Horst-Dieter Radke: Zu Besuch bei Miles Davis

Zu Besuch bei Miles Davis

von Horst-Dieter Radke

Zu mei­nen frü­hen Jazz-Erleb­nis­sen gehört die Musik von Miles Davis. Noch bevor ich seine Stü­cke gehört hatte, war ich von den Plat­ten­co­vern beein­druckt. “Fil­les de Kili­man­jaro” und “Bit­ches Brew” sahen so ganz anders aus als andere Jazz­plat­ten. Von Pop-Alben war ich schon einige Krea­ti­vi­tät gewöhnt, aber Jazz-Alben kamen damals noch in einem eher sprö­den Out­fit daher. Plat­ten, die so aus­sa­hen, wollte ich auch hören – und so kam es zu der Begeg­nung mit Miles Davis.

Grab von Miles Davis - New York City - Oktober 2022 - Horst-Dieter Radke - Glarean Magazin
Mitte  Okto­ber 2022 in New York: “Indian Sum­mer” auf dem Fried­hof “Wood­lawn Cemen­tery”, am Grab von Miles Davis

Mir hat nicht alles gefal­len, was er im Laufe sei­nes Lebens ver­öf­fent­licht hat. Vor allem bei sei­nen spä­ten Sachen ab Mitte der 1980er Jahre hatte und habe ich Vor­be­halte. Viel zu spät ent­deckte ich seine Musik der Fünf­zi­ger Jahre, sei­nen Bei­trag zum Hard Bop und Moda­len Jazz. Das alles höre ich heute noch gern. Keine Frage also für mich, ihm bei mei­nem Besuch von New York City im Okto­ber die­ses Jah­res einen Besuch abzustatten.

Der Friedhof am Ende der Bronx

Als meine Toch­ter, mit der ich nach NYC geflo­gen war, ver­kün­dete, dass sie zum Shop­ping nach New Jer­sey wolle, kop­pelte ich mich ab und machte mich auf den Weg. Die Metro fährt in der Bronx ober­ir­disch, was sehr schön ist, weil so ein ers­ter Ein­druck von die­sem rie­si­gen Stadt­be­zirk allein durch Aus-dem-Fens­ter-gucken gebo­ten wird. Die End­sta­tion heißt Wood­lawn, und genau dort wollte ich hin: zum Wood­lawn Cemen­tery. Ein gro­ßer Fried­hof am Ende der Bronx. Wie groß, das sollte ich noch erfahren.

Grab von Jean Baptiste Illinois Jacquet - New York City - Oktober 2022 - Horst-Dieter Radke - Glarean Magazin
Letzte Ruhe­stätte des Jazz-Saxo­pho­nis­ten Jean Bap­tiste Illi­nois Jacquet

Zunächst holte ich mir einen Rüf­fel vom Pfört­ner. Ich hatte ihn nicht bemerkt und sein Rufen igno­riert. Da kam er her­aus aus sei­ner Loge und mir hin­ter­her. Ob ich ihn nicht gehört hätte? Ich hätte es nicht auf mich bezo­gen, ent­schul­digte ich mich. Er wies auf meine umge­hängte Kamera und sagte, dass ich eine Pho­to­grapher ID aus­fül­len müsse, wenn ich foto­gra­fie­ren wolle.
Also stie­felte ich ihm zu sei­ner Loge hin­ter­her, wo er sich zunächst mei­nen Paß zei­gen ließ. Dann wühlte er in einem Sta­pel bereits aus­ge­füll­ter For­mu­lare herum, bis er ein unbe­nutz­tes fand, klemmte es in ein Brett und drückt es mir in die Hand. Ob ich das lesen könne, wollte er wis­sen, war­tete meine Ant­wort gar nicht ab, son­dern sah sich um, ob noch andere Ein­dring­linge auf die­sem ehr­wür­di­gen Areal zu ent­de­cken waren.
Als er das For­mu­lar wenige Minu­ten spä­ter aus­ge­füllt und unter­schrie­ben von mir zurück hatte, wurde er freund­li­cher. Ich bat ihn, mir bei der Suche nach dem Grab von Miles Davis zu hel­fen. Da schenkte er mir nicht nur ein Lächeln, son­dern auch eine Karte des Fried­hofs und beschrieb mir genau den kür­zes­ten Weg zum Grab.

Jazz-Größen längst vergangener Tage

Grab von Max Roach - New York City - Oktober 2022 - Horst-Dieter Radke - Glarean Magazin
Grab des legen­dä­ren Jazz-Drum­mers Max Roach

Es war kein kur­zer Weg, aber nach und nach stö­berte ich alle Jazz­grö­ßen auf, die dort begra­ben lie­gen: Max Roach, einer der ein­fluss­reichs­ten Jazz-Schlag­zeu­ger; Jean-Bap­tiste Illi­nois Jac­quet, Tenor­sa­xo­phon-Spie­ler – wer ihn nicht kennt, sollte mal in Lio­nal Hamp­tons “Fly­ing Home” hin­ein hören; Jackie McLean, Alt­sa­xo­pho­nist, prä­gend für den Hard Bop und zu hören unter ande­rem bei Miles Davis. Der hat einen gro­ßen schwar­zen Grab­stein an einem Eck­punkt, gegen­über von den ande­ren. Band­lea­der eben.

Grab von Felix Pappalardi - New York City - Oktober 2022 - Horst-Dieter Radke - Glarean Magazin
Tod durch Nacken­schuss: Felix Pappalardi

Lei­der habe ich den Grab­stein von Ornette Cole­man nicht auf­spü­ren kön­nen, obwohl ich die ganze Reihe mehr­fach abge­lau­fen bin. Dafür habe ich dann noch einen Schlen­ker zu Felix Pap­palardi gemacht. Klas­sisch aus­ge­bil­det wandte er sich Arbeit suchend der popu­lä­ren Musik zu, pro­du­zierte zunächst im Folk Bereich unter ande­rem Joan Baez und die Blues-Rock-Band “The Cream” ab deren zwei­ten Album “Dis­raeli Gears”. Spä­ter spielte er als Bas­sist in der Band “Moun­tain”. 1983 starb er an einem Nacken­schuss, den ihm seine Frau ver­passt hatte. Musi­ker leben durch­aus gefährlich.

Whitewood Avenue im Friedhof Woodlawn-Cementery New York - Glarean Magazin
Die White­wood Ave­nue im gro­ßen New Yor­ker Fried­hof Woodlawn-Cementery

Der Wood­lawn-Cemen­tery ist ein ziem­lich weit­läu­fi­ger Fried­hof. Genau genom­men ist es der größte, den ich jemals betre­ten habe. Die ein­zel­nen Wege tra­gen Namen, und es gibt zwei Stra­ßen, auf denen man mit dem Auto durch­fah­ren kann. Des­halb ver­irrte ich mich auch schließ­lich und kam aus dem Gelände nur mit Hilfe der Karte des Pfört­ners und dem Kom­pass mei­nes Smart­phones wie­der her­aus. Doch immer­hin – ich konnte ihn auf mei­nen eige­nen Bei­nen verlassen. ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Jazz auch über Klaus Dol­din­ger: Made in Ger­many (Auto­bio­gra­phie)

… sowie über Mathias Löff­ler: Rock & Jazz Harm­ony (Lehr­buch)


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