Monika Mansour: Lichter über Luzern (Krimi)

 Mikrowellen beim Schwanenplatz

von Walter Eigenmann

In Lu­zern, der welt­be­rühm­ten In­ner­schwei­zer “Leuch­ten­stadt”, ge­schieht plötz­lich Be­droh­li­ches. Uniden­ti­fied Fly­ing Ob­jects krei­sen am Nacht­him­mel über dem Vier­wald­stät­ter­see. Dann ver­schwin­den spur­los Men­schen. Schließ­lich wird ein harm­lo­ser Pas­sant ge­tö­tet, mit ei­ner Mi­kro­wel­len­waf­fe. Cem Cen­giz von der Kri­po Lu­zern muss wie­der er­mit­teln – im neu­es­ten Kri­mi­nal­ro­man “Lich­ter über Lu­zern” der Zür­cher Au­torin Mo­ni­ka Man­sour.

Monika Mansour - Lichter über Luzern - Kriminalroman - Emons Verlag 2022Darf ein Schwei­zer Kri­mi mit Ali­ens in UFO’s be­gin­nen? Ei­gent­lich nicht. Für Man­sour sel­ber, die mit “Lich­ter über Lu­zern” ihre ex­akt zehn­te Mord­ge­schich­te vor­legt, war der Gen­re-Mix von Sci­ence-Fic­tion- und Kri­mi­nal-Ro­man denn auch ein li­te­ra­ri­sches Ex­pe­ri­ment, wie sie in ih­rem Nach­wort ge­steht. Aber: Ent­schei­dend sei­en “nicht die Ali­ens und die Ge­schich­te, die er­zählt wird, son­dern die Fi­gu­ren, die dar­in spie­len”. Und so bün­delt die­ser Sci­Fi-Kri­mi auf 312 Sei­ten glaub­haf­te und we­ni­ger glaub­haf­te Plots, mit ab­rupt kon­tras­tie­ren­den Hand­lungs­ebe­nen, stän­dig fluk­tu­ie­rend zwi­schen schwei­ze­ri­scher Bie­der­keit und ga­lak­ti­scher Wei­te, da­bei be­stückt mit den wi­der­sprüch­lichs­ten Cha­rak­te­ren und mit – na­tür­lich – viel Lokalkolorit.

Aliens entführen Hôtelière

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Wich­ti­ger Schau­platz, ja Hand­lungs­zen­tra­le ist – ne­ben dem be­rühm­ten Pla­ne­ta­ri­um – das no­ble, aber ma­ro­de Quai-Ho­tel “Be­lair”. Des­sen jun­gen Er­ben, die Zwil­lin­ge Jean und Pa­me­la, sind hoch ver­schul­det. So ver­su­chen die bei­den, as­sis­tiert von ei­ner eben­so kon­tro­vers zu­sam­men­ge­setz­ten wie un­ter­neh­mungs­lus­ti­gen Cli­que, buch­stäb­lich al­les, um dem al­ten Kas­ten wie­der fri­schen Schwung und neue Tou­ris­ten zu bescheren.
Aber an­ge­sichts der gro­ßen Kon­kur­renz an den be­rühm­ten Pro­mi-Ge­sta­den des Vier­wald­stät­ter­sees ist das ex­trem schwie­rig. Da kom­men die plötz­li­che Ent­füh­rung der “Belair”-Chefin Pam durch Ali­ens und die welt­wei­ten, ge­schäfts­för­dern­den Schlag­zei­len zu hun­dert­fach ge­sich­te­ten, tan­zen­den UFO-“Lichtern über Lu­zern” ge­nau zur rich­ti­gen Zeit…

Luzern bei Nacht - Lucerne by night - Leuchtenstadt - Kapellbrücke und Wasserturm - Glarean Magazin
Die “Leuch­ten­stadt” Lu­zern bei Nacht

Er­mitt­ler Cen­giz, als Po­li­zist Rea­list, mag an­fäng­lich nicht an das im­mer stär­ker bro­deln­de Ge­rücht um ver­schwun­de­ne Lu­zer­ner Bür­ger glau­ben, die zwar spä­ter un­ver­sehrt wie­der auf­tau­chen, aber meist pu­del­nass, er­in­ne­rungs­los und mit stin­kend grü­nem Schleim be­su­delt. Die Skep­sis des Kri­po-Be­am­ten ge­gen­über dem un­ver­hoff­ten Be­such aus dem All ver­stärkt sich an­ge­sichts wi­der­sprüch­li­cher Be­rich­te, ob­wohl im­mer mehr be­stürz­te Men­schen von “Sich­tun­gen” be­rich­ten und der ent­spre­chen­de Me­di­en-Hype so­gar in Über­see Auf­merk­sam­keit er­langt. Und dann pas­siert ein zwei­ter Mord – wie­der mit ei­ner Mikrowellen-Waffe…

Abstruser Plot – mit Unterhaltungswert

Na­tür­lich kommt beim Le­ser der Haupt­strang des Ge­sche­hens haar­sträu­bend, ja gar an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen rü­ber. Denn die ab­sur­de Vor­stel­lung, dass da ein paar mä­ßig be­zahl­te Re­gio­nal­po­li­zis­ten in­mit­ten ei­ner ga­lak­ti­schen In­va­si­on Mord­fäl­le auf­klä­ren, hat mit dem oben er­wähn­ten Gen­re-Kon­flikt zu tun. Er­staun­lich aber, dass der ab­stru­se Plot funk­tio­niert – zu­min­dest über wei­te Stre­cken der ins­ge­samt 20 Ka­pi­tel hin­weg. “Lich­ter über Lu­zern” liest sich flott, in­tel­lek­tu­el­le Ar­beit beim Le­sen ist kei­ne nö­tig, doch je­der Ab­schnitt macht neu­gie­rig auf den nächs­ten – der un­ter­hal­ten­de Mehr­wert ist fast durch­wegs garantiert.

Wummmm! – Brrrrkrrrtztz”

Bauerntochter, Gelernte Optikerin, Cow-Girl in Amerika, nun erfolgreiche Krimi-Autorin: Monika Mansour (geb. 1973) vor Luzerner Hotel-Kulisse
Bau­ern­toch­ter, ge­lern­te Op­ti­ke­rin, Cow-Girl in Ame­ri­ka, Tä­to­wie­re­rin, seit 2014 er­folg­rei­che Kri­mi-Au­torin: Mo­ni­ka Man­sour (geb. 1973) vor Lu­zer­ner Hotel-Kulisse

We­sent­li­chen An­teil am Le­se­ver­gnü­gen hat die Spra­che des Kri­mis. Mo­ni­ka Man­sour schreibt fak­ten­ori­en­tiert, rea­li­täts­be­zo­gen, schnör­kel­los. Auch ihre Dia­lo­ge sind meist nicht be­son­ders kom­mu­ni­zie­rend oder gar psy­cho­lo­gi­sie­rend, son­dern hand­lungs­trei­bend. Mit die­ser Koma-ar­men, fast rap­por­tie­ren­den Satz­ge­stal­tung, die mehr skiz­ziert als er­zählt, und ei­nem trotz­dem recht va­ri­an­ten­rei­chen Sprach-Duk­tus, der auch vor Co­mic-Bla­sen nicht zu­rück­schreckt – “Wummmm! Brrrr­krrrtztz. Ein Sum­men.” (S.35) – wird Tem­po ge­macht, das Ge­sche­hen plas­tisch vor­an­ge­trie­ben. Eine Er­zähl­wei­se, die das In­ter­es­se des Le­sers ge­schickt fo­kus­siert auf die ak­tu­el­le Romanhandlung.

Leuchtenstadt ohne Leuchten

Einer der Krimi-Schauplätze von "Lichter über Luzern": Das Planetarium im "Verkehrshaus der Schweiz"
Ei­ner der Kri­mi-Schau­plät­ze von “Lich­ter über Lu­zern”: Das Pla­ne­ta­ri­um im “Ver­kehrs­haus der Schweiz”

Das größ­te Man­ko die­ses Lu­zern-Kri­mis ist al­ler­dings: Lu­zern fin­det dar­in nicht wirk­lich statt. Na­tür­lich strot­zen die 312 Ro­man­sei­ten vor be­kann­ten und we­ni­ger be­kann­ten Lo­ca­ti­ons in und um Lu­zern. Vom Pla­ne­ta­ri­um bis zum KKL, vom Bi­r­egg­wald bis zum Trib­schen­quar­tier, vom Bahn­hof über die See­brü­cke zum Schwa­nen­platz und dann ent­lang dem Carl-Spit­te­ler-Quai – das al­les und noch mehr wird na­ment­lich zitiert.

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Aber lei­der bleibt es bei den blo­ßen Na­men. Der Zau­ber man­cher stil­len Quar­tie­re oder der mon­dä­ne Glanz welt­be­kann­ter Orte oder das his­to­ri­sche Flui­dum ver­steck­ter Gas­sen oder das ein­zig­ar­ti­ge Na­tur­schau­spiel von Stadt und Was­ser und Ber­gen oder auch nur die be­son­de­re Poe­sie der Parks und der vie­len Ufer­we­ge, ganz zu schwei­gen vom tou­ris­ti­schen Trei­ben der Stadt am Tage und der stil­len Idyl­le am See in der Nacht – dies al­les mit den sen­si­ti­ven, mei­net­we­gen auch em­pa­thi­schen Mit­teln der Spra­che ein­zu­fan­gen täte ge­ra­de ei­nem Kri­mi über Lu­zern gut.
Poin­tiert: Das Hand­lungs­ge­rüst wür­de pro­blem­los auch in Bern oder Genf funk­tio­nie­ren, man müss­te nur ein paar Stra­ßen­na­men än­dern. Also trotz “tan­zen­der Lich­ter” von UFO’s: Die “Leuch­ten­stadt” leuch­tet nicht in “Lich­ter über Luzern”.

Hervorragendes Handwerk…

Touristen-Hotspot und Mord-Tatort: Schwanenplatz Luzern
Tou­ris­ten-Hot­spot und Mord-Tat­ort: Schwa­nen­platz Luzern

Apro­pos Spra­che: Dem Lek­to­rat ist sorg­fäl­ti­ge Ar­beit zu at­tes­tie­ren. Zwar fie­len zu­wei­len sol­che Pein­lich­kei­ten wie auf Sei­te 92: “Vickys Herz poch­te in der Brust” (wo soll es auch sonst po­chen?), krampf­haf­te Schweiz­tü­me­lei­en wie auf Sei­te 36: “Er muss­te den spon­ta­nen Im­puls un­ter­drü­cken, Jean in die Arme zu neh­men. Ging’s noch? Er kann­te ihn ja kaum.” oder un­ge­bräuch­li­ches Slang­im­por­tier­tes wie auf Sei­te 37: “Sie ist voll der Bur­ner” durch die Kor­rek­tur­ma­schen. Aber das sind Pea­nuts, schlimms­ten­falls Sprach-Po­pu­lis­mus, was hier we­der den Le­se­fluss noch die Span­nung beeinträchtigt.

… mit großem Unterhaltungswert

Lich­ter über Lu­zern” wird nicht in die Schwei­zer Li­te­ra­tur­ge­schich­te ein­ge­hen. Das will die Au­torin auch gar nicht. Son­dern die­se will un­ter­hal­ten. Und das tut sie. Mo­ni­ka Man­sour ist rou­ti­niert, schreibt sehr ge­konnt. In ei­ner Spra­che, die et­was wohl­tu­end Un­aka­de­mi­sches, Bo­den­stän­di­ges hat – hier scheint wohl die eins­ti­ge Bau­ern­toch­ter aus dem Zür­cher Un­ter­land durch -, doch mit sehr viel hand­werk­li­chem Know­how zu­gan­ge ist. Bei nicht we­ni­gen Stel­len blit­zen auch Dia­log-Hu­mor und Si­tua­ti­ons­ko­mik auf – al­les wohl­do­siert und mit Raffinesse.
Kurz­um: Eine emp­feh­lens­wer­te Lek­tü­re – nicht nur für jene, die mit dem Yoda-Zi­tat (aus “Star Wars”) ein­ver­stan­den sind: “Du darfst nie­mals ver­ges­sen: Dei­ne Wahr­neh­mung be­stimmt dei­ne Realität!” ♦

Mo­ni­ka Man­sour: Lich­ter über Lu­zern – Kri­mi­nal­ro­man, 320 Sei­ten, Emons Ver­lag, ISBN 978-3-7408-1610-0

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Kri­mi auch über Su­san­ne Goga: Der Ballhausmörder

… so­wie über Horst Evers: Bumm! (Kri­mi­nal­ge­schich­ten)

Au­ßer­dem zum The­ma In­ner­schwei­zer Li­te­ra­tur: Die Schwei­zer Li­te­ra­tur­schrift TÄXTZIT („Text­zeit“ – Band 12)


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