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Kunst und Tod in Barcelona
von Isabelle Klein
Ein Mann, mit bulliger Statur, allein in einem nächtlichen Labyrinth, umzingelt von düsteren, fremdartig tätowierten Gestalten, das ist der Ausgangspunkt der Graphic Novel “Dein Tod – Mein Kunstwerk” des Gespanns Philippe Berthet (Zeichnungen) & Raúl Anisa Arsís Raule (Szenario).
Die faszinierende Covergestaltung von Berthet und das Vorwort von Raule legen die Erwartungen hoch: Ein Barcelona, wie man es im Film Noir findet, eine mysteriöse Geschichte, die die Schatten der Vergangenheit wiederauferstehen lässt, verratene Gefühle, Lebenslügen – kurzum: Von allem etwas dabei und auf knapp 64 Seiten, das verspricht spannende Unterhaltung.
Die Geschichte ist kurz, aufs Wesentliche verdichtet und spielt mit Archetypen. Da wäre der bullige, grauhaarige Pariser Cop Philippe Martin, der mit seiner gebrochenen Nase und Schlagkunst dem Charakter des harten Bullen mit sensiblem Kern alle Ehre macht. Ein Abschiedsbrief einer 25-jährigen Kunststudentin namens Emma Bellamy Martin erfordert seine Ankunft in Barcelona, einer Stadt, die er kennt und liebt. Die junge Frau scheint seine Tochter zu sein, so sagt es wenigstens der Abschiedsbrief. Er begegnet der Frau wieder, die ihn 25 Jahre zuvor Knall auf Fall verlassen hat. Sie beschwört ihn, den Mord an der Tochter aufzuklären, denn sie weiss sicher, dass die lebenslustige Emma, die gerade an ihrer Doktorarbeit schrieb, sich nie das Leben genommen hätte.
Thema im Thema
Ein gefälschter Abschiedsbrief, ein unsteter Freund, ein potentieller Verschmähter und eine wütende Mitbewohnerin halten den Kriminalkommissar in Atem, bis er im furiosen Finale seiner Nemesis begegnet. Was “Dein Tod – Mein Kunstwerk” reichlich aufweist, sind skurrile Gestalten und das Spiel mit der noir-typischen Rückblende.

Ein wenig Ästhetizismus, indem das Autor-Zeichner-Gespann die Ballade “The Lady of Shalott” von Alfred Tennyson aufgreift und das Thema der Graphic Novel zum Thema im Thema macht; dazu Jacques Brel und weisse Schokolade, zwei Dinge, die Vater als auch Tochter lieb(t)en und einen Vaterschaftstest unnötig machen, denn das Herz schlägt im Gleichtakt; ein kleiner Verweise auf Otto Premingers Film Noir “Laura” (USA 1944) mit der grandiosen Gene Tierney – solche Dinge lassen das Herz des (Film-)Enthusiasten höher schlagen. Gleich der undurchschaubaren Laura ist Martins Ex eine femme fatale, die letztlich nicht wirklich zu verstehen ist. In ihrer Tochter Emma findet sie ein jüngeres Pendant, das leider recht amorph bleibt. Hier wären stärkere Akzente nicht verkehrt gewesen.
Unterhaltsam und fesselnd
Keine Frage, “Dein Tod – Mein Kunstwerk” ist eine kleine feine Graphic Novel. Sie weiss zu unterhalten und zu fesseln. Sie spielt mit Rückblenden, Kontrasten und zeigt ein dunkles Barcelona jenseits von zafonseker Düsternis. Und doch bleibt die Wirkung des Comics durch die recht kompakte Länge begrenzt und kommen bspw. Motive zu kurz. Das Konzept ist gut, aber die Umsetzung hätte durch Länge an Vielschichtigkeit und Tiefe gewonnen, was gerade für den Vater, die Tochter und den/die Täter von grossem Vorteil gewesen wäre. Warum wird das Vorgehen der Mörder nicht detaillierter und dadurch weniger stereotyp erklärt?
Der Autor, der das geheimnisvolle Barcelona zum Leben erwecken will, tut das m. E. in der Zusammenarbeit mit Colorist und Cartoonist nicht wirklich zielsetzend. Zu hell die Farben, zu einfach die Szenerie. Teils wäre dann doch ein zafoneskes Element morbiden Charmes angebracht, ein Zusammenspiel von Licht und Schatten, monochromen Kontrasten und Schattenwürfen, ebenso, wie es der Film Noir der 40er und 50er inszeniert. Gelegentlich kommt solches dann aber doch vor, wenn z. B. in der Leichenhalle eine Frosch-/Fluchtperspektive bedrohlich ein Rollbett in den Vordergrund rückt (S. 6) und die Decken unnatürlich schwarz sind (S. 6 und 7). Selbst Kleinigkeiten wie die im Schwarz verschwindenden Augen Philippes nach seiner Erschütterung im Angesicht von Leiche und Abschiedsbrief überlässt der Zeichner nicht dem Zufall (S. 9, oben links).
Wenn aber schon der Verlag explizit auf den Noir-Charakter verweist, hätten Berthet/Raule solche Raffinesse noch öfter anlegen können. Allgemein wirkt das Cover, das das Element Wasser und den Tod mit einem Hauch von Gefahr als auch Liebe grossformatig vereint, auf mich sehr reizvoll. Doch wie schon erwähnt, kann man diesem geheimnisvoll anziehenden Titelmotiv durch die Kürze der Geschichte nicht annähernd gerecht werden. ♦
Philippe Berthet & Raule: Dein Tod – Mein Kunstwerk (Graphic Novel), 64 Seiten, schreiber&leser Verlag, ISBN 978-3-96582-001-2
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema skurril-groteske Literatur auch von Martin Stauder: Morderverdacht
sowie die Groteske von Beatrice Nunold: …und die Welt ist eine Scheibe
Ausserdem zum Thema Graphic Novel über Yuval Noah Harari: Sapiens – Der Aufstieg