Roger Monnerat: Flügel zum Nichtfliegen (Gedichte)

Zu nahe an der Prosa

von Bernd Giehl

Wenn man die neuen (eher kur­zen) Gedichte in “Flü­gel zum Nicht­flie­gen” des Bas­ler Schrift­stel­lers Roger Mon­nerat nach­ein­an­der liest – sagen wir jeden Abend ein paar, was durch­aus mög­lich ist -, dann stellt sich nach und nach der Ein­druck ein, hier beschreibe einer ein Leben. Ver­mut­lich sein eige­nes, denn er scheint ziem­lich ver­traut damit zu sein.

Roger Monnerat: Flügel zum Nichtfliegen - Gedichte, 136 Seiten, Morio Verlag, ISBN 978-3-945424-77-3Zumeist sind es all­täg­li­che Situa­tio­nen, die Mon­nerat beschreibt. Das erste Gedicht beginnt tat­säch­lich mit dem Auf­wa­chen am Mor­gen, und das ein­zig Uner­war­tete ist, dass die Erde ste­hen bleibt, wäh­rend der Prot­ago­nist auf­steht, obwohl er ihr doch befoh­len hat, sich wei­ter­zu­dre­hen – aber dar­aus folgt nichts.

Und so geht es wei­ter. Manch­mal stutzt man, so beim Gedicht Nr. 3, wo Mon­nerat sei­nen Gar­ten beschreibt und plötz­lich fragt: “Wie sähe unser Brun­nen / für die toten Kin­der aus?”
Aber das gehört natür­lich dazu, denn eine Lyrik, die man immer wei­ter­le­sen kann, ohne auch nur ein­mal den Kopf zu heben und zu blin­zeln, ist zumin­dest in der Moderne nicht vorgesehen.

Mit der Kawasaki nach Italien

Abge­ho­ben sind die Gedichte jeden­falls nicht. Tank­stel­len kom­men vor, eine Kawa­saki 550, mit der der Prot­ago­nist nach Ita­lien fährt, auch von Sexua­li­tät ist die Rede. Zitat:

66

Mono­tone Stun­den auf der Autobahn.
Ziga­ret­ten ange­brannt und hinübergereicht,
im Radio Musik, die weg­rauscht und wiederkehrt.

Spä­ter kleine Städte, die Namen
gleich wie­der vergessen,
aber vom letz­ten Mal erin­nert, ein Bistro,
mit Spie­geln an den Wän­den. Gegen­über ein Tabac
und unter Pla­ta­nen alte Män­ner auf Stühlen
im lan­gen stei­ner­nen Brun­nen­trog plant­schen Kinder.

Petra Krause hat das gemocht. Wer­ner Sauber,
auf dem Weg hin­un­ter ans Meer.

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Eigent­lich bräuchte es keine Zei­len­brü­che. Es könnte auch der Anfang einer Rei­se­be­schrei­bung sein. Nur die letz­ten bei­den Zei­len irri­tie­ren, weil man nicht weiss, ob das eine Erin­ne­rung an Men­schen ist, die man nicht kennt, oder eine Meta­pher, die man nicht versteht.

Manch­mal setzt Mon­nerat sich auch mit der Lyrik ande­rer Dich­ter aus­ein­an­der. So zum Bei­spiel in Gedicht Nr. 75 mit Wil­liam Car­los Wil­liams berühm­tem Poem So much depends on a red wheel bar­row:

75

Ob viel von der mit Regenwasser
gefüll­ten roten Stosskarette
unter weis­sen Hühnern
abhängt, ist Ansichtssache

Gut gemacht scheint mir
Cyrano de Ber­ge­racs Nachtigall
die, auf einem hohen Ast sitzend,
sich tief unten im hel­len Bach
zwi­schen den Stei­nen gespie­gelt sieht
und glaubt, sie sei ertrunken.

Gewiss kann man über Wil­liams‘ Gedicht dis­ku­tie­ren, weil es so kurz und schein­bar banal ist, aber ob man dar­über wie­derum ein Gedicht schrei­ben sollte, erscheint mir doch fragwürdig.
Andere Gedichte erzäh­len in kur­zen Skiz­zen von Erfah­run­gen, die fast jeder kennt:

81

Wo ein Haus zwi­schen Bir­ken steht
Und Wäsche auf­ge­spannt an der Leine hängt
Werfe ich die Last ab und will bleiben.

Du stehst am Fens­ter und siehst mich mit Erstaunen.

Kennst du mich noch?

Gibt es einen anderen?

Hast du Kin­der? Und wie viele?

Vor der Garage steht ein Motorrad.
Fahr­rä­der lie­gen im Gras.

Ich schul­tere meine Last und gehe.

Das Wie­der­se­hen mit Men­schen, die man ein­mal geliebt hat, ist ein bekann­tes Thema in der Lite­ra­tur. Mon­nerat hätte zwei­fel­los mehr dar­aus machen kön­nen; Wenn man das Bild von der “Last” abzieht, könnte das auch “nur” eine Kurz- bzw. Kür­zest­ge­schichte sein.

Wahr­schein­lich ist es dies, das mich stört: Mon­ner­ats Gedichte schei­nen mir zu wenig ver­dich­tet, zu nah an der Prosa zu sein. Mehr oder weni­ger sind es plane All­täg­lich­kei­ten, aus­ge­hend von einer Beob­ach­tung oder einem Gedan­ken – und oft steht am Ende die Moral von der Geschicht‘.
Man kann sich damit zufrie­den­ge­ben. Für mein Emp­fin­den ist es ein biss­chen zu wenig. ♦

Roger Mon­nerat: Flü­gel zum Nicht­flie­gen – Gedichte, 136 Sei­ten, Morio Ver­lag, ISBN 978-3-945424-77-3

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Gedichte auch über Jörg Schieke: Antiphonia

… sowie über den Lyrik-Band von Peter Klu­sen: Augenzwinkernd

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