Christoph Wünsch: Satztechniken im 20. Jahrhundert

Systematischer Einblick in moderne Kompositionsverfahren

von Wal­ter Eigenmann

Auf nur et­was mehr als 200 Buch­sei­ten ei­nen eben­so sys­te­ma­ti­schen wie mög­lichst voll­stän­di­gen kom­po­si­ti­ons­theo­re­ti­schen Ein­blick in eine 100-jäh­ri­ge Ent­wick­lung der sti­lis­ti­schen bzw. satz­tech­ni­schen Mit­tel in Form ei­nes ei­gent­li­chen Lern­pro­gram­mes zu prä­sen­tie­ren ist ein schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen. Denn be­reits an­fangs des vo­ri­gen Jahr­hun­derts wer­den bis­lang “epo­chal” be­stim­men­de Sti­le ab­ge­löst durch das Ne­ben­ein­an­der ei­ner Viel­zahl neu­er kom­po­si­to­ri­scher Ver­fah­ren, “Schul-Bil­dun­gen”, Per­so­nal­sti­le, kurz: sub­jek­tiv ent­wi­ckel­ter und ge­mein­ter, aber dann prä­gen­der In­di­vi­dua­tio­nen, ge­ra­de vom kom­po­si­to­risch zen­tra­len Be­reich des Satz­tech­ni­schen aus­ge­hend. Trotz­dem hat nun der an der Würz­bur­ger Mu­sik­hoch­schu­le leh­ren­de Wis­sen­schaft­ler, Kom­po­nist und Mu­si­ker Chris­toph Wünsch in sei­ner neu­en Mo­no­gra­phie “Satz­tech­ni­ken im 20. Jahr­hun­dert” – er­schie­nen als Band 16 der Rei­he “Bä­ren­rei­ter Stu­di­en­bü­cher Mu­sik” – eine Art “Ka­non der Nor­men” (wie lo­cker ein sol­cher auch ge­se­hen wer­den muss) auf­grund der wich­tigs­ten kom­po­si­ti­ons­tech­ni­schen Aus­prä­gun­gen im 20. Jahr­hun­dert erarbeitet.

Repräsentanten der Musikgeschichte behandelt

Christoph Wünsch - Satztechniken im 20. Jahrhundert - Bärenreiter VerlagDas Ver­dienst die­ser Ar­beit ist ein drei­fa­ches. Ei­nes­teils ist Wünsch er­folg­reich be­müht um his­to­ri­sche Re­prä­sen­tanz, ein­leuch­ten­de “Ka­ta­lo­gi­sie­rung” und ana­ly­tisch wie il­lus­tra­tiv nach­voll­zieh­ba­re Auf­be­rei­tung sei­nes na­tur­ge­mäss sehr um­fang­rei­chen, gleich­zei­tig ex­trem he­te­ro­ge­nen Ma­te­ri­als. Von den “Klas­si­kern der Mo­der­ne” (De­bus­sy, Hin­de­mith, Bar­tok, Schön­berg, Stra­win­sky u.a.) und ih­ren viel­fach re­flek­tier­ten  et­wa­igen “Schu­len” über die “Frei­en Ato­na­len”, aber auch die de­zi­dier­ten “Ek­lek­ti­ker” (Mes­siaen, Brit­ten, Weill u.a.) bis hin zur mo­der­nen Jazz­har­mo­nik oder den ak­tu­ells­ten ana­ly­ti­schen Ver­fah­ren zur Klas­si­fi­zie­rung von nicht-to­na­ler Mu­sik – bei­spiels­wei­se Al­len For­tes Pitch Class Set Theo­rie – streift der Au­tor alle we­sent­li­chen In­hal­te bzw. Re­prä­sen­tan­ten sei­nes Gegenstandes.

Übersichtlich-effiziente Buch-Gliederung

Notenbildnerische Unterstützung des Theoretischen durch zahlreiche Beispiele bzw. Werk-Zitate
No­ten­bild­ne­ri­sche Un­ter­stüt­zung des Theo­re­ti­schen durch zahl­rei­che Bei­spie­le bzw. Werk-Zitate

Wei­ters ist die mu­sik­di­dak­ti­sche Struk­tu­rie­rung von Wünschs Lehr­buch eine ef­fi­zi­en­te. Sei­ne ein­zel­nen Ka­pi­tel, wie­wohl stän­dig we­sent­li­che Quer­ver­wei­se an­mer­kend, sind nicht “pro­gres­siv” kon­zi­piert, son­dern kön­nen auch un­ab­hän­gig von­ein­an­der ge­lernt und ge­lehrt wer­den, wo­bei die the­ma­tisch je zen­tra­len An­lie­gen in Form von “Auf­ga­ben” für den Ler­nen­den auf­be­rei­tet sind. Hilf­reich in die­sem Zu­sam­men­hang im­mer wie­der auch die in den ein­zel­nen Ka­pi­teln er­wähn­ten Hin­wei­se auf wei­ter­füh­ren­de Li­te­ra­tur. Her­vor­ra­gend prä­pa­riert (üb­ri­gens auch lay­oute­risch) aus­ser­dem der sehr üp­pi­ge Bei­spie­le-Ap­pa­rat des Bu­ches, der no­ten­bild­ne­risch das Theo­re­ti­sche an­schau­lich-de­tail­liert unterstützt.

Drit­tens war es ge­ra­de für die­se The­ma­tik ein gu­ter Ein­fall, das mo­der­ne Un­ter­richts­me­di­um CD ein­zu­be­zie­hen, in­dem spe­zi­fisch ge­eig­ne­te Tei­le des Ma­te­ri­als auf die mit­ge­lie­fer­te (in­be­grif­fe­ne) CD aus­ge­la­gert wur­den. Hier greift dann noch der in­ter­ak­ti­ve An­satz; mit über 240 Aufgabenblättern&Lösungen und Tex­ten im platt­form­über­grei­fen­den pdf-For­mat so­wie mu­sik­tech­ni­schen Hilfs­mit­teln (wie All­in­ter­vall­rei­hen-Rech­ner oder Pitch Class Set Cal­cu­la­tor) kann oft di­rekt vor dem Mo­ni­tor ge­ar­bei­tet werden.

Einsatzmöglichkeiten auch im Selbststudium

Scha­de ist, dass der Au­tor im Buch den Platz­spar­wün­schen des Ver­la­ges so­wohl ein Sach- als auch ein Na­mens­re­gis­ter op­fern muss­te. Ins­be­son­de­re letz­te­res hät­te – bei dem an­sons­ten sehr gut struk­tu­rier­ten In­halts- und dem sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­ten Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis – den Kom­pen­di­um-An­spruch des Ban­des kom­plet­tiert. Im­mer­hin ent­hält die CD ein um­fang­rei­ches Glossar.

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Das neue Stu­di­en­buch von Chris­toph Wünsch ist rund­um zu emp­feh­len: Wie­wohl es nicht das ers­te Lehr­werk sei­ner The­ma­tik ist, so wer­den ihm doch sein wis­sen­schaft­lich fun­dier­ter Be­griffs­ap­pa­rat, sei­ne mu­sik­his­to­ri­sche Brei­te, sei­ne di­dak­ti­sche Kon­zep­ti­on und sei­ne viel­fäl­ti­gen Ein­satz­mög­lich­kei­ten den Weg zu den Mu­sik­freun­den al­ler Cou­leur ebnen.

Von die­sem Schön­heits­feh­ler ab­ge­se­hen ist Wünschs neu­es Stu­di­en­buch rund­um zu emp­feh­len. Ob­wohl “Satz­tech­ni­ken im 20. Jahr­hun­dert” nicht das ers­te Lehr­werk sei­ner The­ma­tik ist, so wer­den ihm doch sein wis­sen­schaft­lich fun­dier­ter Be­griffs­ap­pa­rat, sei­ne mu­sik­his­to­ri­sche Brei­te, sei­ne päd­ago­gi­sche Kon­zep­ti­on und sei­ne viel­fäl­ti­gen Ein­satz­mög­lich­kei­ten so­wohl im stu­den­ti­schen wie im Selbst­stu­di­um den Weg zu den Mu­sik­freun­den al­ler Cou­leur ebnen. ♦

Chris­toph Wünsch, Satz­tech­ni­ken im 20. Jahr­hun­dert, Buch-Lern­pro­gramm mit CD-ROM, Bä­ren­rei­ter Stu­di­en­bü­cher Mu­sik – Band 16, ISBN 978-3-7618-1747-6

Inhalt

Ein­lei­tung
Struk­tu­ren im Um­feld der Tonalität
Har­mo­ni­sche Phänomene
Pitch Class Set Theorie
De­bus­sy und der im­pres­sio­nis­ti­sche Stil
Béla Bartók
Stra­win­sky – die rus­si­sche Phase
Klas­si­zis­ti­sche Moderne
Freie Atonalität
Ar­nold Schön­berg und die Zwölftontechnik
Jazzharmonik

CD-Rom

Hin­de­mit­hs ‘Un­ter­wei­sung’
Kurt Weill
Oli­vi­er Messiaen
Se­ri­el­le Technik
Mi­ni­mal Music
Ta­bel­le zur Akkordbezeichnung
Glossar
Sämt­li­che Auf­ga­ben und Lösungen
Er­gän­zen­de Ma­te­ria­li­en zu den ein­zel­nen Kapiteln

Leseproben

Leseprobe 1: Debussy und der impressionistische Stil
Le­se­pro­be 1: De­bus­sy und der im­pres­sio­nis­ti­sche Stil
Leseprobe 2: Arnold Schönberg und die Zwölftonmusik
Le­se­pro­be 2: Ar­nold Schön­berg und die Zwölftonmusik
Leseprobe 3: Jazzharmonik
Le­se­pro­be 3: Jazzharmonik

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Pa­ra­me­ter in der Mu­sik auch das “Mu­sik-Zi­tat der Wo­che” von Chris­toph Drös­ser: Von der Psy­cho­lo­gie der Erwartung

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