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Ein Täter wider den Trend
von Horst-Dieter Radke
Eine alleinerziehende Mutter in Wien verliert ihren Job an einer Tankstelle, weil sie einer Prominenten untersagt hat, Bilder aus dem Kindergarten, auf denen auch ihr Sohn zu sehen ist, zu posten. Ein stiller Verehrer, der von Anfang an als Sonderling gezeichnet wird, bekommt das mit und will Rache nehmen für die Angebetete. Die Tochter der Familie, die für die Entlassung verantwortlich ist, will er entführen und so auf das Problem aufmerksam machen, dass Eltern Bilder ihrer Kinder öffentlich machen ohne dass diese eine Chance haben, sich dagegen zu wehren. Der Gatte ist ausserdem noch ein Politiker, der gerade im Wahlkampf steht und auf Populismus setzt. Die ganze Sache läuft aber aus dem Ruder und endet schlimmer als geplant.
Die Hässlichkeit unserer Onlinekultur
Leser, die einen Thriller mit zeitaktuellem Thema lesen wollen, bekommen diesen in dem neuen Roman “Fotomord” von Patrick Worsch auch geliefert, aber anders als erwartet. Spannungsmomente sind dünn gesät, stattdessen gibt es seitenlange Dialoge, in denen Meinungen und Vorstellungen ausgebreitet werden, auch von Personen, die nur am Rande auftauchen und keine handlungstragenden Rollen spielen. Das Thema selbst – Veröffentlichen von privaten Fotos, insbesondere von Kindern, in aller Öffentlichkeit – wird zwar immer wieder aufgegriffen, aber meistens in extremer, von der Normalität abweichender Form.
Das Figurenpersonal ist meist grob verzerrt gezeichnet: Stillvogel, der alte Nachbar des Sonderlings Trommler, den dieser freiwillig und unentgeltlich zur Dialyse fährt, ist ein negativer, schimpfender, sich in Zoten ausdrückender und überheblicher Mitbürger, wie wir ihn uns alle auch in der gemässigten Form nicht wünschen. Der Bruder jener arbeitslos gewordenen Frau ist ein assimilierter Serbe, der wunderbar das Negativbild der Balkaneuropäer spiegelt. Als sich später die Presse und die ganze Gesellschaft gegen ihn wendet, weil er plötzlich verhaftet wird und als Täter gilt – was er nicht ist –, wird dieses Bild noch gröber. Im zweiten Teil gibt es Einschübe mit Hashtag, die die Onlinekultur unserer Zeit in all ihrer Hässlichkeit zeigen. Einzig hierbei geht es aber letztendlich harmloser zu als in der Realität.
Stilistisch entwicklungsfähig, aber facettenreich
Kein richtiger Thriller, keine spannende Lektüre, übertriebene Darstellung des Romanpersonals – lohnt es sich denn, diesen Roman zu lesen? Doch, das lohnt sich durchaus, nämlich vor allem dann, wenn man sich auf diesen “anderen Thriller” einzulassen bereit ist. Man legt den Thriller “Fotomord” vielleicht öfters aus der Hand, als man es bei diesem Genre gewöhnt ist, aber man denkt möglicherweise auch mehr über die einzelnen Facetten der Übertreibungen – bei Personen und Handlung – nach. Der anfangs sehr im Trüben bleibende Trommler, den man sich zunächst gar nicht richtig vorstellen kann, gewinnt nach und nach Kontur, bis er zum Schluss in seiner ganzen Zerrissenheit, aber deutlich vor dem inneren Auge des Lesers steht. Dies ist gut gelöst worden, zumal er, obwohl Täter, der Protagonist des Romans ist. Antagonist ist jemand anderes.
Zu raten ist dem Autor aber für seine folgenden Bücher, bei den überlangen Dialogen lieber etwas zu kürzen. Und das Lektorat sollte sein Augenmerk vielleicht ein wenig auf die umgangssprachlichen Details richten. Es ist zum Beispiel so oft von “Schnallen” die Rede, das man dann doch hier und da irritiert ist… ♦
Patrick Worsch: Fotomord (Roman), 632 Seiten, CreateSpace Publishing (Kindle Edition – Amazon), ISBN 978-3-200-05609-1
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Kinder auch über den Roman von
Christine Drews: Sonntags fehlst du am meisten
… sowie über den neuen Roman von
Edgar Rai: Halbschwergewicht
Habe den Roman ebenfalls gelesen, fand ihn eigentlich spannend, vor allem hat der Autor wirklich ein brandwichtiges Thema angepackt, das er literarische von allen Seiten interessant beleuchtet. Für mich eine der interessantesten Neuerscheinungen über die Risiken der modernen Social Medias. In meinem Bekanntenkreis kenne ich einige Eltern, die keine Hemmungen haben, Fotos ihrer Kinder online zu stellen… Ohne zu überlegen, was das für Konsequenzen haben kann… Ich bin nicht gegen FB & Co, aber man muss damit umgehen. Patrick Worschs Buch kann da aufklärend wirken, es legt den Finger auf eine Wunde… Eine Mahnung!!!
Ingrid Wolf