F. Friedel & Ch. Hesse: Schachgeschichten

Ugewöhnliche Perspektiven

von Mario Ziegler

Wenn ein Schach­buch mit dem Un­ter­ti­tel „Ge­nia­le Spie­ler – Cle­ve­re Pro­ble­me“ da­her­kommt, so han­delt es sich in vie­len Fäl­len um nichts an­de­res als ei­nen wer­be­wirk­sa­men Slo­gan. Nicht aber beim hier zu be­spre­chen­den Werk „Schach­ge­schich­ten“, das zwei ziem­lich un­ter­schied­li­che Be­rei­che ver­eint: Die Er­in­ne­run­gen Fre­de­ric Frie­dels an sei­ne Be­geg­nun­gen mit den Licht­ge­stal­ten der Schach­ge­schich­te und Lo­gi­krät­sel mit schach­li­chem Be­zug, für die Chris­ti­an Hes­se ver­ant­wort­lich zeich­net. Bei­den Au­toren ge­lingt, je­dem für sich, ein Blick aus un­ge­wöhn­li­cher Per­spek­ti­ve auf das kö­nig­li­che Spiel.

Fre­de­ric Frie­del (geb. 1945) ist ei­ner der Pio­nie­re des Com­pu­ter­schachs in Deutsch­land. Schon vor der Grün­dung des Ver­la­ges Ch­ess­Ba­se (1987 zu­sam­men mit Mat­thi­as Wül­len­we­ber) ver­öf­fent­lich­te der Wis­sen­schafts­jour­na­list Bei­trä­ge zu Com­pu­ter­schach und künst­li­cher In­tel­li­genz. 1982 grün­de­te er eine Zeit­schrift, die ab 1986 un­ter dem Ti­tel „Com­pu­ter­schach und Spie­le“ gro­ßen Ein­fluss auf die Com­pu­ter­schach-Sze­ne hatte.

Frederic Friedel - Schachgeschichten - Cover - Droemer Verlag - Rezension Glarean Magazin

Wenn Frie­del über die Schach­le­gen­den Euwe, Bot­win­nik, Tal, Spas­ski, Fi­scher, Kar­pow, Kort­schnoi, Kas­pa­row, Kram­nik, Anand, Carlsen, Ju­dit Pol­gár und Hou Yifan spricht, de­nen er bei den ver­schie­dens­ten Ge­le­gen­hei­ten be­geg­ne­te, spürt man bei je­dem Satz, dass hier je­mand schreibt, der weit mehr als nur flüch­ti­gen Kon­takt zu die­sen Per­sön­lich­kei­ten hat­te. Sät­ze wie „Am An­fang war Anand nur ein Freund, wur­de aber bald ein Teil mei­ner Fa­mi­lie“ drü­cken die­se Nähe mar­kant aus.

Kasparov und Chessbase

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An­zei­ge

Die Ka­pi­tel fal­len sehr un­ter­schied­lich lang aus. Am weit­aus um­fang­reichs­ten ge­rät mit über 30 Sei­ten der Ab­schnitt über Gar­ry Kas­pa­row, weil in die­sen Kon­text die Ent­ste­hung der Fir­ma Ch­ess­Ba­se un­mit­tel­bar hin­ein­spielt. Vie­le Epi­so­den ka­men mir be­kannt vor, etwa die Ge­schich­te von der Prä­sen­ta­ti­on der ers­ten Ch­ess­Ba­se-Ver­si­on für Kas­pa­row und sei­nen Er­folg mit Hil­fe der Vor­be­rei­tung durch Ch­ess­Ba­se bei ei­nem Si­mul­tan ge­gen eine Mann­schaft des Bun­des­li­gis­ten Ham­bur­ger SK. Und den­noch ist die „In­nen­sicht“ der Din­ge durch ei­nen der Be­tei­lig­ten stets in­ter­es­sant, erst recht wenn solch auf­se­hen­er­re­gen­de Er­eig­nis­se zur Spra­che kom­men wie Kas­pa­rows Nie­der­la­ge ge­gen den Com­pu­ter Deep Blue 1997.

Melancholischer Rückblick

Frederic Friedel
Doy­en des in­ter­na­tio­na­len Com­pu­ter­schachs: Fre­de­ric Frie­del (geb. 1945)

Die Be­kannt­schaft Fre­de­ric Frie­dels mit den Grö­ßen des kö­nig­li­chen Spiels führ­te hin und wie­der zu Kon­flik­ten, etwa bei der Welt­meis­ter­schaft 1995 zwi­schen sei­nen bei­den Freun­den Kas­pa­row und Anand. Ge­le­gent­lich spürt man eine ge­wis­se Me­lan­cho­lie, wenn Frie­del die Per­so­nen, die er einst kann­te, mit de­nen ver­gleicht, die sie heu­te sind, so im Fall von Bo­ris Spas­ski: „Bo­ris ist mitt­ler­wei­le zu­rück nach Mos­kau ge­zo­gen und wirkt sehr ge­brech­lich. Wenn ich Bil­der oder Vi­de­os von ihm sehe, wer­de ich trau­rig. Der Mann, mit dem ich durch die Step­pe streif­te, war so en­er­gisch und ge­sund. Vor nicht all­zu lan­ger Zeit frag­te ihn je­mand, was er für die Vor­be­rei­tung sei­ner Par­tien tue. Er ant­wor­te­te: ‚Ich be­rei­te mich nicht mehr auf Schach vor. Ich be­rei­te mich vor auf – den Tod! Es ist ein lan­ges und sehr schwe­res Endspiel‘“.

Schach und Mathematik

Kachelmuster aus Quadraten, deren Kantenlängen der Fibonacci-Folge entsprechen
Ka­chel­mus­ter aus Qua­dra­ten, de­ren Kan­ten­län­gen der Fi­bo­nac­ci-Fol­ge entsprechen

Durch sei­ne zahl­rei­chen Pu­bli­ka­tio­nen zum The­ma Schach und Ma­the­ma­tik ge­hört Chris­ti­an Hes­se, Pro­fes­sor für Sto­chas­tik an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart, zu den be­kann­tes­ten deut­schen Schach­au­to­ren. Ne­ben den viel­be­ach­te­ten Wer­ken „Ex­pe­di­tio­nen in die Schach­welt“ (2006), „The Joys of Ch­ess“ (2011) und „Da­men­op­fer“ (2015) trat er als Au­tor für die Zeit­schrif­ten „KARL“ und „Schach­welt“ her­vor. In den „Schach­ge­schich­ten“ bie­tet er dem Le­ser 16 Lo­gi­krät­sel. Von der be­kann­ten Wei­zen­korn­le­gen­de, die Hes­se aber wei­ter aus­führt, über Sprin­ger­tou­ren, ma­gi­sche Qua­dra­te, das Da­men­pro­blem und die Fi­bo­nac­ci-Fol­ge geht die Rei­se durch die Welt der Ma­the­ma­tik, wo­bei der Be­zug zum Schach je­der­zeit ge­wahrt wird.

QR-Codes für Multimediales

Probeseite über Michael Botwinnik aus "Schachgeschichten" von Frederic Friedel & Christian Hesse
Pro­be­sei­te über Mi­cha­el Bot­win­nik aus „Schach­ge­schich­ten“ von Fre­de­ric Frie­del & Chris­ti­an Hesse

In­no­va­tiv fin­de ich die im Buch ab­ge­druck­ten QR-Codes, die auf wei­ter­füh­ren­de Tex­te und mul­ti­me­dia­le Do­ku­men­te ver­wei­sen und da­mit dem In­ter­es­sier­ten zu­sätz­li­ches Ma­te­ri­al an die Hand ge­ben. Auch an­sons­ten gibt es an dem 288 Sei­ten star­ken Hard­co­ver-Band nicht viel aus­zu­set­zen. Ich hät­te le­dig­lich grö­ße­re Fo­tos an­spre­chen­der ge­fun­den. Rei­ne Ge­schmacks­sa­che na­tür­lich, und oh­ne­hin wird nie­mand die­ses Werk we­gen sei­ner Be­bil­de­rung kau­fen. Aber wenn man je­dem Ka­pi­tel aus der Fe­der von Frie­del ge­nau ein Bild über die be­spro­che­ne Per­sön­lich­keit vor­an­stellt, darf die­ses aus mei­ner Sicht grö­ßer sein als etwa das ne­ben­ste­hen­de (links).

Zum Schmökern und Knobeln

Schach­ge­schich­ten“ ist ein schö­nes Buch, wenn man sich auf die et­was un­ge­wöhn­li­che Ver­bin­dung von his­to­ri­schen An­ek­do­ten und ma­the­ma­ti­schen Rät­seln ein­lässt. Es ist in je­dem Fall ein Werk, das zum Schmö­kern und Kno­beln ein­lädt, so­mit die un­end­li­che Viel­schich­tig­keit des Schach­spiels de­mons­triert und Le­ser ab­seits der Tur­nier­sze­ne an­spre­chen kann. Üb­ri­gens prä­sen­tie­ren die bei­den Ver­fas­ser mitt­ler­wei­le auch auf Ch­ess­Ba­se ihre Bei­trä­ge in Vi­deo­form in den Rei­hen „Frederic’s Ma­tes“ und „Hesse’s Ch­ess Lo­gi­cals“. So hat man die Mög­lich­keit, die Ge­schich­ten und Rät­sel noch ein­mal aus dem Mund ih­res Au­tors zu hören. ♦

Fre­de­ric Frie­del, Chris­ti­an Hes­se: Schach­ge­schich­ten, 288 Sei­ten, Droe­mer Ver­lag, ISBN 978-3-426-27876-5

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Schach­ge­schich­te auch über Ben Graff: Schach!


 

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