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Mikrowellen beim Schwanenplatz
von Walter Eigenmann
In Luzern, der weltberühmten Innerschweizer “Leuchtenstadt”, geschieht plötzlich Bedrohliches. Unidentified Flying Objects kreisen am Nachthimmel über dem Vierwaldstättersee. Dann verschwinden spurlos Menschen. Schließlich wird ein harmloser Passant getötet, mit einer Mikrowellenwaffe. Cem Cengiz von der Kripo Luzern muss wieder ermitteln – im neuesten Kriminalroman “Lichter über Luzern” der Zürcher Autorin Monika Mansour.
Darf ein Schweizer Krimi mit Aliens in UFO’s beginnen? Eigentlich nicht. Für Mansour selber, die mit “Lichter über Luzern” ihre exakt zehnte Mordgeschichte vorlegt, war der Genre-Mix von Science-Fiction- und Kriminal-Roman denn auch ein literarisches Experiment, wie sie in ihrem Nachwort gesteht. Aber: Entscheidend seien “nicht die Aliens und die Geschichte, die erzählt wird, sondern die Figuren, die darin spielen”. Und so bündelt dieser SciFi-Krimi auf 312 Seiten glaubhafte und weniger glaubhafte Plots, mit abrupt kontrastierenden Handlungsebenen, ständig fluktuierend zwischen schweizerischer Biederkeit und galaktischer Weite, dabei bestückt mit den widersprüchlichsten Charakteren und mit – natürlich – viel Lokalkolorit.
Aliens entführen Hôtelière
Wichtiger Schauplatz, ja Handlungszentrale ist – neben dem berühmten Planetarium – das noble, aber marode Quai-Hotel “Belair”. Dessen jungen Erben, die Zwillinge Jean und Pamela, sind hoch verschuldet. So versuchen die beiden, assistiert von einer ebenso kontrovers zusammengesetzten wie unternehmungslustigen Clique, buchstäblich alles, um dem alten Kasten wieder frischen Schwung und neue Touristen zu bescheren.
Aber angesichts der großen Konkurrenz an den berühmten Promi-Gestaden des Vierwaldstättersees ist das extrem schwierig. Da kommen die plötzliche Entführung der “Belair”-Chefin Pam durch Aliens und die weltweiten, geschäftsfördernden Schlagzeilen zu hundertfach gesichteten, tanzenden UFO-“Lichtern über Luzern” genau zur richtigen Zeit…

Ermittler Cengiz, als Polizist Realist, mag anfänglich nicht an das immer stärker brodelnde Gerücht um verschwundene Luzerner Bürger glauben, die zwar später unversehrt wieder auftauchen, aber meist pudelnass, erinnerungslos und mit stinkend grünem Schleim besudelt. Die Skepsis des Kripo-Beamten gegenüber dem unverhofften Besuch aus dem All verstärkt sich angesichts widersprüchlicher Berichte, obwohl immer mehr bestürzte Menschen von “Sichtungen” berichten und der entsprechende Medien-Hype sogar in Übersee Aufmerksamkeit erlangt. Und dann passiert ein zweiter Mord – wieder mit einer Mikrowellen-Waffe…
Abstruser Plot – mit Unterhaltungswert
Natürlich kommt beim Leser der Hauptstrang des Geschehens haarsträubend, ja gar an den Haaren herbeigezogen rüber. Denn die absurde Vorstellung, dass da ein paar mäßig bezahlte Regionalpolizisten inmitten einer galaktischen Invasion Mordfälle aufklären, hat mit dem oben erwähnten Genre-Konflikt zu tun. Erstaunlich aber, dass der abstruse Plot funktioniert – zumindest über weite Strecken der insgesamt 20 Kapitel hinweg. “Lichter über Luzern” liest sich flott, intellektuelle Arbeit beim Lesen ist keine nötig, doch jeder Abschnitt macht neugierig auf den nächsten – der unterhaltende Mehrwert ist fast durchwegs garantiert.
“Wummmm! – Brrrrkrrrtztz”

Wesentlichen Anteil am Lesevergnügen hat die Sprache des Krimis. Monika Mansour schreibt faktenorientiert, realitätsbezogen, schnörkellos. Auch ihre Dialoge sind meist nicht besonders kommunizierend oder gar psychologisierend, sondern handlungstreibend. Mit dieser Koma-armen, fast rapportierenden Satzgestaltung, die mehr skizziert als erzählt, und einem trotzdem recht variantenreichen Sprach-Duktus, der auch vor Comic-Blasen nicht zurückschreckt – “Wummmm! Brrrrkrrrtztz. Ein Summen.” (S.35) – wird Tempo gemacht, das Geschehen plastisch vorangetrieben. Eine Erzählweise, die das Interesse des Lesers geschickt fokussiert auf die aktuelle Romanhandlung.
Leuchtenstadt ohne Leuchten

Das größte Manko dieses Luzern-Krimis ist allerdings: Luzern findet darin nicht wirklich statt. Natürlich strotzen die 312 Romanseiten vor bekannten und weniger bekannten Locations in und um Luzern. Vom Planetarium bis zum KKL, vom Bireggwald bis zum Tribschenquartier, vom Bahnhof über die Seebrücke zum Schwanenplatz und dann entlang dem Carl-Spitteler-Quai – das alles und noch mehr wird namentlich zitiert.
Aber leider bleibt es bei den bloßen Namen. Der Zauber mancher stillen Quartiere oder der mondäne Glanz weltbekannter Orte oder das historische Fluidum versteckter Gassen oder das einzigartige Naturschauspiel von Stadt und Wasser und Bergen oder auch nur die besondere Poesie der Parks und der vielen Uferwege, ganz zu schweigen vom touristischen Treiben der Stadt am Tage und der stillen Idylle am See in der Nacht – dies alles mit den sensitiven, meinetwegen auch empathischen Mitteln der Sprache einzufangen täte gerade einem Krimi über Luzern gut.
Pointiert: Das Handlungsgerüst würde problemlos auch in Bern oder Genf funktionieren, man müsste nur ein paar Straßennamen ändern. Also trotz “tanzender Lichter” von UFO’s: Die “Leuchtenstadt” leuchtet nicht in “Lichter über Luzern”.
Hervorragendes Handwerk…

Apropos Sprache: Dem Lektorat ist sorgfältige Arbeit zu attestieren. Zwar fielen zuweilen solche Peinlichkeiten wie auf Seite 92: “Vickys Herz pochte in der Brust” (wo soll es auch sonst pochen?), krampfhafte Schweiztümeleien wie auf Seite 36: “Er musste den spontanen Impuls unterdrücken, Jean in die Arme zu nehmen. Ging’s noch? Er kannte ihn ja kaum.” oder ungebräuchliches Slangimportiertes wie auf Seite 37: “Sie ist voll der Burner” durch die Korrekturmaschen. Aber das sind Peanuts, schlimmstenfalls Sprach-Populismus, was hier weder den Lesefluss noch die Spannung beeinträchtigt.
… mit großem Unterhaltungswert
“Lichter über Luzern” wird nicht in die Schweizer Literaturgeschichte eingehen. Das will die Autorin auch gar nicht. Sondern diese will unterhalten. Und das tut sie. Monika Mansour ist routiniert, schreibt sehr gekonnt. In einer Sprache, die etwas wohltuend Unakademisches, Bodenständiges hat – hier scheint wohl die einstige Bauerntochter aus dem Zürcher Unterland durch -, doch mit sehr viel handwerklichem Knowhow zugange ist. Bei nicht wenigen Stellen blitzen auch Dialog-Humor und Situationskomik auf – alles wohldosiert und mit Raffinesse.
Kurzum: Eine empfehlenswerte Lektüre – nicht nur für jene, die mit dem Yoda-Zitat (aus “Star Wars”) einverstanden sind: “Du darfst niemals vergessen: Deine Wahrnehmung bestimmt deine Realität!” ♦
Monika Mansour: Lichter über Luzern – Kriminalroman, 320 Seiten, Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-1610-0
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Krimi auch über Susanne Goga: Der Ballhausmörder
… sowie über Horst Evers: Bumm! (Kriminalgeschichten)
Außerdem zum Thema Innerschweizer Literatur: Die Schweizer Literaturschrift TÄXTZIT („Textzeit“ – Band 12)