Lorenz Merz (Regie): Soul of a Beast

Wild, animalisch, schön, frei

von Katka Räber

End­lich konn­te in Lo­car­no wie­der das In­ter­na­tio­na­le Film­fes­ti­val – un­ter Co­ro­na-Schutz­mass­nah­men – über die Piaz­za Gran­de ge­hen. Welch eine Wohl­tat, welch ein Fest der Sin­ne! Für mich war dies­mal der Spiel­film „Soul of a Be­ast“ des Re­gis­seurs Lo­renz Merz der her­aus­ra­gen­de Schwei­zer Beitrag.

War­um gehe ich ins Kino? Was er­war­te ich von ei­nem Ki­no­be­such? Was ge­ben mir Fil­me? Mit Fil­men kann ich rei­sen, auch ganz weit, ohne ins Flug­zeug stei­gen zu müs­sen. Ein Ki­no­be­such ist im­mer bil­li­ger als je­der Easy-Jet-Flug – und für die Um­welt viel ge­sün­der. Fil­me kön­nen mich in die ent­fern­tes­ten Land­schaf­ten ent­füh­ren. Sie brin­gen mir frem­de Kul­tu­ren, frem­de Le­bens­ar­ten, frem­de Schick­sa­le nä­her. Ich kann mich iden­ti­fi­zie­ren – oder ge­ra­de um­ge­kehrt: Mei­ne Po­si­ti­on dif­fe­ren­zie­ren. Ich kann Em­pa­thie mit den Protagonist/Inn/en emp­fin­den oder mich mit mei­ner Mei­nung ab­gren­zen. Fil­me re­gen mich an, lie­fern Dis­kus­si­ons­stoff, ver­lei­ten zum Träu­men oder ver­mit­teln mir neue In­for­ma­tio­nen, neue Lö­sun­gen von Le­bens­pro­ble­men. Oder (last but not least) sie un­ter­hal­ten mich und brin­gen mich auf neue oder an­de­re Gedanken.

Jung, leidenschaftlich, authentisch

Filmfestival Locarno 2021 - Soul of a Beast - Movie Cover - Glarean MagazinVie­les da­von deckt für mich der her­aus­ra­gen­de Schwei­zer Film „Soul of a Be­ast“ ab, bei dem ei­gent­lich nur die „schwi­zer­düt­schen“ Dia­lo­ge dar­auf hin­wei­sen, dass es ein hel­ve­ti­scher Strei­fen ist.
Der Film ist jung, lei­den­schaft­lich, schnell, au­then­tisch und stark. Die Ge­schich­ten des jun­gen Man­nes Ga­bri­el, der als Tee­nie in Zü­rich Va­ter ge­wor­den ist und jetzt als al­lein­er­zie­hen­der Ju­gend­li­cher sei­nes ca. drei­jäh­ri­gen Soh­nes zwi­schen Ver­ant­wor­tung und sei­ner ju­gend­li­chen Le­bens­freu­de und Lust am Aus­pro­bie­ren und Aus­lo­ten von Gren­zen pendelt.

Hier­zu wird das Pu­bli­kum auf eine hin­reis­sen­de Art mit­ge­nom­men. Zoé, die eben­falls noch nicht voll­jäh­ri­ge Mut­ter des klei­nen Ja­i­mie, ist im Ge­gen­satz zum wil­den Skate­board­fah­rer Ga­bri­el, der zu­sam­men mit sei­nem Freund Joel das ur­ba­ne Zü­rich un­si­cher macht, ein ver­wöhn­tes Kind der Zür­cher Gold­küs­te und in ih­rem ste­ten Dro­gen­rausch als Mut­ter nicht zu ge­brau­chen. Ga­bri­el ver­liebt sich in die Freun­din sei­nes Freun­des Joel, in die un­ge­zähm­te Corey, die ge­ra­de auf dem Sprung ist zu ih­rem Va­ter nach Süd­ame­ri­ka. Jun­ges, wil­des Ver­lieb­sein, Ei­fer­sucht und Ge­füh­le von Ver­rat und Freund­schaft, von Ver­ant­wor­tung und Traum.

Schöne junge Menschen im Gefühlschaos

Soul of a Beast - Schweizer Spielfilm - Ella Rumpf - Film-Rezensionen GLAREAN MAGAZIN
„Schö­ne jun­ge Men­schen im Ge­fühls­cha­os“: Ella Rumpf

Ich habe sel­ten die­se Zer­ris­sen­heit von ju­gend­li­cher Un­be­küm­mert­heit, Ri­si­ko­be­reit­schaft und Ver­ant­wor­tung auch kör­per­lich auf der Lein­wand dar­ge­stellt ge­se­hen und da­durch im ei­ge­nen In­ne­ren als Er­in­ne­rung er­lebt. Da stimmt der wil­de Rhyth­mus, die Bil­der­fol­ge, her­vor­ra­gend durch die Ka­me­ra ein­ge­fan­gen, die schau­spie­le­ri­sche Leis­tung al­ler Mit­wir­ken­den, ein­schliess­lich des klei­nen Jaimie.
Ob­wohl auch Dro­gen und gros­se Ge­fah­ren eine Rol­le spie­len, schaut man den schö­nen jun­gen Men­schen in ih­rem Ge­fühls­cha­os ger­ne zu. Das fast ani­ma­li­sche Ge­fühl des Wun­sches nach Frei­heit, das fil­mi­sche Ein­fan­gen der jun­gen Se­xua­li­tät und der Zer­ris­sen­heit zwi­schen Wunsch­träu­men und Wirk­lich­keit sind sehr mensch­lich und fein­füh­lig dar­ge­stellt. Die See­le ei­nes wil­den Tie­res schlum­mert in so man­chem jun­gen Men­schen. Wehe, wenn sie losgelassen…

Soul of a Be­ast“ hät­te ich so­gar den Gol­de­nen Leo­par­den ge­gönnt, was ich sonst prak­tisch noch nie bei Schwei­zer Pro­duk­tio­nen in Er­wä­gung ge­zo­gen habe. Wo­bei man sich kei­nes­wegs im­mer mit den Prot­ago­nis­ten iden­ti­fi­zie­ren muss, um mit Sym­pa­thie und Em­pa­thie an ih­rer Sei­te zu ste­hen. Es war der au­then­ti­sche Rhyth­mus und Ton der Bil­der und die Echt­heit der jun­gen Ge­füh­le, die mich fil­misch ab­so­lut über­zeugt ha­ben. Herausragend. ♦

Lo­renz Merz (Re­gie): Soul of a Be­ast – Spiel­film, mit Pa­blo Ca­prez, Ella Rumpf, Luna Wed­ler, Tona­ti­uh Rad­zi u.a., 100 Minuten

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Schwei­zer Film auch über Thaïs Oder­matt: Ama­zo­nen ei­ner Grossstadt

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