Peter Fahr: Zum Rassismus in der Schweiz

Weisses Kreuz auf braunem Grund?

von Peter Fahr

Eine Vermehrung des materiellen Wohlstandes – das soll einmal grundsätzlich festgestellt sein – bewirkt in gar keiner Weise ein echtes moralisches Wachstum.
(Mahatma Gandhi)

Ras­sis­mus in der Schweiz: Eine Welle des Frem­den­has­ses über­rollt das Land. In einer Zeit, in der die Flücht­lings­ströme der Zwei­ten und Drit­ten Welt ver­mehrt in die Erste flies­sen, ver­schärft die Schwei­zer Regie­rung in ver­schie­de­nen Anläu­fen mit dem Segen des Vol­kes das Asyl­ge­setz und schickt die Armee an die Grenze, um ille­gale Ein­wan­de­rer abzu­fan­gen. Die huma­ni­täre Tra­di­tion des reichs­ten Lan­des der Welt erschöpft sich in der Ghet­toi­sie­rung der Asyl­su­chen­den und in abge­dro­sche­nen Flos­keln der Poli­ti­ker. Afgha­ni­sche, äthio­pi­sche, syri­sche und andere Män­ner, Frauen und Kin­der, die vor poli­ti­scher Ver­fol­gung, Ker­ker, Fol­ter, Streu-, Phos­phor- und Gas­bom­ben zu uns flie­hen, fin­den hier oft nur gegen den mas­si­ven Wil­len der orts­an­säs­si­gen Behör­den und Bevöl­ke­rung ein pro­vi­so­ri­sches Zuhause. Die neuen Nach­barn spre­chen ihnen das Recht ab, an unse­rer Gesell­schaft teilzuhaben.

Nicht integriert, sondern ausgegrenzt

"Flüchtlinge werden nicht angenommen, sondern geduldet; sie werden nicht in die Gemeinschaft integriert, sondern ausgegrenzt" (Peter Fahr). Bild: Flüchtlinge aus Eritrea während ihrer selbstmörderischen Bootsfahrt übers Mittelmeer nach Europa
“Flücht­linge wer­den nicht ange­nom­men, son­dern gedul­det; sie wer­den nicht in die Gemein­schaft inte­griert, son­dern aus­ge­grenzt” (Peter Fahr). Bild: Flücht­linge aus Eri­trea wäh­rend ihrer selbst­mör­de­ri­schen Boots­fahrt übers Mit­tel­meer nach Europa

Flücht­linge wer­den nicht ange­nom­men, son­dern gedul­det; sie wer­den nicht in die Gemein­schaft inte­griert, son­dern aus­ge­grenzt. Arbeit hat es für sie auf dem Bau, im Gast­ge­werbe, in Rei­ni­gungs­in­sti­tu­ten und ähn­li­chen Berufs­zwei­gen. Mit ein paar Fran­ken Sack­geld haben sie aus­zu­kom­men und der Gerech­tig­keits­sinn man­cher Schwei­zer sähe auch die­ses Geld lie­ber in der eige­nen Tasche. Die War­te­zeit von der Ein­rei­chung des Asyl­ge­suchs bis zum defi­ni­ti­ven Bescheid der zustän­di­gen Stel­len zehrt an den Ner­ven und nur wenige Bewer­ber – das betrifft sogar Kin­der, die ganz allein und ohne Eltern unter­wegs sind – erhal­ten schliess­lich Asyl. Die ande­ren wer­den in Dritt­län­der aus­ge­wie­sen oder in ihr Hei­mat­land abge­scho­ben, wo sie nicht sel­ten im Gefäng­nis lan­den und gefol­tert werden.

Fanatische Neonazis in der Schweiz

Doch die Aus­län­der­feind­lich­keit begnügt sich nicht mehr mit einer unmensch­li­chen Asyl­po­li­tik, mit Par­tei­pa­ro­len, Hetz­kam­pa­gnen und der Schaum­schlä­ge­rei am Stamm­tisch und in Inter­net­fo­ren. Sie ist über die Mit­glie­der­lis­ten von Schwei­zer Demo­kra­ten (SD), Aktion für eine unab­hän­gige Schweiz (Auns) und Schwei­ze­ri­scher Volks­par­tei (SVP) hin­aus­ge­wach­sen und nis­tet sich ein in den Her­zen der Unzu­frie­de­nen, Ängst­li­chen und Zukurz­ge­kom­me­nen. Muss­ten in den 60er, 70er und 80er Jah­ren Gast­ar­bei­ter und Sai­son­niers, in den 90er und 00er Jah­ren Tami­len und Tsche­tsche­nen ver­bale Prü­gel ein­ste­cken und nach Süd­ita­lien, Spa­nien, Grie­chen­land, Sri Lanka und Tsche­tsche­nien zurück­keh­ren, ban­gen die Asyl­be­wer­ber heute um ihr Leben.

"Was Politiker, Stimmbürger und Beamte in die Wege geleitet haben, wird von Presse, Rundfunk und Fernsehen vernachlässigt oder verharmlost und somit gutgeheissen": Abstimmungs-Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) für ihre Initiative "Masseneinwanderung stoppen"
“Was Poli­ti­ker, Stimm­bür­ger und Beamte in die Wege gelei­tet haben, wird von Presse, Rund­funk und Fern­se­hen ver­nach­läs­sigt oder ver­harm­lost und somit gut­ge­heis­sen”: Abstim­mungs-Pla­kat der Schwei­ze­ri­schen Volks­par­tei (SVP) für ihre Initia­tive “Mas­sen­ein­wan­de­rung stoppen”

Denn auch die Schweiz hat ihren Ku-Klux-Klan, unver­bes­ser­li­che und fana­ti­sche Neo­na­zis, die nicht nur Kon­zerte wie jenes in Unter­was­ser im Tog­gen­burg im Okto­ber 2016 ver­an­stal­ten, an denen deut­sche Sze­ne­bands wie Fron­tal­kraft, Stahl­ge­wit­ter, Con­fi­dent of Vic­tory und die Schwei­zer Gruppe Amok auf­tre­ten, son­dern auch Flücht­linge zusam­men­schla­gen oder Brand­an­schläge auf Asyl­un­ter­künfte ver­üben. Ihre Aktio­nen erin­nern an die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen der 30er Jahre und machen Schlag­zei­len: Dro­hun­gen und Anpö­be­lun­gen, Brand­stif­tung und Bom­ben­an­schläge, Schlä­ge­reien und Tot­schlag. Wäh­rend Flücht­linge bedroht und ver­prü­gelt und ermor­det wer­den, steht die Poli­zei abseits. Sie beob­ach­tet und umzäunt höchs­tens Durch­gangs­heime und Asyl­un­ter­künfte mit Sta­chel­draht. Der Bun­des­rat ruft dazu auf, wei­tere Gewalt­tä­tig­kei­ten zu ver­hin­dern, und die Poli­zei erwägt zum Schutz der Asyl­be­wer­ber die Instal­la­tion von Flut­licht­an­la­gen und Elek­tro­zaun und dis­ku­tiert den Ein­satz von Hun­de­füh­rern. Dass diese Mass­nah­men kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­ten, da sie die Heim­be­woh­ner von ihrer Umge­bung abkap­seln und die frem­den­feind­li­chen Schlä­ger zu neuen Angrif­fen her­aus­for­dern, scheint den Ver­ant­wort­li­chen unerheblich.

Bedachtes Schweigen statt öffentliches Gespräch

"Sieg Heil Sieg Heil !" - Versteckte Aufnahmen des Neonazi-Rockkonzertes in Unterwasser (St.Gallen) 2016 (Quelle: BLICK-Video - Screenshot)
“Sieg Heil Sieg Heil !” – Ver­steckte Auf­nah­men des Neo­nazi-Rock­kon­zer­tes in Unter­was­ser (St.Gallen) 2016 (Quelle: BLICK-Video – Screenshot)

Wo das öffent­li­che Gespräch geführt wer­den sollte, herrscht betre­te­nes oder bedach­tes Schwei­gen. Wo Ursa­chen- und Prä­ven­ti­ons­for­schung betrie­ben wer­den müsste, wird aus­ge­wo­gen Bericht erstat­tet. Was Poli­ti­ker, Stimm­bür­ger und Beamte in die Wege gelei­tet haben, wird von Presse, Rund­funk und Fern­se­hen ver­nach­läs­sigt oder ver­harm­lost und somit gut­ge­heis­sen. Die Schlag­zei­len ver­blas­sen und die Bil­der der Sta­chel­draht­ver­haue sind schnell ver­ges­sen – es kann zur Tages­ord­nung über­ge­gan­gen wer­den. Offen­sicht­lich spie­geln die Medien bloss eine weit­ver­brei­tete satte Zufrie­den­heit, die Ent­täu­schung und Wut ver­heim­licht, eine Selbst­herr­lich­keit, die sich auch Ver­letzte und Tote leis­ten kann. Ver­mut­lich sind nicht wenige Zuschauer, Hörer und Leser ins­ge­heim sogar froh über die gewalt­tä­ti­gen Mit­bür­ger, die es „den Schma­rot­zern“ end­lich mal zeigen.

Lukrative Schweizer Waffenausfuhr in Krisenherde

Die Aus­län­der­feind­lich­keit war bis­her latent vor­han­den in der Benach­tei­li­gung der Aus­län­der auf dem Arbeits­markt, wo diese unglei­che Bedin­gun­gen und eine nied­ri­gere Ent­löh­nung in Kauf zu neh­men haben; in der schein­hei­li­gen Ent­wick­lungs­po­li­tik des Bun­des, die ein Mehr­fa­ches der Inves­ti­tio­nen aus der Drit­ten Welt her­aus­presst; im „Ban­ken­ban­di­tis­mus“ (Jean Zieg­ler), der die Annahme von Flucht- und Dro­gen­gel­dern und damit die Mit­ver­ant­wor­tung für die Ver­schul­dung der Ent­wick­lungs­län­der beinhal­tet; in der jah­re­lan­gen wirt­schaft­li­chen und finan­zi­el­len Zusam­men­ar­beit mit Unrechts­re­gimes wie der Tür­kei, China und Saudi-Ara­bien; in der lukra­ti­ven Waf­fen­aus­fuhr in Kri­sen­herde und Dik­ta­tu­ren. Die Gesin­nung, die der Unter­drü­ckung und Aus­beu­tung ande­rer Völ­ker und Natio­nen zugrunde liegt, zeigt sich auch in der hart­nä­cki­gen Schwei­zer Wei­ge­rung, der EU bei­zu­tre­ten. Diese Gesin­nung, die ego­ma­ni­sche Ver­ach­tung all derer, die jen­seits der Gren­zen leben, offen­bart sich nun in der grau­sa­men Aus­län­der­hetze inner­halb der Lan­des­gren­zen. Wie konnte es so weit kommen?

Ohnmacht

Die gesell­schaft­li­che Ori­en­tie­rungs­krise im Zeit­al­ter der Umwelt­zer­stö­rung – Stich­wort Kli­ma­ka­ta­stro­phe – erfasst Pri­vi­le­gierte und weni­ger Pri­vi­le­gierte. Die Ohn­macht gegen­über dem Lauf der Dinge för­dert Unsi­cher­heit und Min­der­wer­tig­keits­ge­fühle, die in Miss­trauen gegen Men­schen, Schich­ten, Min­der­hei­ten und Eth­nien umschla­gen, die auf der unters­ten Sprosse der sozia­len Lei­ter ste­hen. Dazu gehö­ren die Aus­län­der und Flücht­linge. Der gegen sie gerich­tete Hass ver­mag die eigene soziale Iden­ti­tät auf­zu­wer­ten und sug­ge­riert Selbstsicherheit.

Futterneid

Das auf Wett­be­werb aus­ge­rich­tete west­li­che Gesell­schafts-, Wirt­schafts- und Finanz­sys­tem macht aus Men­schen Geg­ner. Der Kon­kur­renz­kampf um Wohn­raum, Arbeits­platz, Pri­vi­leg und vie­les mehr beu­telt haupt­säch­lich un- und halb­qua­li­fi­zierte Arbeit­neh­mende und sozial schwa­che Fami­lien; er gip­felt im Fut­ter­neid. In der Pro­jek­tion der eige­nen Angst vor einer unge­wis­sen Zukunft auf Aus­län­der und Flücht­linge zeigt sich der Ver­such, die Macht­po­si­tion in der Gemein­schaft zu behaupten.

Intoleranz

Die Unter­neh­mer, Glo­bal Play­ers und Finan­ciers, die das Medi­en­ka­rus­sell – Zei­tun­gen, TV und Inter­net – mit Strom ver­sor­gen, lie­fern der Masse nur Infor­ma­tio­nen, die das poli­ti­sche Sys­tem, das ihre Macht­po­si­tion ermög­licht, fes­ti­gen. Demo­kra­tie ist gut, solange sie ihre natio­na­len und trans­na­tio­na­len Machen­schaf­ten nicht tan­giert. Die Infor­ma­ti­ons­flut, der wir aus­ge­setzt sind, besteht gröss­ten­teils aus Unter­hal­tung. Wer sich unter­hält, infor­miert sich nicht. Vor­ur­teile beru­hen auf einem Man­gel an Infor­ma­tion und Wis­sen. Diese geis­tige Beschränkt­heit, die­ses Bewusst­seins­va­kuum begüns­tigt die Into­le­ranz gegen­über den Flücht­lin­gen, über die man sich die schau­er­lichs­ten Geschich­ten erzählt, statt sich über ihre Kul­tur und ihren Schwei­zer All­tag zu informieren.

Schuldzuweisung

Die Mit­ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen für die bestehen­den Miss­stände wiegt schwer. Gewis­sen und Han­deln klaf­fen weit aus­ein­an­der. Diese Schuld wird ver­drängt, indem sie dele­giert wird. Indem auf andere ver­wie­sen wird, braucht man sich selbst nicht zu hin­ter­fra­gen. Die Asphal­tie­rung und Zube­to­nie­rung der Land­schaft bei­spiels­weise, so wird argu­men­tiert, wäre ohne den Anteil der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung weni­ger weit fort­ge­schrit­ten. Der Aus­län­der wird für das eigene Fehl­ver­hal­ten haft­bar und zum Sün­den­bock gemacht.

Rassismus

Sowohl die bür­ger­li­chen Par­teien wie auch die Sozi­al­de­mo­kra­ten unter­schät­zen nach wie vor die sozia­len, mili­tä­ri­schen und öko­lo­gi­schen Her­aus­for­de­run­gen. Sie haben keine wirk­sa­men Pro­gramme zur Hand. Viele Wäh­ler sind ent­täuscht und suchen neue Leit- und Vor­bil­der. Auf die kom­ple­xen Fra­gen die­ser Zeit geben rechts­extreme Par­teien und neo­na­zis­ti­sche Ver­ei­ni­gun­gen klare Ant­wor­ten. Sie bestä­ti­gen, statt zu ver­un­si­chern. Ihr natio­na­lis­ti­sches Welt­bild bie­tet den Ver­wirr­ten neuen Halt, ihr ras­sis­ti­sches Gedan­ken­gut stärkt die Schwa­chen. Je grös­ser die natio­na­len und glo­ba­len Bedro­hun­gen, desto grös­ser die Sehn­sucht nach geord­ne­ten Ver­hält­nis­sen. Angst und Aggres­sion machen sich Luft in der Dis­kri­mi­nie­rung von Anders­ar­ti­gen. Wer die Eth­nien der Aus­län­der und Flücht­linge zu dege­ne­rier­ten Ras­sen erklärt, ver­birgt damit die eigene Degeneration.

Eine Welle des Frem­den­has­ses über­rollt das Land. Machen wir uns nichts vor: Die meis­ten wer­den auf­sprin­gen, um nicht von ihr begra­ben zu wer­den. Mögen wir ande­ren den Mut auf­brin­gen, in die Kon­fron­ta­tion ein­zu­tau­chen und für die Ver­trie­be­nen und Ver­folg­ten einzustehen. ♦


Gedichte zum Thema Ausländerfeindlichkeit

von Peter Fahr

Kürz­lich

Kürz­lich starben
nahe der syri­schen Grenze
sie­ben jor­da­ni­sche Soldaten
bei einem Selbstmordanschlag
und Jor­da­ni­ens Armee erklärte
die Region zum Kriegsgebiet

Tau­sende syri­sche Flüchtlinge
Män­ner Frauen Kinder
har­ren seit acht Tagen aus
in der jor­da­ni­schen Wüste
ohne Nah­rung und Medizin
ohne Aus­sicht auf Rettung

So viele Vertriebene
die Hälfte davon Kinder
sind aus­ge­lie­fert der Angst
dem Hun­ger dem Fieber
und brau­chen drin­gend Hilfe
in der glü­hen­den Hitze

Die Sonne brennt
Haut und Lip­pen platzen
die Ein­ge­weide verklumpen
der Atem setzt aus
und die lee­ren Augen
der Ver­zwei­fel­ten brechen


Wir sind Touristen

Sie flüch­ten mit Boo­ten aufs offene Meer
und viele ertrin­ken vor die­sen Küsten.
Wir stür­zen uns in die erfri­schende Flut,
als ob wir nichts von den Flücht­lin­gen wüssten.

Wir lie­gen am Strand und träu­men die Tage.
Wir leben gern. Was gehen uns Tote an?
Miet­wa­gen und Hotel­suite klimatisiert.
Pizza und Pasta. Und ein Bier dann und wann.

Wir erho­len uns hier, wir sind Touristen.
Wir cre­men uns mit Schutz­fak­tor 50 ein.
Im Wind­schat­ten wach­sen­der Leichenberge
bräunt uns der lam­pe­du­si­sche Sonnenschein.


Peter FahrPeter Fahr

Geb. 1958 in Bern/CH, Stu­dium der Ger­ma­nis­tik und Kunst­ge­schichte an der Uni­ver­si­tät Bern, zahl­rei­che Lyrik- und Prosa-Ver­öf­fent­li­chun­gen in Büchern, Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten, Autor von Hör­spie­len, poli­ti­schen Gedich­ten und zeit­kri­ti­schen Essays, Trä­ger ver­schie­de­ner Lite­ra­tur­preise, lebt in Bern

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema “Ras­sis­mus” auch über A. Nduka-Agwu: Ras­sis­mus auf gut Deutsch

… sowie Kurz­prosa von Peter Fahr: Begegnung

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