Philipp Schwenke: Das Flimmern der Wahrheit (Karl May-Roman)

Glanz und Elend eines deutschen Mythos

von Christian Busch

Nun sehen wir sie end­lich von Ange­sicht zu Ange­sicht – die schon fast legen­dä­ren Bluts­brü­der Old Shat­ter­hand und Win­ne­tou, den weis­sen Mann, der über das Grosse Was­ser kam, um im Wes­ten eine neue Hei­mat zu fin­den und Hel­den­ta­ten zu ver­rich­ten, die ihm unsterb­li­chen Ruhm ein­tra­gen soll­ten, und den letz­ten Häupt­ling der Apat­schen, der bedin­gungs­los sein Leben ein­setzt, wenn es gilt, dem Recht zum Siege zu ver­hel­fen, den aber bereits die Tra­gik sei­ner sich im Todes­kampf noch ein­mal auf­bäu­men­den Rasse über­schat­tet. Mit ihnen durch­que­ren wir die Höhen und Tie­fen des gewal­ti­gen Fel­sen­ge­bir­ges, mit ihnen rei­ten wir über die end­lo­sen Wei­ten der ame­ri­ka­ni­schen Prä­rien, mit ihnen erle­ben wir das grosse Aben­teuer eines gna­den­lo­sen Kamp­fes um den Besitz mär­chen­haf­ter Reichtümer.

So ver­heis­sungs­voll und klang­voll-pathe­tisch begann 1962 mit “Der Schatz im Sil­ber­see” die höchst erfolg­rei­che Ver­fil­mung der bereits von Mil­lio­nen Lesern ver­schlun­gen Aben­teuer-Romane des deut­schen Schrift­stel­lers Karl May (1842-1912). Mit ihnen erlebte das Werk des schon zu Lebe­zei­ten viel­fach ange­foch­te­nen, gebür­ti­gen Sach­sen, das zuvor gerne als Lügen­werk und für die Jugend gefähr­lich ein­ge­schätzt wurde, eine neue Renais­sance, wel­che dank lau­fend neuer Medien und schliess­lich einer kom­plet­ten Neu­ver­fil­mung bis heute anhält.

Motivisch zugespitzte Momente

Philipp Schwenke - Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste - Karl May - Rezension Glarean MagazinIn sei­nem jüngst erschie­ne­nen Karl-May-Roman “Das Flim­mern der Wahr­heit über der Wüste” begibt sich Phil­ipp Schwenke nun auf die Spu­ren des kei­nes­wegs unum­strit­te­nen und unbe­schol­te­nen Autors, der – als des ver­meint­li­chen Pudels Kern – es stets mit der Wahr­heit nicht so genau genom­men hatte. So beglei­ten wir May auf sei­nen weni­gen, ech­ten Rei­sen in den Ori­ent, erle­ben Sze­nen sei­ner Ehe im gesell­schaft­li­chen Umfeld sei­ner säch­si­schen Hei­mat, und sei­nen stän­di­gen, mit­un­ter gro­tesk anmu­ten­den Kampf, wenn es darum geht, bewei­sen zu müs­sen, dass er sowohl erfah­re­ner, unüber­wind­li­cher West­mann wie Welt­mann und Spra­chen­ta­lent ist.
Dabei erliegt Schwenke nicht der Ver­su­chung einer lücken­los chro­no­lo­gi­schen Dar­stel­lung, son­dern bedient sich aus­ge­wähl­ter, moti­visch zuge­spitz­ter Momente aus dem Leben Mays, um ihn in sei­nem aller­dings wun­des­ten Punkt und gröss­ten Dilemma, dem von Wahr­heit und Schwin­del, zu beleuch­ten. So sind wir Zeuge, wie May für das etwas lange und nicht gänz­lich abge­si­cherte “Aus­lei­hen” einer Uhr um seine ganze Lauf­bahn gebracht wird und sich von dort an der Kampf mit Wahr­heit und Gesetz durch sein Leben zieht. Da der Roman – und das ist durch­aus zweck­ge­bun­den – auf über 600 Sei­ten einige Län­gen auf­weist, so neh­men wir aus­gie­big teil an Mays ambi­va­len­tem Dasein, bli­cken hin­ter die Kulis­sen sei­ner schmu­cken Villa Shat­ter­hand in Rade­beul, das mit­un­ter sur­real-absurde Ehe­le­ben mit sei­ner ers­ten Frau Emma, die nicht unpi­kante Drei­ecks­be­zie­hung zwi­schen Emma, sei­ner zwei­ten Frau Klara und ihm, sein gro­tesk-komi­sches Schei­tern, wenn er auf der Höhe sei­ner Roman­hel­den han­deln soll, und erken­nen nicht zuletzt sei­nen zwei­fel­los red­li­chen Ver­such, den Deut­schen im Kai­ser­reich ein pazi­fis­ti­scher Erzie­her und Ver­mitt­ler zwi­schen den Ras­sen zu sein.

Glanz und Elend eines Ungewöhnlichen

Philipp Schwenke - Karl-May-Roman - Glarean Magazin
Bio­graph eines Unge­wöhn­li­chen: Karl-May-Roman­cier Phil­ipp Schwenke (geb. 1978)

Glanz und Elend sind dabei untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben, denn so wahr­heits­ge­treu und authen­tisch Mays Erzäh­lun­gen vom “weis­sen Mann, der über das Grosse Was­ser kam” und dem “edlen Wil­den” auch schei­nen, so wenig Wahr­heit ist doch an ihnen, wodurch sie auch um die Jahr­hun­dert­wende für die deut­sche Presse ein gefun­de­nes Fres­sen wer­den. Gerade kläg­lich erscheint Mays Ver­such die Exis­tenz des Häupt­lings der Apat­schen mit einer schwar­zen Haar­lo­cke zu bewei­sen. So erle­ben wir Mays Qua­len im Ver­lauf sei­ner fort­schrei­ten­den Bloss­stel­lung nicht ohne Ver­wun­de­rung, ist doch für unsere Zeit der Wahr­heits­ge­halt bel­le­tris­ti­scher Romane fast völ­lig unwich­tig, spä­tes­tens seit Nietz­sches stig­ma­ti­sie­ren­der Erkennt­nis der Dich­ter als Lüg­ner und Nar­ren (“nur ein Dich­ter! ein Thier, ein lis­ti­ges, rau­ben­des, schlei­chen­des, das lügen muss, das wis­sent­lich, wil­lent­lich lügen muss“). Mays Ver­häng­nis waren dabei indes nicht seine Erzäh­lun­gen, son­dern ledig­lich seine Behaup­tung, dass sie wahr seien.

Fazit: Phil­ipp Schwen­kes Karl-May-Roman erweckt die schil­lernde Figur des gros­sen, säch­si­schen und längst zum natio­na­len Mythos gewor­de­nen Erzäh­lers Karl May – auf wis­sen­schaft­li­chem Fun­da­ment und akri­bi­scher Arbeit fus­send – auf ehren­volle, aber auch ent­my­thi­sie­rende Weise zum Leben. Ein spä­tes Denk­mal, eine aktu­elle Wür­di­gung in unse­rer Zeit. Feh­len am Ende nur noch Mar­tin Bött­chers Film­me­lo­dien zum Abschluss einer gelun­ge­nen, spä­ten Rehabilitierung…

Zum Vor­schein kommt in Schwen­kes Roman, der auf minu­tiös recher­chier­ten Erkennt­nis­sen der Karl-May-For­schung basiert und des­sen Ver­dienst es nicht etwa ist, Spek­ta­ku­lä­res, Sin­gu­lä­res auf­zu­de­cken, son­dern das hin­ter­grün­dig Bedeut­same an dem schein­bar Sen­sa­tio­nel­lem sicht­bar zu machen, daher ein viel­schich­ti­ger Mensch, der sei­nen Lesern in einem glei­chen dürfte – ein Mann aus ein­fachs­ten, ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen, der auf der einen Seite begie­rig nach Aner­ken­nung und sozia­lem Auf­stieg lechzt, der aber auf der ande­ren Seite ein ehr­li­ches und auf­rich­ti­ges Inter­esse hat Welt und Men­schen zu ver­bes­sern, darin sei­nem bewun­der­ten Vor­bild Fried­rich Schil­ler ähn­lich. Und wie viele Leser, die genau jene erha­bene ethisch-mensch­li­che Hal­tung und Unbe­sieg­bar­keit von Mays Hel­den ange­zo­gen hat, bezeu­gen mit ihrem Sinn für das Aus­ser­ge­wöhn­li­che ihre eigene Nichtgewöhnlichkeit?
Wo Sein und Schein in einem Span­nungs­feld lie­gen, ist für alles Platz, nur nicht für Mit­tel­mäs­sig­keit, Stumpf­sinn und Klein­mut – May (und Schwenke) sei Dank! ♦

Phil­ipp Schwenke: Das Flim­mern der Wahr­heit über der Wüste – Ein Karl-May-Roman, 608 Sei­ten, Kie­pen­heuer & Witsch Ver­lag, ISBN 978-3-462-05107-0

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Karl May auch über Karl May und seine Zeit – Bil­der-Texte (Bio­gra­phie)

…sowie zum Thema Bio­gra­phien über Domi­nik Riedo: Nur das Leben war dann anders

aus­ser­dem im GLAREAN zum Thema Rei­se­er­zäh­lun­gen über den Roman von Ger­win van der Werf: Der Anhalter

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