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Zu Besuch bei Miles Davis
von Horst-Dieter Radke
Zu meinen frühen Jazz-Erlebnissen gehört die Musik von Miles Davis. Noch bevor ich seine Stücke gehört hatte, war ich von den Plattencovern beeindruckt. “Filles de Kilimanjaro” und “Bitches Brew” sahen so ganz anders aus als andere Jazzplatten. Von Pop-Alben war ich schon einige Kreativität gewöhnt, aber Jazz-Alben kamen damals noch in einem eher spröden Outfit daher. Platten, die so aussahen, wollte ich auch hören – und so kam es zu der Begegnung mit Miles Davis.

Mir hat nicht alles gefallen, was er im Laufe seines Lebens veröffentlicht hat. Vor allem bei seinen späten Sachen ab Mitte der 1980er Jahre hatte und habe ich Vorbehalte. Viel zu spät entdeckte ich seine Musik der Fünfziger Jahre, seinen Beitrag zum Hard Bop und Modalen Jazz. Das alles höre ich heute noch gern. Keine Frage also für mich, ihm bei meinem Besuch von New York City im Oktober dieses Jahres einen Besuch abzustatten.
Der Friedhof am Ende der Bronx
Als meine Tochter, mit der ich nach NYC geflogen war, verkündete, dass sie zum Shopping nach New Jersey wolle, koppelte ich mich ab und machte mich auf den Weg. Die Metro fährt in der Bronx oberirdisch, was sehr schön ist, weil so ein erster Eindruck von diesem riesigen Stadtbezirk allein durch Aus-dem-Fenster-gucken geboten wird. Die Endstation heißt Woodlawn, und genau dort wollte ich hin: zum Woodlawn Cementery. Ein großer Friedhof am Ende der Bronx. Wie groß, das sollte ich noch erfahren.

Zunächst holte ich mir einen Rüffel vom Pförtner. Ich hatte ihn nicht bemerkt und sein Rufen ignoriert. Da kam er heraus aus seiner Loge und mir hinterher. Ob ich ihn nicht gehört hätte? Ich hätte es nicht auf mich bezogen, entschuldigte ich mich. Er wies auf meine umgehängte Kamera und sagte, dass ich eine Photographer ID ausfüllen müsse, wenn ich fotografieren wolle.
Also stiefelte ich ihm zu seiner Loge hinterher, wo er sich zunächst meinen Paß zeigen ließ. Dann wühlte er in einem Stapel bereits ausgefüllter Formulare herum, bis er ein unbenutztes fand, klemmte es in ein Brett und drückt es mir in die Hand. Ob ich das lesen könne, wollte er wissen, wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern sah sich um, ob noch andere Eindringlinge auf diesem ehrwürdigen Areal zu entdecken waren.
Als er das Formular wenige Minuten später ausgefüllt und unterschrieben von mir zurück hatte, wurde er freundlicher. Ich bat ihn, mir bei der Suche nach dem Grab von Miles Davis zu helfen. Da schenkte er mir nicht nur ein Lächeln, sondern auch eine Karte des Friedhofs und beschrieb mir genau den kürzesten Weg zum Grab.
Jazz-Größen längst vergangener Tage

Es war kein kurzer Weg, aber nach und nach stöberte ich alle Jazzgrößen auf, die dort begraben liegen: Max Roach, einer der einflussreichsten Jazz-Schlagzeuger; Jean-Baptiste Illinois Jacquet, Tenorsaxophon-Spieler – wer ihn nicht kennt, sollte mal in Lional Hamptons “Flying Home” hinein hören; Jackie McLean, Altsaxophonist, prägend für den Hard Bop und zu hören unter anderem bei Miles Davis. Der hat einen großen schwarzen Grabstein an einem Eckpunkt, gegenüber von den anderen. Bandleader eben.

Leider habe ich den Grabstein von Ornette Coleman nicht aufspüren können, obwohl ich die ganze Reihe mehrfach abgelaufen bin. Dafür habe ich dann noch einen Schlenker zu Felix Pappalardi gemacht. Klassisch ausgebildet wandte er sich Arbeit suchend der populären Musik zu, produzierte zunächst im Folk Bereich unter anderem Joan Baez und die Blues-Rock-Band “The Cream” ab deren zweiten Album “Disraeli Gears”. Später spielte er als Bassist in der Band “Mountain”. 1983 starb er an einem Nackenschuss, den ihm seine Frau verpasst hatte. Musiker leben durchaus gefährlich.

Der Woodlawn-Cementery ist ein ziemlich weitläufiger Friedhof. Genau genommen ist es der größte, den ich jemals betreten habe. Die einzelnen Wege tragen Namen, und es gibt zwei Straßen, auf denen man mit dem Auto durchfahren kann. Deshalb verirrte ich mich auch schließlich und kam aus dem Gelände nur mit Hilfe der Karte des Pförtners und dem Kompass meines Smartphones wieder heraus. Doch immerhin – ich konnte ihn auf meinen eigenen Beinen verlassen. ♦
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Jazz auch über Klaus Doldinger: Made in Germany (Autobiographie)
… sowie über Mathias Löffler: Rock & Jazz Harmony (Lehrbuch)
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