was ein “Arena-Turnier” ist und, dass es auf den Servern auch Mannschaftsligen gibt.
Betrug beim Online-Schach

Ferner geht Breuer auf die Wertungssysteme (Rating) ein und spricht über die Regeln des Anstandes beim Server-Spiel, insbesondere beim Chatten.
Auch das leidige Thema “Betrug” lässt Breuer nicht aus. Er rät zu einem entspannten Umgang damit. An dieser Stelle, wie an vielen anderen, merkt der Leser, dass Stefan Breuer zuallererst vom Schach begeistert ist und nicht primär auf Erfolge und Ratingzahlen schaut. Wenn es ihm gelingt, einem Einsteiger diese Haltung zu vermitteln, hat er schon viel erreicht.
Etwas deplatziert wirkt ein mehrseitiger Vergleich zwischen Online-Schach und Online-Poker, dessen Motivation mir nicht so ganz klar wird – auch nicht, inwieweit Breuer hier aus eigener Erfahrung in beiden Welten spricht.
Das letzte grössere Kapitel ist die Präsentation der wichtigsten Schach-Server mit ihren Besonderheiten. Dabei ist der Autor durchaus im positiven Sinne voreingenommen. Man glaubt zu spüren, dass seine Präferenz dem Angebot des Schachportals lichess gehört.
Das alles liest sich flott und angenehm, weil eben aus jedem Satz eine bejahende Grundstimmung spricht und Begeisterung vermittelt wird.
Vermisst: Informative Screenshots
Ein solch kurzer Text lässt natürlich immer noch Raum, einzelne Themen auszubauen. Man hätte wohl in jedem Kapitel wesentlich mehr in die Tiefe gehen können. Auch ein paar Screenshots hätten die Lektüre noch anschaulicher gemacht und aufgelockert – selbst auf die Gefahr hin, dass sie nach wenigen Monaten nicht mehr aktuell sind.
Wünschenswert sind auch ein paar praktische Tipps. Online-Schach hat eben durchaus ein paar Besonderheiten, die man mit Partiefragmenten erläutern könnte. Da wäre zum Beispiel die im Serverschach verbreitete “Premove”-Technik. Über ihren sinnvollen Einsatz und die eventuellen Risiken hätte man ein ganzes Kapitel schreiben können.
Dass er schon lange kein reguläres Turnierschach gespielt hat, enthüllt Autor Breuer, als er für das Spiel “Over the board” empfiehlt, man möge sich vor impulsivem Ziehen (“Reflex-Schach”) schützen, indem man den Zug vor der Ausführung notiert. In der Tat ist dies ein probates Mittel zum Selbstschutz – dummerweise nur seit gut 10 Jahren explizit in den FIDE-Regeln verboten…
Schade ausserdem die – allerdings nur wenigen – Schreibfehler, die immerhin den Lesefluss kaum mindern.

Fazit: Stefan Breuers Bändchen ist eine willkommene Pionierarbeit mit dem Versuch einer umfassenden Darstellung zum Online-Schach. Das Thema hat eine deutliche Vertiefung der Überlegungen verdient. Breuer leistet dafür die Grundlagen. Bei dem geringen Preis also hier eine Kaufempfehlung für alle jene, die sich über das Schachspielen im Internet orientieren möchten. ♦
Stefan Breuer: Online-Schach für Amateur- und Hobbyspieler, Amazon-/Kindle-Edition, 92 Seiten, ISBN 978-1-98298890-6
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Online Schachspielen auch: Die besten Online-Schach-Portale
Hallo, danke für ihr Feedback. Wenn Sie meine Rezensionen verfolgen, werden Sie sehen, dass ich immer ein “Haar in der Suppe” finde. Das ist meines Erachtens die Aufgabe des Rezensenten: Eine globale Einschätzung (die hier positiv auffällt), ein Überblick über das Gebotene und Kritik im Detail. Letztere geht natürlich immer auf Einzelheiten ein und wirkt dadurch vom Umfang her etwas stärker. Aber, Sie haben ja die Grundaussagen ja so verstanden, wie ich es wollte. Aufbauend auf Breuers Buch ist aber zum Bereich “Online-Schach” sicher noch viel zu tun.
Hört man da in Ihrer Besprechung ein wenig Kritik heraus betreffend Buch-Präsentation, Herr Binder? “Schmucklos aufbereitet” und reglementwidrige Tipps – nicht gerade Kaufempfehlungen 😉
Aber ich habe das Buch auch gelesen und finde es wirklich toll. Ihr Begriff “Pionierarbeit” trifft es auf den Kopf. Gratulation an Breuer, dass er sich mal eines Themas mit einem Buch angenommen hat, das in Zukunft noch mächtig Bedeutung erlangen wird, da bin ich sicher!
Danke für die Rezension und für das Buch:
Uwe (der selber auch schon mal online schach-zockt 🙂