Ein schönes neues Hobby für den starken Mann
Peter Biro
Aufgrund der aktuellen Entwicklung in der Ukraine fühlt sich der Autor der folgenden Satire bemüßigt, einige Erklärungen voranzuschicken. Dieser Text entstand vor ca. zwei Jahren als Beitrag für eine Online-Anthologie mit fantastischen und skurrilen Kurzgeschichten – also lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Die im folgenden geschilderten “Empfehlungen” für einen kriegerisch veranlagten Wahnsinnigen hätten dem Wortlaut nach durchaus als To-Do-Liste für den aktuellen russischen Präsidenten dienen können. Aufgrund der Tatsache, dass nach dem 24. Februar 2022 nahezu alles genauso passierte wie in dieser Satire dargelegt ist, legt die Vermutung nahe, dass der unternehmungslustige Kriegsherr meine “Empfehlungen“ zwar gelesen, aber vielleicht nicht ganz verstanden – und erst recht nicht “fachgerecht“ umgesetzt hat…
Rafting, Bungee-Jumping oder gar Großwildjagd sind längst aus der Mode gekommen. Nicht nur wegen der Bedenken von Naturschützern, Tierfreunden und meckernden Ehefrauen. Vor allem kann man beim weiblichen Geschlecht mit solchen altertümlichen, männlich-protzigen Betätigungen überhaupt nicht mehr punkten. Einerseits können Frauen inzwischen genauso taff und mutig sein wie wir Männer, andererseits weiß man beim Überhandnehmen der Geschlechtervarianten auch nicht mehr, wem man damit noch überhaupt imponieren sollte. Außer der eigenen Mama vielleicht, der sowieso alles gefällt, was ihr Liebling anstellt.
Wir werden uns wohl damit abfinden müssen, dass die Menschheit nicht mehr binär ist. Nichts mehr ist nur weiblich oder nur männlich, nichts ist mehr nur schwarz oder nur weiß, mit oder ohne Milch, oder gar mit oder ohne Zucker. Es gibt für alles übergangslose Schattierungen und Nuancen, und damit ist die Verunsicherung beim männlichen Eindruck schinden auch schon vorgegeben. Nicht mehr nur der stärkste und muskulöseste Macker wird den Hauptpreis erringen, sondern womöglich der zartbesaitete Androgyne, der behände auf der Frühlingswiese herumspringend, die davonfliegenden Samen der Pusteblume einfängt und als dekoratives Element in einem vergänglichen Kunstwerk aus Schwalbenfedern, gebrauchten Tampons und Aprikosengelee einbinden kann.

Aber ganz so schlimm ist es zum Glück nicht immer und nicht überall. Es gibt noch eine letzte Domäne für virile Männer, mit der sie ihre Lust auf Abenteuer und Trophäenjagd sinnvoll verbinden können: nämlich mit der Eroberung von fremden Ländern, sowie mit der Besetzung und Aneignung von Territorien, die von zahlungswilligen Steuerzahlern bewohnt werden.
Während mittlerweile die Jagd nach Elefanten, Nashörnern und gestreiften Eichhörnchen zurecht als absolut verpönt gilt, ist die Eroberung, Besetzung und Ausbeutung von anderen Ländern keineswegs etwas Beschämendes oder gar zu Verurteilendes. Jedenfalls scheint das nach den Ereignissen der jüngsten Geschichte so zu sein, dass der Einmarsch in fremde Territorien, die Unterjochung der Bevölkerung und die Ausplünderung ihrer Reichtümer eine überaus lobenswerte und sehr zu empfehlende Beschäftigung für unternehmungslustige Individuen männlichen Geschlechts ist. Selbst hie und da nebenbei vorkommende Gewaltanwendungen können als Kavaliersdelikte eingestuft werden, wenn sie nur so nebenbei während der Durchsetzung des höheren Zwecks vorgefallen sind.
Auch internationale, überstaatliche Organisationen haben gegen Eroberungen nichts einzuwenden, wenn dafür gute und glaubhafte Begründungen vorgebracht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn man historische Ansprüche, verwandtschaftliche Beziehungen oder einen unersättlichen Hunger nach seltenen Rohstoffen nachweisen kann, an die man mit friedfertigen Mitteln sonst nicht herankommt. Zu den ebenfalls akzeptierten Begründungen für einen plötzlich vom Zaun gebrochenen Händel wird gerne auch ein freier Zugang zum Meer, bevorzugt zu sonnigeren, windgeschützten Strandabschnitten und die bessere Verkehrsanbindung an Glückspielkasinos vorgebracht, was von der Völkergemeinschaft meist auch anstandslos toleriert wird. Glücklicherweise findet sich im Sicherheitsrat auch stets ein Mitglied, der sein Veto zugunsten des Eroberers einlegen kann. Weitere wichtige Begründungen für das Überziehen eines Landes mit Krieg und Kriegsrecht sind tatsächliche oder vermeintliche Beleidigungen der eigenen Religion oder unangemessene Kritik an Aufrüstungsbemühungen – das allein rechtfertigt umgehend die Besetzung der Hauptstadt der Frevler, oder zumindest die Entführung der Jungfrauen aus der besseren Gesellschaftsschicht.
Also wenden wir uns der empfehlenswerten neuen Mode der Eroberung fremder Territorien zu, die sich so gut als Hobby für den unerfüllten, kraftstrotzenden Mann eignet. Da gibt es natürlich riesige Unterschiede in den Erwartungen und den Herrschaftsansprüchen des interessierten Hobby-Feldherren. Und natürlich auch bezüglich seiner finanziellen Ressourcen, denn Erobern ist teuer und kostet meist viel mehr als beispielsweise eine wochenlange Bärenjagd in den Karpaten mit garantierter Abschussquote. Manche meinen, dass die Kosten einer ausgedehnten Eroberung durchaus in der Grössenordnung eines ganzen Staatshaushalts liegen und im Extremfall sogar ganze Volkswirtschaften ruinieren könnten. Dies droht beispielsweise einem Eroberer, dem es nicht gelingt die Kampagne siegreich zu Ende zu bringen, und der anschließend für die Reparationszahlung an das vergeblich bekriegte Land aufkommen muss. Man bedenke von vorne herein: Alleine das Überrennen einer einzelnen Grenzbefestigung kann fast so viel kosten wie ein luxuriöses Elektrofahrrad, und bei ausgedehnten Verteidigungsanlagen einschließlich rückwärtiger Truppenunterkünfte und Verpflegungseinrichtungen summiert sich der Aufwand rasch auf ein Mehrfaches davon. Ganz abgesehen von unerwarteten Zusatzkosten für Sanitätseinrichtungen für die Verwundeten und Begräbniskosten für die Gefallenen. Dies sei eine ernste Warnung an Hobbyeroberer mit zu knappem Budget!
Ich empfehle auf jeden Fall, sich lieber ein bescheideneres Eroberungsziel zu setzen, als man sich ursprünglich vorgenommen hat, denn unerwartete Zusatzkosten könnten ohne weiteres zu einem vorzeitigen Abbruch des Feldzugs zwingen, gefolgt vom kostspieligen Auszahlen der eingesetzten Söldnerheere, ohne dass man bereits über genügend Beutegut verfügen würde. So wird man – Kriegsanleihen hin oder her – die Aufwendungen bestimmt nicht in den Griff kriegen und schon gar nicht selber noch einen Kriegsgewinn herausschlagen.
Allein schon wegen der vielen Unwägbarkeiten eines Eroberungsfeldzugs lohnt sich eine minutiöse Vorausplanung, um möglichst viele Details über das Objekt des Begehrens in Erfahrung zu bringen. Vor allem über dessen Verteidigungsdispositive, denn es liegt nun mal in der Natur der Sache, dass einem die Verteidigungsstreitkräfte des zu erobernden Staates viele Hindernisse in den Weg legen wollen. Diese muss man geschickt überwinden, am besten mit einem sogenannten Sichelschnitt nach dem bewährten und todsicher zum Erfolg führenden Schliefen-Plan. Oder so ähnlich. Dabei darf man sich nicht wegen irgendwelcher, lächerlicher Neutralitätserklärungen der Nachbarländer verunsichern lassen. Kleinere, schwächere Staaten verstecken sich gerne hinter dieser Sicherheit versprechenden Formel, die zwar im Geschichtsunterricht schön klingen mag, aber in der Realität lediglich ein morsches Konstrukt darstellt. Im Gegenteil, es verlangt buchstäblich danach, von einem gestandenen Mannsbild und seiner vor Tatkraft überschäumenden Kavallerie missachtet zu werden.
Nicht zu vernachläßigen ist eine wohlorganisierte Logistik. Keine Streitmacht kann den anfänglichen Schwung einer gut angelaufenen Invasion aufrechterhalten, wenn nicht für eine genügend interessante und abwechslungsreiche Frontbetreuung gesorgt ist. Gerade in den vordersten Linien kommt es auf besonders unterhaltsames Tanztheater zur Befeuerung der Truppe an. Am besten bewährt sich eine von langbeinig-bestrapsten Künstlerinnen getragene Animierungskunst, welche erst recht die Begeisterung für neue, durchschlagende Frontalangriffe entfachen kann.Zu einer erfolgreichen Logistik gehören auch die sachgemäße Instandhaltung der Bewaffnung und das Blitzblank-Polieren der Orden, welche der Heerführer und seine wichtigsten Stabsoffiziere auf ihren stolz geschwellten Brüsten zur Schau tragen – ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Überwindung der feindlichen Verteidigungsanlagen.
Nun werfen wir mal einen Blick auf die Weltkarte. Potenziell eroberungswürdige Gebiete gibt es zuhauf. Wir finden durchaus passende Eroberungsziele zu den Möglichkeiten von Feldherren aller Ruhmeskategorien, wobei nicht nur die Größe der Invasionsarmee, sondern auch der unbedingte Wille zu triumphieren sowie das Durchhaltevermögen des Angreifers eine große Rolle spielen.
Ist man beispielsweise nur in der Lage, ein kleines Kommandounternehmen auf die Beine zu stellen, empfiehlt es sich, lediglich eine küstennahe, kleinere Insel zu erobern. Kommt einem unterwegs die Truppe oder ein Grossteil der Ausrüstung abhanden, kann man immer noch ganz allein etwas kleinere, unbewohnte Felseilande überrennen und die Fahne auf dem höchstgelegenen Vogelnest aufpflanzen.
Hat man – sagen wir mal – eine Truppe in der Größenordnung einer Kompanie zur Verfügung, bieten sich bereits ergiebigere Eroberungen an, angefangen bei kleinen, nicht wirklich verteidigten Stadtstaaten wie dem Vatikan oder Monaco. Falls man sogar über ein mechanisiertes Regiment verfügt, kann man es ohne weiteres mit überschaubaren Kleinstaaten wie Andorra oder Liechtenstein aufnehmen. Beim Vorhandensein einer gut trainierten Fallschirmspringereinheit kann man sich durchaus auch das Grossherzogtum Luxemburg vornehmen – gewiss, ein schwer kalkulierbares Wagnis für jeden Hobby-Eroberer, aber aufgrund seiner Eigenschaft als Steueroase für hinterlegte Vermögenswerte ein durchaus lohnenswertes Ziel.
Aber Vorsicht bei Gibraltar! Diese kleine, sich scheinbar an einen schützenden Felsen anlehnende Halbinsel mag zwar wie eine reife, pflückbare Frucht aussehen. Hinter diesem scheinbar hilflosen Erscheinungsbild steht aber die geballte Macht der Royal Navy. Deshalb mein Rat an alle präpotenten Interessenten: Finger weg von Gibraltar!
Über diese Größenordnung hinaus kann man nur noch mit Invasionsarmeen in mehrfacher Divisionsstärke und nur bei Verfügbarkeit von Waffengattungen aller Arten, also zur See, in der Luft und auf dem Lande eine Aussicht auf Erfolg haben. Dabei ist auch das Problem der anhaltenden Beherrschung der eroberten Gebiete und die nachhaltige Ausbeutung seiner Ressourcen zu berücksichtigen. Erfahrungsgemäß bilden sich nach einer erfolgreichen Unterjochung zunehmend sog. “patriotische” Widerstandsnester, deren Aushebung weitere militärische Kapazitäten erfordert. Deshalb darf ein umsichtiger Eroberer nicht allzu früh seine Invasionsstreitkräfte demobilisieren, um damit Kosten zu sparen. Eine solche, auf kurzfristigen Gewinn abzielende, verfrühte Sparaktion kann schlussendlich zu einem teuren Nachspiel führen. Eine in der Not improvisierte Partisanenbekämpfung kann extrem mühsam und teuer werden. Im schlimmsten Fall droht sogar der Kontrollverlust über bereits erfolgreich eroberte Gebiete.
Darum ist jedem noch so virilen Möchtegern-Eroberer dringend bewusst zu machen, dass selbst bei bester Planung und Aufbringung von imponierenden Invasionsarmeen, Rückschläge nicht ganz ausgeschlossen sind. Man darf den Freiheitswillen der angegriffenen Bevölkerung nicht unterschätzen, vor allem dann nicht, wenn ihr die Unabhängigkeit und Souveränität des eigenen Landes am Herzen liegt. Jawohl, sowas soll es hie und da wirklich geben. Also achte man sorgfältig auf die richtige Wahl des Landes, welches man erobern will, denn wie heißt es so schön: “Unterjochung will gelernt sein”. Deshalb studiere man sorgfältig die Verteidigungsbereitschaft des betreffenden Landes und mache unbedingt eine wohlkalkulierte Nutzen-Risiko-Analyse, bevor man den ersten Schuss abfeuert. Dieser könnte nämlich bei leichtsinnigem, unvorbereitetem Vorpreschen nach hinten losgehen. Selbst Kleinigkeiten könnten da eine dezisive Rolle spielen wie zum Beispiel veraltetes Kartenmaterial oder fehlende Winterkleidung. Da spreche ich aus Erfahrung.
Beim Vordringen in bewohntes Gebiet sollte der praktisch veranlagte Feldherr unbedingt Grausamkeiten seiner Soldateska an der Zivilbevölkerung unterbinden. Das kann seinen Ruf als Befreier und Friedensbringer total ruinieren, ganz abgesehen von schwindender Bereitschaft der Eroberten zur Unterwerfung. Gefangene sind außerdem strikt gemäß der Genfer Konvention zu behandeln. Man ist ja schließlich kein Unmensch, nicht einmal bei der Freizeitgestaltung.
Nun muss ich abschließend einräumen, dass nicht jedes Mannsbild in der Lage ist, sich das sehr anspruchsvolle und dementsprechend angesehene Hobby des Eroberers zuzulegen. Schließlich hat auch die Ehefrau ein Wort mitzureden, und es soll mehrmals vorgekommen sein, dass ängstlich besorgte Gattinnen ihren Ehemännern die Invasion von Nachbarländern strikt untersagt haben. In einem besonders krassen Fall soll eine resolute Belgierin ihren bis an die Zähne bewaffneten Gatten in seinem Hobbykeller eingesperrt haben, als sie ihn bei den Vorbereitungen ertappte, in der kommenden Abenddämmerung in Dänemark einmarschieren zu wollen. Sie konnte ihn gerade noch rechtzeitig beim Ersteigen der Kellertreppe aufhalten.
Und nun noch ein kleines Trostpflaster für alle diejenigen, die gerne Eroberer sein möchten, jedoch keine Möglichkeit haben, aus welchen Gründen auch immer, ihren innigen Wunsch auszuleben. Es ist nun mal eine Tatsache, dass es nicht jedem vergönnt ist, eine eigene Invasionsarmee aufstellen zu können. So ganz hoffnungslos sind diese traurigen Schicksale aber auch wieder nicht. Diesen bedauernswerten Gestalten rate ich, wenigstens eine Offizierslaufbahn bei der Heilsarmee ins Auge fassen. ♦
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch die Humoreske von Peter Biro: Schreibblockade oder Der Förster und die Jägerin
… sowie die Humoreske Die wahre Natur der Entenvögel
Der GLAREAN-Herausgeber bei INSTAGRAM
Sehr Klar und humorvoll!!!!