Heute vor … Jahren: Die Räuber (Friedrich Schiller)

Freiheit für das Individuum

von Walter Eigenmann

Am 13. Ja­nu­ar 1782 wird Fried­rich Schil­lers (be­reits 1781 an­onym ver­öf­fent­lich­tes) ers­tes Dra­ma „Die Räu­ber“ in Mann­heim ur­auf­ge­führt. Das in fünf Akte ge­glie­der­te Trau­er­spiel um die bei­den ad­li­gen, aber mo­ra­lisch und in­tel­lek­tu­ell höchst un­glei­chen Brü­der Karl und Franz Moor the­ma­ti­siert den Kon­flikt zwi­schen Ge­setz und Frei­heit, avan­ciert mit sei­ner lei­den­schaft­li­chen Emo­tio­na­li­tät, sei­ner sti­lis­tisch viel­fäl­ti­gen, em­pha­ti­schen Sprach­ge­walt und sei­ner po­li­ti­schen „Auf­bruch-Stim­mung“ zu ei­nem Schlüs­sel­werk des Sturm und Drang – und ern­tet bei sei­ner Erst­auf­füh­rung be­geis­ter­te Beifallsstürme.

Anklage gegen Despotie

Friedrich Schiller (1759 - 1805)
Fried­rich Schil­ler (1759 – 1805)

Denn in sei­ner An­kla­ge ge­gen Des­po­tie und in sei­ner kom­pro­miss­lo­sen For­de­rung nach Frei­heit­lich­keit auch des In­di­vi­du­ums trifft „Die Räu­ber“ am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on den Zeit­geist in sei­nem Kern. Schil­ler selbst (1784 in sei­ner „Rhei­ni­schen Tha­lia“) über die poe­ti­sche Ge­ne­sis sei­nes ers­ten be­deu­ten­den Theaterstückes:

Ein selt­sa­mer Miss­ver­stand der Na­tur hat mich in mei­nem Ge­burts­ort zum Dich­ter ver­ur­teilt. Nei­gung für Poe­sie ‚be­lei­dig­te‘ die Ge­set­ze des In­sti­tuts, wor­in ich er­zo­gen ward, und wi­der­sprach dem Plan sei­nes Stif­ters. Acht Jah­re lang rang mein En­thu­si­as­mus mit der mi­li­tä­ri­schen Re­gel; aber Lei­den­schaft für die Dicht­kunst ist feu­rig und stark wie die ers­te Lie­be. Was sie er­sti­cken soll­te, fach­te sie an.

Friedrich Schiller - Die Räuber - Titelblatt der Erstausgabe 1781 - Glarean Magazin
Ti­tel­blatt der Erst­aus­ga­be 1781

Ver­hält­nis­sen zu ent­flie­hen, die mir zur Fol­ter wa­ren, schweif­te mein Herz in eine Idea­len­welt aus -aber un­be­kannt mit der wirk­li­chen, von wel­cher mich ei­ser­ne Stä­be schie­den, un­be­kannt mit den Men­schen (denn die vier­hun­dert, die mich um­ga­ben, wa­ren ein ein­zi­ges Ge­schöpf, der ge­treue Ab­guss ei­nes und eben die­ses Mo­dells, von wel­chem die plas­ti­sche Na­tur sich fei­er­lich los­sag­te), un­be­kannt mit den Nei­gun­gen frei­er, sich selbst über­las­se­ner We­sen; denn hier kam nur eine zur Rei­fe, eine, die ich jet­zo nicht nen­nen will; jede üb­ri­ge Kraft des Wil­lens er­schlaff­te, in­dem eine ein­zi­ge sich kon­vul­si­visch spann­te; jede Ei­gen­heit, jede Aus­ge­las­sen­heit der tau­send­fach spie­len­den Na­tur ging in dem re­gel­mäs­si­gen Tem­po der herr­schen­den Ord­nung ver­lo­ren -un­be­kannt mit dem schö­nen Ge­schlech­te. ..un­be­kannt mit Men­schen und Men­schen­schick­sal, muss­te mein Pin­sel not­wen­dig die mitt­le­re Li­nie zwi­schen En­gel und Teu­fel ver­feh­len, muss­te er ein Un­ge­heu­er her­vor­brin­gen, das zum Glück in der Welt nicht vor­han­den war, dem ich nur dar­um Un­sterb­lich­keit wün­schen möch­te, um das Bei­spiel ei­ner Ge­burt zu ver­ewi­gen, die der na­tur­wid­ri­ge Bei­schlaf der Sub­or­di­na­ti­on und des Ge­ni­us in die Welt setz­te. Ich mei­ne die ‚Räu­ber‘.“

Aus den Nebeln des Chaos eine neue Schöpfung

Lan­ge vor der Ur­auf­füh­rung harr­te die (auch po­li­tisch in­ter­es­sier­te) Thea­ter­welt der „räu­be­ri­schen“ Din­ge: Be­reits die Druck­aus­ga­be von 1781 kri­ti­sier­te ja of­fen das vor­herr­schen­de Feu­dal­sys­tem, ein Büh­nen-Skan­dal war vor­pro­gram­miert. Um den Po­lit-Eklat (und da­mit die fi­nan­zi­el­le Ein­bus­se) mög­lichst im Rah­men zu hal­ten, plan­te Re­gis­seur und Thea­ter­di­rek­tor Wolf­gang H. von Dal­berg zu­erst eine Ab­schwä­chung der Schil­ler­schen „Räuber“-Botschaft, in­dem er die Hand­lung um 300 Jah­re zu­rück­ver­set­zen wollte.

Theater-Zettel der Uraufführung 1782 mit einem Vorwort des "Verfassers an das Publikum"
Thea­ter-Zet­tel der Ur­auf­füh­rung 1782 mit ei­nem Vor­wort des „Ver­fas­sers an das Publikum“

Die Mann­hei­mer Ur­auf­füh­rung ei­nes solch emo­tio­na­len „Sturm-und-Drang“-Stoffes am Ende der „Auf­klä­rung“ und am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on führ­te er­war­tungs­ge­mäss zu hef­ti­gen Tu­mul­ten in und aus­ser­halb des Thea­ters. Buch­stäb­lich thea­tra­lisch schil­der­te ein Zeit­zeu­ge die Ge­scheh­nis­se: „Das Thea­ter glich ei­nem Ir­ren­haus, rol­len­de Au­gen, ge­ball­te Fäus­te, hei­se­re Auf­schreie im Zu­schau­er­raum. Frem­de Men­schen fie­len ein­an­der schluch­zend in die Arme, Frau­en wank­ten, ei­ner Ohn­macht nahe, zur Tür. Es war eine all­ge­mei­ne Auf­lö­sung wie ein Cha­os, aus des­sen Ne­beln eine neue Schöp­fung hervorbricht“.

Die Individualität in den Mittelpunkt geholt

Mit letz­te­rem Ver­gleich trifft die­se Schil­de­rung den kul­tur­his­to­ri­schen Na­gel ex­akt auf den Kopf: Fried­rich Schil­lers „Die Räu­ber“ wur­de, lan­ge vor „Wil­helm Tell“, zum In­be­griff des frei­heits­su­chen­den Re­bel­lie­rens und – lan­ge vor der Mo­der­ni­tät des 20. Jahr­hun­derts – zur idea­li­sie­ren­den Er­hö­hung des In­di­vi­du­ums. Ins­be­son­de­re die sen­si­bi­li­sier­te Ju­gend ver­stand Schil­lers Bot­schaft so­fort, frei­heits­be­geis­ter­te Ju­gend­li­che grün­de­ten an­schlies­send in Süd­deutsch­land zahl­rei­che „Räu­ber­ban­den“. Schil­lers Werk be­rei­te­te als li­te­ra­tur­so­zio­lo­gi­scher Wen­de­punkt die Ero­si­on staats­ap­pa­ra­tis­ti­scher Om­ni­po­tenz vor und rück­te in den Köp­fen der „auf­ge­klär­ten“ Zeit­ge­nos­sen das In­di­vi­du­el­le des Ein­zel­nen in den Mittelpunkt. ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin in der Ru­brik „Heu­te vor…“ auch über Carl Zuck­mey­er: Des Teu­fels General

… und zum The­ma Auf­klä­rung auch über Cars­ten Prie­be: Eine Rei­se durch die Aufklärung

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