Hannes Bahrmann: Rattennest – Argentinien und die Nazis

NS-Ungeziefer in Südamerika

von Isabelle Klein

Mit “Rat­ten­nest” ist dem His­to­ri­ker und Jour­na­lis­ten Han­nes Bahr­mann ein gro­ßer Wurf gelun­gen. Er bringt erst­mals popu­lär­wis­sen­schaft­lich zusam­men, was im All­tags­be­wusst­sein bereits fest ver­an­kert ist: Argen­ti­nien hat ein beson­de­res Ver­hält­nis zur NS-Dik­ta­tur und ihren Grö­ßen. Wie und warum genau das so ist, zeigt er uns ein­gän­gig und aus­führ­lich. Nicht immer fes­selnd, aber akri­bisch recherchiert.

Men­gele, Eich­mann, Priebke – Fakt ist, dass mit dem Zusam­men­bruch des Nazi-Regimes nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges viele bedeu­tende Rat­ten über Rat­ten­li­nien das gelobte Land Rich­tung Süd­ame­rika ver­lie­ßen. Dass dies aus gutem Grund geschah und genau die­ses unüber­schau­bare Land in den süd­ame­ri­ka­ni­schen Wei­ten gewählt wurde, ergibt sich aus der Geschichte des Ein­wan­de­rungs­lan­des Argen­ti­nien. Bahr­manns große Leis­tung liegt darin, all diese Ent­wick­lungs­li­nien, die zugrunde lie­gen­den Strö­mun­gen und den damals vor­herr­schen­den Zeit­geist in eins zu bün­deln und fest zu verschnüren.

Argentinisches Netzwerk von Nazi-Verbrechern

Hannes Bahrmann - Autor - Glarean Magazin
Akri­bi­sche Recher­che zu den argen­ti­ni­schen Nazi-Rat­ten: Autor Han­nes Bahrmann

So erklärt er schein­bar ganz neben­bei, aber um so nach­drück­li­cher den Geist der argen­ti­ni­schen Ein­wan­de­rung. Die­ser Geist, der von Anfang an (nach Erlan­gen der Unab­hän­gig­keit) an Ras­sis­mus und wei­ßer Ein­wan­de­rung (in Ver­bin­dung mit der Aus­rot­tung Indi­ge­ner und Afro­ame­ri­ka­ner) gekop­pelt ist, ver­leiht Argen­ti­nien einen ganz “beson­de­ren” Platz unter den Län­dern Südamerikas.
Dies führte unter wech­seln­den Regie­run­gen, gepaart mit einem beson­de­ren Ver­hält­nis zum Deut­schen Mili­tär, der dama­li­gen Reichs­wehr sowie einer aus­ge­klü­gel­ten Orga­ni­sa­tion der NS-Regimes in Orts­ver­bän­den, in den Zwan­zi­gern dazu, dass gene­rell und damals im Beson­de­ren Deut­sche und Deutsch­tum in Argen­ti­nien im All­tag nicht weg­zu­den­ken bzw. eben ganz nor­mal omni­prä­sent waren. So ent­steht auch im Wei­te­ren das Bild eines weit­ver­zweig­ten Spin­nen­net­zes, in des­sen Mitte schließ­lich Perón – über dem Atlan­tik – mit sei­nen bra­ven Deutsch-Argen­ti­ni­ern thront.

Überdosis an Faktenwissen

Anzeige Amazon: Das Verschwinden des Josef Mengele - Olivier Guez (Roman)
Anzeige

Bahr­manns Buch ver­liert, trotz akri­bi­scher Recher­che, zwei Dinge aus den Augen. Ers­tens über­schwemmt er den inter­es­sier­ten Laien mit geschicht­li­chem Fak­ten­wis­sen  – heute würde man sagen, der Leser wird zuge­spammt. Dar­über hin­aus über­mü­det Bahr­mann mit viel zu vie­len Namen. Und so ver­schenkt er das, was das Buch über die gelun­gene (mit­un­ter eben aus­ufernde) Zusam­men­schau der Geschichte hin­aus zu etwas sehr Anschau­li­chem und Ein­gän­gi­gem hätte machen kön­nen: Den stär­ke­ren Ein­be­zug von Ein­zel-Schick­sa­len, die den Geist der All­tags­kul­tur erwe­cken und die Lek­türe – so wie im eben­falls kürz­lich erschie­ne­nen “Februar 33 – Der Win­ter der Lite­ra­tur” von Uwe Witt­stock – damit zu etwas ganz beson­ders Ein­dring­li­chem gemacht hätte.
Denn zwar wird z.B. der Ein­zel­per­son Eich­mann ein gan­zes Kapi­tel gewid­met, und einige andere wie Tank wer­den eben­falls aus­schnitts­weise ein­ge­bun­den. Ansons­ten geht es aber viel zu sehr um Perón, des­sen Ent­schei­dun­gen, des­sen Poli­tik, und um seine Evita.

Fehlende Schilderung der NS-Einzelschicksale

Lei­der ver­säumt also Bahr­mann das oben bereits Ein­ge­for­derte, obwohl er gekonnt mit einer Bege­ben­heit aus dem Leben einer argen­ti­ni­schen Schau­spie­le­rin aus dem Jahre 1965 in das Buch ein­steigt und so das “Sta­ti­sche” zum Leben erweckt. Gut gelun­gen auch die Epi­sode um das deutsch-argen­ti­ni­sche Ehe­paar Eich­horn, das in Argen­ti­nien ein Hotel betreibt und in Deutsch­land gar den Füh­rer trifft.

Sie möch­ten das GLAREAN MAGAZIN mit einer klei­nen Spende unter­stüt­zen? Hier geht’s zu Pay­Pal:

Damit stellt sich sowohl im ers­ten als auch im let­zen Drit­tel beim Leser leichte Ernüch­te­rung ein, wenn man im über­frach­te­ten Geschichts­wis­sen um Graf Spee fest­steckt und sich spä­tes­tens nach dem Kapi­tel “Rat­ten­li­nien” ein Mehr an Rat­ten wünschte – sprich die Fokus-Ver­schie­bung weg von Argen­ti­nien hin zu den NS-Rat­ten, ihren Gepflo­gen­hei­ten, ihrem All­tag und ihren wei­te­ren Befind­lich­kei­ten – kurz zu dem, was ein sol­ches Buch eben leben­di­ger machte. Also: Nicht nur Namen wie Priebke, Bar­bie, Rosch­mann, Braun, Kamm­ler, Tha­lau, Mül­ler, Alvens­le­ben, von Oven, usw. in den Ring wer­fen, son­dern eini­gen genauer nach­spü­ren. Man möchte mehr über Fritz Mandl/Hedy Lamarr, über die Eich­manns und deren All­tags­be­geg­nun­gen erfah­ren, das wäre mei­nes Erach­tens auf­schluss­rei­cher als der durch­gän­gige Argentinien-Fokus.
Doch immer­hin ver­söhnt dann wie­der der Epi­log, wo vir­tuos eine Ver­bin­dung zum heu­ti­gen Argen­ti­nien und des­sen aus dem Peró­nis­mus resul­tie­ren­den Pro­ble­men gezo­gen wird. ♦

Han­nes Bahr­mann: Rat­ten­nest – Argen­ti­nien und seine Nazis, 270 Sei­ten, Ch.-Links Ver­lag, ISBN 978- 3-96289-128-2

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Lite­ra­tur und Natio­nal­so­zia­lis­mus auch über Jürg Amman: Der Kommandant

Außer­dem zum Thema NS-Ver­bre­chen über H.J. Neu­mann & H. Eberle: War Hit­ler krank?

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)