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Zeitportait – Weichspülgang oder Entschleunigung?
von Isabelle Klein
Vielfalt statt Tanz auf dem Vulkan, das ist der Anspruch, dem sich die Autorin Susanne Goga in ihrem neuen Krimi “Der Ballhausmörder” gemäss Klappentext stellt. Und doch scheitert sie an einer spannenden, sich entwickelnden und runden Darstellung in diesem siebten “Fall für Leo Wechsler”.
Die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sind spätestens seit Kutschers Verfilmung des “Nassen Fisches” unter dem TV-Serientitel “Babylon Berlin” in aller Munde. Exzesse, Superlative, Pomp. Laster und schnelle Schnitte, so ist’s dem Mainstream wohl am liebsten – aber weniger ist mehr. Insofern hebt sich Goga mit ihrem Anliegen und ihrer Serie, die immerhin 2005 mit “Leo Wechsler” premierte, also zwei Jahre vor Kurschers Erstling um Gereon Rath, wohltuend ab.
Es fängt gelungen an. Ein stimmungsvoller Abend in Clärchens Ballhaus mit all den Nöten und Freuden der Besucher und Bediensteten mündet in einen tragischen Mord, Folge einer Verwechslung, wie recht schnell klar wird. Doch die stimmige Exposition, die mit Lunapark, Ballhäusern, Saalschwestern, Ringvereinen und einer spannenden Eingangslage starten kann, wird schnell obsolet, verliert sich im langatmigen und ereignislosen Spurensuchen, das mehr oder weniger zufällig zum Ergebnis führen. Ein Bonbonpapier als ausschlaggebendens Indiz, dazu eine recht offensichtlich konstruierte Fährte in Verbindung mit Wechslers Tochter – das ist zu schwach für einen guten Krimi.

Und Susanne Goga kann es fraglos besser: In “Nachts am Askanischen Platz” gelang es ihr, das “cozy” Erscheinungsbild ihrer ersten Romane, die definitiv eher an die weibliche Leserschaft gerichtet sind, aufzubrechen. Tiefer die Abgründe und Gefühle dort, spannender die Krimihandlung und die Nebenschauplätze sowieso.
Ohne Flair für falsche Fährten
Wo bleibt hier das Flair des Ballhauses, wo bleiben die falschen Fährten und Verwicklungen, die andere so gelungen aufgreifen und vertiefen?
Ich denke an Angelika Felendas Kommissär Reitmeyer, der bislang in drei Fällen in München in den Zehner Jahren des 20. Jahrhunderts ermittelt, aber mit wesentlich mehr Alltagswissen und menschlicher Tiefe. Oder Robert Baurs mit “Mord in Metropolis” beginnende, bislang dreiteilige Serie um einen Berliner Exkommissar und Privatdetektiv, der Wechslers Kollege hätte sein können, der brillant die Zeit und Umstände schildert. Ebenso wie Harald Gilbers, der selbiges zu Ende des Zweiten Weltkrieges ansiedelt (bislang vier Bände).
Leider gelingt es Susanne Goga für meinen Geschmack nicht, diesen Fall glaubhaft und vor allem empathisch und spannend dem Leser nahezubringen. Auch wenn der Fall in sich logisch und stringent ist, mäandern wir bzw. Wechsler vor uns hin, ringen mit Beziehungsproblemen des vorübergehend strafversetzen und dadurch vollkommen aus der Spur geratenen Kollegen Walther, der den Tritt nicht mehr zu finden scheint.
Nur auf dem Papier, nicht im Kopf
Im zu erwartenden Band 8 wird er so wohl für noch mehr NS-Probleme stehen, die derzeit ja durch die Ex-HJ-Mitgliedschaft des Wechsler’schen Nachwuchses Georg stattfinden. Dies erinnert wiederum stark an die Probleme, die Gereon und Charlotte Rath mit ihrem Adoptivsohn haben.
Kurz: Die Figuren sind zu schematisch und dienen durchweg einem bestimmten Zweck, statt einfach für sich selbst zu stehen und sich sinnigerweise weiterzuentwickeln. Sie bleiben durchgängig dem Papier verhaftet, statt sich im Kopf des Lesers zu entwickeln. Clara, Magda und Wechslers Tochter bleiben schmückendes Beiwerk, ohne Substanz. Ebenso wie viele der zu Beginn Eingeführten um Clairchens Ballhaus. Auch der Mörder bleibt – trotz der psychologischen Unterfütterung und dem kurzen Blick ins Innere sowie einer sechs Jahre zurückliegenden Tat – eine Papierleiche, die alles zwar plausibel erscheinen lässt, aber emotional eindimensional und merkwürdig belanglos bleibt.
Kurz: 320 Seiten, die durchaus nett zu lesen sind, aber bei einem gewissen Anspruch und bei Vertrautheit mit der damaligen Zeit, den Lebensumständen und historischen Ereignissen nicht zu überzeugen vermögen. ♦
Susanne Goga: Der Ballhausmörder (Kriminalroman), 320 Seiten, dtv-Verlag, ISBN 978-3-423-21808-5
Lesen Sie im Glarean Magazin auch über den Krimi von Jo Nesbø: Messer (Komissar Harry Hole Band 12)
Liebe Isabelle Klein. ich danke dir, dass du auf die Romane von Kutscher und Goga hinweist. Ich finde sie sollten heute Pflichtlektüre sein. Sie zeigen der Leserschaft, wie sich die Verhältnisse im Berlin und im Deutschland der Zwanziger- und Dreissigerjahre langsam und für viele fast unmerklich verändert haben bis hin zur grossen Katastrophe. Geschildert aus der Sicht des Alltäglichen. Die Zeichen waren schon lange vor der Katastrophe sichtbar, aber für die Menschen wohl aufgrund fehlender historischer Vergleiche schlecht zu deuten. Wer die Romane liest, wird bemerken, dass heute ähnliche Zeichen zu sehen sind. Wir haben den Vorteil des historischen Vergleichs – zum Beispiel aufgrund dieser Romane. – Ich finde die Romane von Kutscher aus verschiedenen Gründen interessanter als die von Goga: Er zeigt alle möglichen Verstrickungen, zum Beispiel das Engagement alter Kämpfer aus dem 1. Weltkrieg, die Synergien zwischen Verbrecherbanden und Nazi-Verbänden, die komplexen Verhältnisse zwischen Kriminalpolizei, SA und SS. Die Figuren bei Kutscher sind widersprüchlicher, von Fritze und Charlie über Gereon bis zu Gennat und Marlow. Man muss bei Kutscher auch Grausamkeiten aushalten, aber das gehört zu dieser Zeit. Kurz: Kutschers Romane geben ein schärferes Bilder. – Ein anderer interessanter Roman zu dieser Zeit ist Edgar Rai: “Im Licht der Zeit.” Es geht um Marlene Dietrich, Emil Jannings und die Entstehungsgeschichte des Films “Der blaue Engel”. Eine Darstellung des Endes der wilden Zwanziger und des Beginns der düsteren Dreissiger. Alles aus der Perspektive der Filmkünstler. Interessant auch die Beteiligung der Medienmogule am Aufstieg der Nazis.