Interview mit Manuel Friedel (Schach in der DDR)

Nur eine Minderheit wusste vom Leistungssport-Beschluss”

Interview mit dem DDR-Schach-Historiker Manuel Friedel

von Tho­mas Binder

Ende letz­ten Jah­res publi­zierte der junge His­to­ri­ker Manuel Frie­del eine Bache­lor-Arbeit an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Chem­nitz mit dem Titel “Sport und Poli­tik in der DDR am Bei­spiel des Schach­s­ports“: “Die Geschichte des Schach­s­ports in der DDR ist nahezu kom­plett uner­forscht”, stellte dabei Frie­del in die­ser sei­ner Unter­su­chung fest, die für wich­tige Teil­be­rei­che einige wis­sen­schaft­li­che Grund­steine für zukünf­tige For­schungs­ar­beit legte. Um die The­ma­tik zu ver­tie­fen, hat “Glarean”-Mitarbeiter Tho­mas Bin­der dem jun­gen DDR-For­scher ein paar Fra­gen zu sei­nem Buch und des­sen Ergeb­nis­sen gestellt. (Hier fin­den Sie die ganze Bache­lor-Arbeit von Manuel Frie­del)

Glarean Maga­zin: Herr Frie­del, wel­chen Bezug haben Sie per­sön­lich zum Schachspiel?

Manuel Friedel Sport und Politik in der DDR am Beispiel des Schachsports - Glarean Magazin
Manuel Frie­del: Sport und Poli­tik in der DDR am Bei­spiel des Schachsports

Manuel Frie­del: Ich selbst bin ein Ama­teur­schach­spie­ler mit rund 1800 DWZ und spielte einige Jahre für den ESV Nickel­hütte Aue in der Bezirks­liga. Seit 2002 spiele ich aller­dings nicht mehr im Ver­ein, son­dern nur noch gele­gent­lich einige Inter­net­par­tien. Ich ver­folge aber nach wie vor gespannt das inter­na­tio­nale Schach­ge­sche­hen. Ich habe mich auch schon immer für die Geschichte des Schach­spiels interessiert.

GM: Wie kamen Sie eigent­lich auf das Thema Ihrer Bachelor-Arbeit?

MF: Es kamen wohl meh­rere Fak­to­ren zusam­men. Zum einen inter­es­siere ich mich beson­ders für die Deut­sche Geschichte des 20. Jahr­hun­derts, wor­auf ich auch mei­nen Stu­di­en­schwer­punkt gelegt habe, und zum ande­ren inter­es­siert mich, wie ich bereits erwähnt habe, die Geschichte des Schach­spiels. Da kam mir irgend­wann die Idee, meine Abschluss­ar­beit zum DDR-Schach zu schreiben.
Bei mei­nen ers­ten Recher­chen zum DDR-Schach habe ich mit Erstau­nen fest­ge­stellt, dass es noch kein Buch zu die­sem Thema gab. Das sah ich als Her­aus­for­de­rung an, weil ich “Pio­nier­ar­beit” leis­ten musste und mich auf keine Sekun­där­li­te­ra­tur stüt­zen konnte. Ich habe dann mit mei­nen bei­den Dozen­ten, Prof. Kroll und Dr. Thoss gespro­chen, ob sie die Arbeit betreuen wür­den. Sie stimm­ten beide sofort zu, wor­über ich sehr froh war.
Aller­dings berei­tete mir der Man­gel an Quel­len einige Bauch­schmer­zen, wes­halb ich zwi­schen­durch über­legte, das Pro­jekt abzu­bre­chen. Aber meine Freunde haben mir immer wie­der Mut gemacht, die Arbeit zu Ende zu führen.

Einsichtnahme in die Akten des Bundesarchives

GM: War es schwer, für die­ses Thema offene Ohren an der Uni­ver­si­tät zu fin­den, oder sties­sen Sie auf Verständnis?

MF: Wie erwähnt wil­lig­ten beide Dozen­ten sofort ein. Mir kam auch der Umstand zugute, dass Dr. Thoss sich sehr für die DDR und deren Sport­ge­schichte der Neu­zeit inter­es­siert. Er konnte mir des­halb auch sehr wert­volle Hin­weise zu der Arbeit geben.

GM: Wel­che Quel­len konn­ten Sie erschlies­sen? Man­ches war ja wohl bis­her nicht veröffentlicht?

Propaganda-Träger der sozialistischen Schach-Politik: Die ab 1953 einzige in der DDR herausgegebene Schachzeitschrift
Pro­pa­ganda-Trä­ger der sozia­lis­ti­schen Schach-Poli­tik: Die ab 1953 ein­zige in der DDR her­aus­ge­ge­bene Schach­zeit­schrift “Schach”

MF:Ich habe mir einige Akten des Bun­des­ar­chi­ves in Ber­lin-Lich­ter­felde ange­se­hen. Aller­dings konnte ich nicht son­der­lich viele neue Erkennt­nisse gewin­nen. Ich hatte mir von dem Archiv­be­such mehr erhofft.
Ich habe mir dazu sämt­li­che Aus­ga­ben der Zeit­schrift “Schach” bis 1990 ange­se­hen und einige Arti­kel aus dem “Neuen Deutsch­land” und noch ein paar kurze Arti­kel aus ande­ren Zeit­schrif­ten. Wei­ter­hin führte ich zwei Zeit­zeu­gen-Inter­views mit GM Knaak und GM Uhl­mann, die auch sehr hilf­reich waren. Im Inter­net fand ich aus­ser­dem zwei Inter­views mit Ernst Bönsch und Paul Wer­ner Wag­ner, die ich eben­falls mit in die Arbeit ein­flies­sen liess. In eini­gen Büchern gab es hier und dort einen Absatz zum Schach in der DDR, aber es gab eben noch kein Über­blicks­werk zum DDR-Schach.
Meine Arbeit war des­we­gen wie ein Puz­zle, weil es galt, viele kleine Bau­steine zusam­men­zu­set­zen, um einen gro­ben Über­blick zu gewinnen.

Hintergrund-Infos von den DDR-Grossmeistern Uhlmann und Knaak

GM: Sie fan­den Kon­takt zu wich­ti­gen Zeit­zeu­gen, die Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen geben konnten ?

MF: Ja, die Inter­views mit GM Uhl­mann und GM Knaak gaben mir viele Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen, ebenso die Inter­views im Inter­net mit Paul Wer­ner Wag­ner und Ernst Bönsch. Aller­dings stellte sich schnell her­aus und war auch nicht anders zu erwar­ten, dass diese vier Zeit­zeu­gen einige wider­sprüch­li­che Aus­künfte gaben; schliess­lich sind alle vier sub­jek­tiv durch ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen geprägt. Wie heisst es so schön: “Der Zeit­zeuge ist der Feind des His­to­ri­kers”. Es galt also diese Aus­sa­gen zu hin­ter­fra­gen und zu gewich­ten. Ähn­lich sub­jek­tiv gefärbt war natür­lich die Auto­bio­gra­fie von Man­fred Ewald; Auto­bio­gra­fien nei­gen immer dazu, dass eigene Han­deln im Nach­hin­ein zu recht­fer­ti­gen und in ein bes­se­res Licht zu rücken.

GM: Woran liegt es wohl, dass es bis­lang keine umfas­sende Dar­stel­lung des DDR-Schachs gibt?

MF: Ich habe mich auch gefragt, warum zu die­sem inter­es­san­ten Thema noch kei­ner etwas geschrie­ben hat. Eine Ant­wort auf diese Frage weiss ich lei­der auch nicht.

GM: Gab es bis­her erwäh­nens­wer­tes Feed­back auf Ihre Arbeit von Spie­lern oder Funk­tio­nä­ren aus der Zeit des DDR-Schachs?

MF: Nein, bis­her nicht.

Die DDR-Führung hatte kein besonderes Interesse am Schach

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GM: Ich wurde in letz­ter Zeit oft mit dem Gedan­ken kon­fron­tiert, wonach das Schach in der DDR in hohem Anse­hen gestan­den haben müsste, weil es in der Sowjet­union hohe Ach­tung genoss. Haben Sie die­ses Vor­ur­teil auch erfahren?

MF: Ja – aber die DDR-Sports­füh­rung hatte kein beson­de­res Inter­esse am Schach. Sie ver­tei­dig­ten sich immer wie­der mit dem Argu­ment, dass sie das Schach­spiel bereits genug för­dern wür­den, und dass nicht noch mehr Geld für die­sen Sport – sofern er als Sport gese­hen wurde – vor­han­den wäre.
Ich habe vor weni­gen Tagen (also erst nach dem Erschei­nen mei­nes Buches) ein neues Doku­ment (datiert vom 10.April 1987) aus dem Bun­des­ar­chiv Ber­lin-Lich­ter­felde (“Finan­zi­elle Hand­lungs­spiel­räume – Kon­se­quen­zen einer Gleich­stel­lung des soge­nann­ten ‘Sport II’ mit den beson­ders geför­der­ten Sport­ar­ten”) gefun­den, in dem es u.a. heisst: “Nicht zuge­stimmt wer­den kann […] der These, dass bei der Popu­la­ri­sie­rung des Schach­s­ports durch die Mas­sen­me­dien unzu­rei­chende Bei­träge geleis­tet wer­den. Wie keine zweite Sport­art in der DDR ist das Schach Gegen­stand von Bei­trä­gen im ND, in den Orga­nen der Bezirks­lei­tun­gen der SED, in der ‘Jun­gen Welt’, im ‘Sport­echo’ und ande­ren Tages­zei­tun­gen […] Auch das Fern­se­hen und der Rund­funk leis­ten unter Beach­tung der Spe­zi­fik der Dar­stel­lung die­ser Sport­art eine ver­ant­wor­tungs­be­wusste Arbeit […] Die DDR ist das Land, in dem die reich­hal­tigste Schach­li­te­ra­tur in der Welt pro­du­ziert und der Bevöl­ke­rung ange­bo­ten wird”…

GM: Zen­tra­ler Punkt beim Rück­blick auf 40 Jahre Schach in der DDR bleibt der unse­lige ‘Leis­tungs­sport­be­schluss‘. Stimmt es eigent­lich, dass die­sen bis­her nie­mand als Doku­ment gese­hen hat, er nur münd­lich ver­mit­telt wurde?

MF: Wie ich lei­der erst nach Publi­ka­tion mei­ner Arbeit her­aus­ge­fun­den habe, kann man den Beschluss, der auf das Jahr 1969 zurück­geht, in eini­gen Quel­len­pu­bli­ka­tio­nen mitt­ler­weile anse­hen: Der Leis­tungs­sport­be­schluss als Google-Book

Ausländische Versuche das DDR-Schach international zu integrieren

Allgewaltiger Sportschef neben Staatsoberhaupt Honecker: Manfred Ewald (rechts)
All­ge­wal­ti­ger Sports­chef neben Staats­ober­haupt Hon­ecker: Man­fred Ewald (rechts)

GM: Haben Sie bei Ihren Recher­chen Anhalts­punkte dafür gefun­den, dass es unter den füh­ren­den Schach­spie­lern der DDR Ver­su­che des Wider­stands gegen die­sen Beschluss gege­ben hat?

MF: Es gab ins­ge­samt genü­gend Wider­stand gegen die­sen Beschluss. Aber in wie weit die DDR-Spit­zen­spie­ler Wider­stand leis­te­ten oder über­haupt leis­ten konn­ten, kann ich (noch) nicht genau sagen. Es gab auf alle Fälle aus dem Aus­land genü­gend Ver­su­che, die DDR in das inter­na­tio­nale Schach­ge­sche­hen wie­der zu integrieren.

GM: Im Rück­blick über­la­gert die “Dis­kri­mi­nie­rung” der Schach­spie­ler nach 1972 das Bild deut­lich. Umge­kehrt erschei­nen die frü­hen Jahre als eine Blü­te­zeit des DDR-Schachs auch im Spit­zen­be­reich – mit der Olym­piade in Leip­zig 1960 als Höhe­punkt. Hat also der Leis­tungs­sport­be­schluss nicht nur die Wett­kampf­chan­cen der Spit­zen­spie­ler, son­dern auch die öffent­li­che Wahr­neh­mung völ­lig verändert?

MF: Nur eine Min­der­heit wusste von die­sem Beschluss; er wurde schliess­lich nur münd­lich ver­brei­tet. GM Knaak sagte mir, dass er immer wie­der gefragt wurde, warum denn die DDR nicht an der Olym­piade teil­nahm. Die Leute dach­ten, so sagte er mir, dass die DDR zu schlecht sei, um an die­ser Olym­piade teil­zu­neh­men, obwohl man sich nicht für die Olym­piade qua­li­fi­zie­ren musste. Die Ver­wun­de­rung über die Absenz der DDR war also schon da. Die Zeit­schrift “Schach” hat ver­sucht, um die­ses Pro­blem her­um­zu­schrei­ben. Man kann also schon sagen, dass das Image des DDR-Schachs unter die­sem Beschluss gelit­ten hat.

Neue Erkenntnisse in Sachen Leistungssportbeschluss

GM: Da sich Ihr Buch im Rah­men einer Bache­lor-Arbeit in Umfang und Form an eini­gen Stel­len beschrän­ken musste, bleibt die Frage, ob das gesam­melte Mate­rial viel­leicht die Grund­lage einer wei­ter­füh­ren­den Dar­stel­lung sein könnte?

MF: Ich werde die­ses Thema auf alle Fälle wei­ter­ver­fol­gen. Gerade was den “Leis­tuns­sport­be­schluss” angeht, habe ich seit dem Erschei­nen des Buches einige neue Erkennt­nisse hin­zu­ge­won­nen, auch wenn eini­ges noch im Dun­keln liegt und viel­leicht auch lie­gen blei­ben wird.
An der einen oder ande­ren Stelle kann man das Buch mit Sicher­heit auch noch ver­tie­fen. Wenn ich genü­gend neues Quel­len­ma­te­rial gesam­melt und aus­ge­wer­tet habe, werde ich evtl. eine neue Auf­lage des Buches anstreben. ♦

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Schach­for­schung auch über Marion Bönsch-Kauke: Klü­ger durch Schach

…sowie zum Thema Schach und Poli­tik über Boris Gulko u.a.: Der KGB setzt matt – Wie der sowje­ti­sche Geheim­dienst die Schach­welt manipulierte

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