Michael Kleeberg: Das amerikanische Hospital (Roman)

Geschundene Seelen

von Günter Nawe

Er stand auf der Long­list der Vor­schlä­ge zum Deut­schen Buch­preis 2010, hat es aber lei­der nicht in die Short­list der sechs ver­meint­lich bes­ten Ro­ma­ne die­ses Jah­res ge­schafft. Das ist zu be­dau­ern. Denn Mi­cha­el Klee­berg ge­hört zwei­fels­frei zu den be­deu­tends­ten deut­schen Au­toren der Ge­gen­wart – und der neue Ro­man „Das ame­ri­ka­ni­sche Hos­pi­tal“ zu den wich­tigs­ten und schöns­ten Neuerscheinungen.

Michael Kleeberg: Das amerikanische Hospital - RomanKlee­berg, be­reits viel­fach preis­ge­krönt, hat sich vor al­lem mit Ti­teln wie „Der Kö­nig von Kor­si­ka“ und „Karl­mann“ ei­nen Na­men ge­macht. Aus­ser­dem ist er als her­vor­ra­gen­der Über­set­zer be­kannt. Zum Bei­spiel von Mar­cel Prousts „Com­bray“ und „Eine Lie­be Swanns“ – bei­de al­ler­dings eher bril­lan­te „Nach­dich­tun­gen“.
Jetzt also „Das ame­ri­ka­ni­sche Hos­pi­tal“, ein Buch, in dem Klee­berg sehr ein­dring­lich Zeit­ge­schich­te und Pri­vat­ge­schich­te mit­ein­an­der ver­bin­det, tief in die See­len sei­ner Prot­ago­nis­ten ein­taucht, so­zu­sa­gen mit dem li­te­ra­ri­schen Se­zier­mes­ser die ver­schie­de­nen Schich­ten offenlegt.

Sensible und eindringliche Schilderung einer Annäherung

Pa­ris 1991. In der Emp­fangs­hal­le ei­nes ame­ri­ka­ni­schen Hos­pi­tals tref­fen sich Hé­lè­ne und Da­vid. Sie, fran­zö­si­sche Mit­tel­schicht, möch­te sich per In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on ei­nen lang­ge­heg­ten Kin­der­wunsch er­fül­len. Er, ame­ri­ka­ni­scher Sol­dat, ist we­gen sei­ner Trau­ma­ta und Pa­nik-At­ta­cken, die er aus dem ers­ten Irak-Krieg da­von­ge­tra­gen hat, in psych­ia­tri­scher Behandlung.
Sen­si­bel und sehr ein­dring­lich schil­dert Mi­cha­el Klee­berg die Än­nä­he­rung die­ser bei­den Men­schen. Er er­zählt von den Er­fol­gen und Miss­erfol­gen ih­rer „Be­hand­lun­gen“. Die kon­tra­punk­ti­sche An­la­ge des Bu­ches er­mög­licht es dem Le­ser, sich von ver­schie­de­nen Sei­ten her dem The­ma Klee­bergs zu nä­hern: Der Frag­wür­dig­keit tech­ni­scher, po­li­ti­scher und bü­ro­kra­ti­scher Fak­to­ren auf das Le­ben des In­di­vi­du­ums im 20. Jahrhundert.

Michael Kleeberg - Glarean Magazin
Mi­cha­el Kleeberg

Hé­lè­ne un­ter­zieht sich im­mer wie­der der tech­nisch-nüch­ter­nen Pro­ze­dur, die die Re­pro­duk­ti­ons­me­di­zin bie­tet, um sich den Kin­der­wunsch zu er­fül­len. Und je­des­mal er­folgt auf die Hoff­nung die Ent­täu­schung. „A bloo­dy mess“ – ein tra­gi­sches Er­leb­nis folgt auf das nächs­te. Die see­li­schen Fol­gen sind unübersehbar.
Da­vid, Li­te­ra­tur- und Ly­rik­fan und Sol­dat, lei­det an den see­li­schen Be­schä­di­gun­gen, die sei­ne Teil­nah­me am ers­ten Irak-Krieg her­vor­ge­ru­fen ha­ben. Post­trau­ma­ti­sche Be­las­tungs­stö­run­gen nennt man das. Ein­fa­cher ge­sagt: Es sind die Bil­der, die sich ihm ein­ge­brannt ha­ben – von den Ibis­sen, die eine Öl­la­che mit ei­nem See ver­wech­seln und elen­dig­lich zu Grun­de ge­hen. Oder von den Kin­dern, die in Bas­ra von ei­ner Bom­be zer­fetzt wer­den. „A bloo­dy mess“ auch hier und für ihn.

Gute Dialoge korrespondieren mit der Aussenwelt

Ein fesselnder Roman, der den Leser im wahrsten Sinne des Wortes mitnimmt; atmosphärisch dicht und sprachlich brillant. Grosse Literatur, die eindringlich von Individuen erzählt, die Zeitgeschichte nicht nur erleben, sondern an sich selbst erfahren.
Ein fes­seln­der Ro­man, der den Le­ser im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes mit­nimmt; at­mo­sphä­risch dicht und sprach­lich bril­lant. Gros­se Li­te­ra­tur, die ein­dring­lich von In­di­vi­du­en er­zählt, die Zeit­ge­schich­te nicht nur er­le­ben, son­dern an sich selbst erfahren.

Sie möch­te neu­es Le­ben schaf­fen; er in ein neu­es Le­ben zu­rück­fin­den. Auf die­ser Ebe­ne fin­den sie sich, kom­men sie sich nä­her. Klee­berg, bril­lan­ter Er­zäh­ler, der er ist, schil­dert auf sehr prä­zi­se Wei­se die­se Er­leb­nis­se und Vor­komm­nis­se. Vor al­lem aber sind es Hé­lè­ne und Da­vid, die sich nach und nach da­von er­zäh­len: Von ih­rem Le­ben, von der Li­te­ra­tur, die sie bei­de ken­nen und lie­ben, und von sich selbst und ih­ren ge­schun­de­nen See­len – und auf die­se Wei­se eine The­ra­pie ab­sol­vie­ren, die er­folg­rei­cher ist als jene der Ärz­te des ame­ri­ka­ni­schen Hos­pi­tals. Eine „Ob­jek­ti­vie­rung“ des Er­zähl­ten er­folgt qua­si durch eine drit­te Per­son in die­sem „Zwei­per­so­nen­stück“, durch den ei­gent­li­chen Er­zäh­ler, der am Ende so et­was wie ein Re­su­mee zieht, wenn er von den Brie­fen er­zählt, die sich Hé­lè­ne und Da­vid ge­schrie­ben ha­ben – und von der Tren­nung Hé­lè­nes von ih­rem Mann.

Die aus­ge­zeich­ne­ten Dia­lo­ge zwi­schen Hé­lè­ne und Da­vid, in de­nen sich ihr In­nen­le­ben dar­stellt, kor­re­spon­die­ren mit der Aus­sen­welt, den Bil­dern, die Klee­berg von den Spa­zier­gän­gen der bei­den durch Pa­ris, durch den Hos­pi­tal­park, über den Père Lachai­se zeich­net. Auch die­se Bil­der hei­len. Und wenn sich am Ende bei­de zwar nä­her ge­kom­men sind, sich aber dann doch tren­nen, so ge­schieht das ir­gend­wie ver­söhnt – mit ih­rem Schick­sal, mit sich selbst und ein we­nig auch wie­der mit der Welt. ♦

Mi­cha­el Klee­berg: Das ame­ri­ka­ni­sche Hos­pi­tal, 232 Sei­ten, Deut­sche Ver­lags-An­stalt, ISBN 978-3-421-04390-0

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Lie­be und Ge­sell­schaft“ auch über Anke Ge­bert: Die Sum­me der Stun­den (Ro­man)

… so­wie zum The­ma Medizin&Spital über die Bio­gra­phie von Eric Bau­mann: Ei­nen Som­mer noch

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