Peter Fahr: Begegnung (Kurzprosa)

Begegnung

Pe­ter Fahr

Sie lern­ten sich am Hoch­zeits­fest ei­nes ge­mein­sa­men Freun­des ken­nen. Bei Tisch sas­sen sie sich ge­gen­über und ka­men mit­ein­an­der ins Ge­spräch. Sie re­de­ten über das Er­eig­nis des Ta­ges. Für Paul war die kirch­li­che Trau­ung der Hö­he­punkt ei­nes ko­mi­schen Thea­ters, in dem sich zwei Men­schen aus Furcht vor flies­sen­der Ver­än­de­rung für ewig an­ein­an­der­zu­ket­ten ver­su­chen. Er war ge­kom­men, sich zu un­ter­hal­ten. Und was hat­te er vor­ge­fun­den? Eine rei­zen­de Frau, die ihm gegenübersass.
Sie war ihm schon in der Kir­che auf­ge­fal­len: Blass, ver­träum­te Au­gen, blon­des Haar, sinn­li­cher Mund. Er be­trach­te­te sie beim Spre­chen und hör­te kaum, was sie sag­te. Für Ka­rin war die Ehe ein hei­li­ges Sa­kra­ment. Zwei Men­schen ent­schie­den sich für­ein­an­der und ge­lob­ten sich Treue und Bei­stand. Das war das Ziel ih­rer Sehn­sucht nach Glück, die Voll­endung mensch­li­chen Da­seins. Das war das Tor zu Gott, dem End­ziel al­len Strebens.
Ka­rin sprach mit flam­men­dem Blick, denn sie spür­te, dass der Mann an ih­ren Auf­fas­sun­gen zwei­fel­te. Sie woll­te ihn schon über­zeu­gen, die­sen halt­lo­sen Skep­ti­ker, der sich mit der täg­li­chen Wirk­lich­keit be­gnüg­te und alle geis­ti­gen Kräf­te leug­ne­te! Sie fühl­te tief in ih­rem In­nern, dass es eine hö­he­re Macht, ein hö­he­res We­sen gab. Sie war durch­drun­gen von ihm.
Als die Ge­sell­schaft ge­gen Abend aus­ein­an­der­ging, lud sie den Mann zu sich nach Hau­se ein. Paul liess sich nicht zwei­mal bit­ten und sag­te so­fort zu. Ihre Woh­nung war ein­fach ein­ge­rich­tet. In je­dem der Zim­mer hing ein Kreuz. Sie lies­sen sich im Wohn­zim­mer nie­der. Sie mach­te Kaf­fee, er ent­zün­de­te drei weis­se Kerzen.
Im fla­ckern­den Schein ih­res Lichts wur­de das Ge­spräch da fort­ge­setzt, wo es ab­ge­bro­chen wor­den war, beim Glau­ben an Gott.
Paul war ver­liebt. Lie­be auf den ers­ten Blick, dar­über hat­te er bis­her nur ge­lacht. Er spür­te das schmerz­li­che Ver­lan­gen, die jun­ge Frau in die Arme zu neh­men. Wäh­rend sie über ein fan­tas­ti­sches Ge­schöpf re­fe­rier­te, ge­noss er ganz ein­fach ihre An­we­sen­heit, ge­noss es, mit ei­ner so auf­re­gen­den Frau zu­sam­men zu sein. Gott war für ihn nur ein Be­griff. Gott war die un­ge­wis­se Zu­flucht vom Schick­sal Ge­zeich­ne­ter. Mit dem Ge­dan­ken an Gott trös­te­ten sich die Ster­ben­den. Gott war eine Er­fin­dung ver­ängs­tig­ter See­len. Paul glaub­te an den Men­schen. Er lieb­te den Men­schen mit all sei­nen Schwä­chen und Stär­ken. Sein Be­mü­hen war es, sich am Le­ben zu freu­en, die ihm ge­ge­be­ne Zeit fröh­lich aus­zu­kos­ten und die Exis­tenz in ih­rer Un­er­gründ­lich­keit anzunehmen.
Ka­rin war ver­tieft in ihre Aus­füh­run­gen: “Der Mensch war erst nur Le­be­we­sen. Er ist es nicht mehr nur, denn der gött­li­che Fun­ke Geist hat sein Ich in Brand ge­setzt. Nun ist er dem blos­sen Le­be­we­sen durch die­se Di­men­si­on über­le­gen. Und den­noch bleibt er ein Wurm, nur sein Schöp­fer zählt, der in ihm lebt. Der Mensch ist die Hül­le des Zu­sam­men­klan­ges von Gotteseigenschaften.”
Paul konn­te sich nicht län­ger zu­rück­hal­ten. Mit ei­ner hef­ti­gen Be­we­gung um­arm­te er Ka­rin, die ent­setzt auf­schrie. Er ver­such­te sie zu küs­sen, doch sie stiess ihn von sich, so dass er rück­lings hin­fiel. Er fühl­te, wie sein Kopf hart auf­schlug. Als das Ge­nick brach, knack­te es leise. ♦


Peter Fahr - Schriftsteller - Glarean MagazinPe­ter Fahr

Geb. 1958 in Bern/CH, Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik an der Uni­ver­si­tät Bern, zahl­rei­che Ly­rik- und Pro­sa-Ver­öf­fent­li­chun­gen in Bü­chern, Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten, Au­tor von Hör­spie­len, po­li­ti­schen Ge­dich­ten und zeit­kri­ti­schen Es­says, Trä­ger ver­schie­de­ner Li­te­ra­tur­prei­se, lebt in Bern

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weis­ses Kreuz auf brau­nem Grund? – Zum Ras­sis­mus in der Schweiz

… so­wie in der Ru­brik Kurz­pro­sa die zwei Tex­te von
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