Franz Schubert & Jörg Widmann: Oktette (CD)

Qualitätsvolle Interpretation “exotischer” Kammermusik

von Christian Schütte

Das Oktett ist eine exo­ti­sche Form inner­halb der Kam­mer­mu­sik: Nur wenige Kom­po­nis­ten haben über­haupt für diese Beset­zung geschrie­ben, und eine ein­heit­li­che Beset­zungs­form gibt es auch nicht.
Franz Schu­bert hat zwei Oktette geschrie­ben, eines nur für Holz­blas­in­stru­mente und Horn, und eben jenes Oktett in F-Dur für Kla­ri­nette, Fagott, Horn, Streich­quar­tett und Kon­tra­bass. Er knüpft damit an ein Vor­bild an, näm­lich Lud­wig van Beet­ho­vens Sep­tett op. 20, das bis auf die zweite Vio­lin­stimme genau so besetzt ist wie Schu­berts Oktett. Bei aller Refe­renz an die­ses Werk ist Schu­berts Kom­po­si­tion doch ein höchst indi­vi­du­el­les Stück, das vor allem Hin­weise dar­auf gibt, was er mit dem Werk beabsichtigte.

Den Weg zur grossen Sinfonie angebahnt

Franz Schubert / Jörg Widmann: Oktette; Avi-Service for music, Doppel-CDForm und Dimen­sion des Schu­bert­schen Oktetts sind in mehr­fa­cher Hin­sicht gross. Nicht nur, dass mit einer Gesamt­länge von etwas über einer Stunde das Oktett den zur Ent­ste­hungs­zeit übli­chen Rah­men der Dauer von Kam­mer­mu­sik sprengt, auch in der for­ma­len Anlage wollte Schu­bert offen­bar hoch hin­aus. Einer­seits erklärte er selbst, sich mit dem Oktett den “Weg zur gros­sen Sin­fo­nie” bah­nen zu wol­len – was er kurze Zeit spä­ter auch tat –, ande­rer­seits ist die Anlage in sechs Sät­zen gar nicht sin­fo­nisch, lässt äus­ser­lich viel­mehr Anknüp­fungs­punkte an mehr­sät­zige For­men wie Suite oder Diver­ti­mento ver­mu­ten. Man kann darin genauso gut ein Expe­ri­men­tie­ren mit ver­schie­de­nen Satz­for­men erken­nen, um auf diese Weise ein wenig für die “grosse Sin­fo­nie” zu üben. Wie dem auch sei, das Oktett ist somit in vie­ler­lei Hin­sicht ein bemer­kens­wer­tes Stück, das kom­po­si­to­risch durch­weg mit hoher Raf­fi­nesse der Satz­ge­stal­tung, far­ben­rei­chem Aus­lo­ten der Instru­mente, kraft­vol­ler rhyth­mi­scher und fili­gra­ner melo­di­scher Gestal­tung für sich ein­nimmt. Auch mit dem Gegen­über von kon­zer­tan­ten und sin­fo­ni­schen For­men spielt Schu­bert hier aus­gie­big, scheint etwa der Beginn des zwei­ten Sat­zes Ada­gio ein Kla­ri­net­ten­kon­zert en minia­ture zu sein.

“Raf­fi­nier­ter Satz, kraft­volle Rhyth­mik, fili­grane Melo­dik”: Auto­graph des 1. Sat­zes von Schu­berts Oktett in F-Dur, D 803

Jörg Wid­mann hat sich in sei­nem recht umfang­rei­chen kam­mer­mu­si­ka­li­schen Schaf­fen immer wie­der unmit­tel­bar auf Franz Schu­bert bezo­gen. Für das Arte­mis-Quar­tett etwa, das einige sei­ner Streich­quar­tette zur Urauf­füh­rung brachte, ist es schon eine kleine Tra­di­tion gewor­den, Wid­manns und Schu­berts Streich­quar­tette in ihren Pro­gram­men mit­ein­an­der zu ver­bin­den – ganz im Sinne des Komponisten.

Erstmalige Einspielungen

Jörg Wid­manns Oktett aus dem Jahr 2004 ist auf der Dop­pel-CD nun erst­ma­lig ein­ge­spielt. Im direk­ten Ver­gleich zu sei­nen Streich­quar­tet­ten etwa fällt beim Oktett sofort auf, dass Wid­mann sich hier wesent­lich stär­ker an der musi­ka­li­schen Welt Schu­berts ori­en­tiert. Zwar las­sen gleich in den ers­ten Tak­ten bestimmte Har­mo­nien erken­nen, dass hier ein zeit­ge­nös­si­scher Kom­po­nist am Werk war, der diese weni­gen Har­mo­nien in ein Klang­bild mit Remi­nis­zen­zen sowohl an Schu­bert als auch an nach­ro­man­ti­sche Strö­mun­gen zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts ein­flech­tet. Was beim ers­ten Hin­hö­ren noch ver­wun­dert, ent­fal­tet sich im Ver­lauf immer mehr zu einem Ein­druck gekonn­ter und klug kal­ku­lier­ter Refe­renz an Schu­bert. Nicht um blos­ses Nach­emp­fin­den geht es hier, das würde dem Kom­po­nis­ten Wid­mann auch in kei­ner Weise ent­spre­chen. Im Lauf des Stücks bewegt sich Wid­mann viel­mehr immer wei­ter von Schu­bert weg, ein Aus­gangs­punkt zu Beginn stösst gleich­sam eine Ent­wick­lung an, das kom­po­si­to­ri­sche Vor­bild immer freier zu behan­deln. Dabei erreicht Wid­mann frei­lich auch nicht die Schubert’schen Dimen­sio­nen. Gut 25 Minu­ten brau­chen die fünf Sätze, deren Titel erken­nen las­sen, dass Wid­mann eine sehr viel inti­mere, zurück­ge­zo­ge­nere Auf­fas­sung von sei­nem Stück hat. Intrada, Menu­etto, Lied ohne Worte, Inter­mezzo, Finale – das klingt alles sehr viel spie­le­ri­scher, auch ein­fa­cher als bei Schu­bert –, was jedoch kei­nes­wegs simp­ler oder schlich­ter bedeutet.

Das orchestral-sinfonische Moment betont

Jörg Widmann - Klarinettist - Glarean Magazin
Kla­ri­net­tist Jörg Widmann

Die musi­ka­li­sche Aus­füh­rung bei­der Werke ver­dient gröss­tes Lob. Schliess­lich ist das Instru­men­ta­lis­ten-Oktett auch mit vor­züg­li­chen Musi­kern besetzt. Jörg Wid­mann selbst spielt Kla­ri­nette, Dag Jen­sen Fagott, und Sibylla Mahni Horn. Das Strei­cher-Quin­tett ist beim Wid­mann-Oktett zusam­men­ge­setzt aus Wid­manns Schwes­ter Caro­line und Flo­rian Don­de­rer, Vio­li­nen, Hanna Wein­meis­ter, Viola, Gus­tav Rivi­nius, Cello, sowie Yasun­ori Kawa­hara, Kon­tra­bass. Das Schu­bert-Oktett spie­len Isa­belle van Keu­len und Vero­nika Eberle, Vio­li­nen, Rachel Roberts, Viola, Tanja Tetzlaff, Cello, und Yasun­ori Kawa­hara, Kontrabass.
Bei Schu­bert legen die Musi­ker in ihrer Inter­pre­ta­tion gros­sen Wert dar­auf, das orches­trale, sin­fo­ni­sche Moment des Wer­kes zu beto­nen, ohne dabei in einen zu gro­ben, dick­flüs­si­gen Klang zu fal­len – alles bleibt leicht, trans­pa­rent und durch­hör­bar, macht in den kom­ple­xer instru­men­tier­ten Pas­sa­gen dabei gleich­wohl fast ver­ges­sen, dass doch nur acht Instru­mente betei­ligt sind.

Breitwandigen Klang angestrebt

Sowohl das Oktett von Schubert als auch jenes von Jörg Widmann wird von den ausführenden Kammermusikern auf dieser CD-Novität aus dem Hause Avi-Music sehr transparent, sehr durchhörbar interpretiert. Eine interessante Gegenüberstellung - insgesamt eine deutliche Empfehlung für Freunde der - auch etwas spezielleren - Kammermusik.
Sowohl das Oktett von Schu­bert als auch jenes von Jörg Wid­mann wird von den aus­füh­ren­den Kam­mer­mu­si­kern auf die­ser CD-Novi­tät aus dem Hause Avi-Music sehr trans­pa­rent, sehr durch­hör­bar inter­pre­tiert. Eine inter­es­sante Gegen­über­stel­lung – ins­ge­samt eine deut­li­che Emp­feh­lung für Freunde der – auch etwas spe­zi­el­le­ren – Kammermusik.

Diese Inter­pre­ta­ti­ons­weise setzt sich in Wid­manns Stück fort, wobei die Musi­ker hier einen wesent­lich breit­wan­di­ge­ren Klang anstre­ben, der Wid­manns eher hori­zon­tal ange­legte Kom­po­si­ti­ons­struk­tur nach­emp­fin­det. Dabei klin­gen die Far­ben der ver­schie­de­nen Instru­mente ganz ähn­lich wie bei Schu­bert. Das ver­langt Wid­manns Stück an den Stel­len, an denen er sich gezielt auf Schu­bert bezieht; andere Pas­sa­gen ver­lan­gen dem­ge­gen­über ganz andere Far­ben, sol­che der Musik des 21. Jahr­hun­derts. Die Musi­ker ver­ste­hen es, die­sen Spa­gat kon­ge­nial umzu­set­zen. Die Ein­spie­lung ist ins­ge­samt eine unbe­dingte Emp­feh­lung für Freunde der – auch etwas spe­zi­el­le­ren – Kammermusik. ♦

Franz Schu­bert & Jörg Wid­mann: Oktette; Avi-Ser­vice for music, Dop­pel-CD, Pro­duk­tion im Auf­trag von Deutsch­land­ra­dio, (Live-Auf­nahme vom Kam­mer­mu­sik-Fes­ti­val Span­nun­gen – Kon­zert im Was­ser­kraft­werk Heim­bach / Juni 2009), LC 15080, Ste­reo, DDD

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… sowie zum Thema Kam­mer­mu­sik über David Gor­ton: Tra­jec­to­ries (CD)


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