Martin Breutigam: Damen an die Macht (Schach-Kolumnen)

Rätsel und Geschichten

von Thomas Binder

Damen an die Macht” des Bre­mer Inter­na­tio­na­len Meis­ters Mar­tin Breu­ti­gam ver­eint 160 Schach­ko­lum­nen aus der Tages­presse in den Jah­ren 2014 bis 2021. Im Mit­tel­punkt steht das Vor­stel­len prä­gen­der Per­so­nen der aktu­el­len Schach­szene. Aber auch in ent­le­ge­nere Win­kel des Schach­uni­ver­sums wird der Leser geführt. Ins­ge­samt eine lockere und anre­gende Lek­türe – und eine Kauf­emp­feh­lung vor allem als Geschenk für Schach­be­geis­terte unab­hän­gig von Alter und Spielstärke.

Martin Breutigam: Damen an die Macht - Schach-GeschichtenDem deut­schen Schach­jour­na­lis­ten Mar­tin Breu­ti­gam kommt das unschätz­bare Ver­dienst zu, eine vom Aus­ster­ben bedrohte Gat­tung zu bewah­ren: Die his­to­risch so wich­tige Schach­ko­lumne in Tages­zei­tun­gen. Nach den Aus­ga­ben “Todes­küsse am Brett” von 2010 und “Himm­li­sche Züge” (2014) legt er nun mit “Damen an die Macht” im glei­chen Ver­lag erneut eine rück­bli­ckende Samm­lung sei­ner Bei­träge für den Ber­li­ner “Tages­spie­gel” und den Bre­mer “Weser-Kurier” vor. Wie chro­no­lo­gisch nicht anders zu erwar­ten, umspannt diese Aus­gabe nun die Jahre 2015 bis 2021.

Reise zu den Schach-Höhepunkten

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Mar­tin Breu­ti­gam lädt uns also zu einer Reise zu den Schach­hö­he­punk­ten die­ser so beweg­ten Jahre ein. Wir sind zu Gast bei Welt­meis­ter­schaf­ten und Top-Tur­nie­ren. In unse­rer schnell­le­bi­gen Zeit war in mei­ner Erin­ne­rung vie­les davon schon ver­blasst. Carlsens spek­ta­ku­lä­res (wenn auch tak­tisch eher ein­fa­ches) Damen­op­fer zum Abschluss der WM 2016 hatte ich längst vergessen.
So ent­fal­tet sich vor uns ein Kalei­do­skop schach­li­cher Schlag­lich­ter auf einen gerade noch über­schau­ba­ren Zeit­raum. Absicht oder nicht – am Anfang und am Ende steht der neue deut­sche Schach­stern Vin­cent Key­mer: Auf Seite 8 darf der 10-Jäh­rige erst­mals die Deut­sche Meis­ter­schaft der Män­ner mit­spie­len, auf Seite 191 ist der 16jährige jetzt Vize-Europameister.
Dazwi­schen zie­hen viele berühmte Namen an uns vor­bei, prak­tisch alle Welt­klas­se­spie­ler haben in die­sen sie­ben Jah­ren Spu­ren hin­ter­las­sen und sich eine Breu­ti­gam-Kolumne verdient.

Entlegenste Winkel

Martin Breutigam - Damen an die Macht - Leseprobe - Beispielseite - Glarean Magazin
Bei­spiel-Seite aus Mar­tin Breu­ti­gam: Damen an die Macht

Breu­ti­gam führt uns aber auch immer wie­der in die ent­le­gens­ten Win­kel des Schach-Uni­ver­sums. So stellt er Leo­nard Bar­den vor, den Nes­tor des eng­li­schen Schach­jour­na­lis­mus, der eine “Mor­phy-Zahl” von 3 besitzt, was bedeu­tet, dass er nur zwei Zwi­schen­schritte braucht, um sich über regu­läre Tur­nier­par­tien mit dem ame­ri­ka­ni­schen Schach­star des vor­letz­ten Jahr­hun­derts zu verknüpfen.
In ande­ren Medien und in einer ganz ande­ren Gene­ra­tion leis­tet der Ame­ri­ka­ner Mau­rice Ash­ley ähn­lich Ver­dienst­vol­les für die Popu­la­ri­sie­rung des könig­li­chen Spiels, auch ihm ist eine Kolumne gewid­met. Auch eine Par­tie von Bahn­vor­stand Richard Lutz – in sei­ner Jugend einer der talen­tier­tes­ten deut­schen Schach­spie­ler – wird vorgestellt.
Der gedank­li­che Hori­zont, den Mar­tin Breu­ti­gam sei­nem Leser bie­tet, reicht sehr weit. Immer wie­der bezieht er Hal­tung, indem er Men­schen vor­stellt, die am Schach­brett und dar­über hin­aus Hal­tung bezo­gen haben. Sei es aktu­ell im Kon­flikt mit poli­ti­scher oder reli­giö­ser Bevor­mun­dung – der Name Ali­reza Firouzja sei stell­ver­tre­tend in den Ring gewor­fen. Sei es in der Ver­gan­gen­heit, wo der Autor Geschich­ten fin­det, an denen man bis­her vor­bei gegan­gen ist – so die des nie­der­län­di­schen Wider­stands­kämp­fers, Reform­päd­ago­gen und Schach­spie­lers Johan van Hulst. Die Bei­spiele lie­ßen sich belie­big fort­set­zen, fast jede der 160 Kolum­nen bie­tet bemer­kens­werte Details, neue Ein­sich­ten und Anstöße zum Weiterdenken.

Deutlicher Bezug zum Frauenschach

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Der Buch­ti­tel “Damen an die Macht” ist offen­bar inso­fern Pro­gramm, als Bezüge zum Frau­en­schach deut­lich stär­ker prä­sent sind, als man sie sonst im Schach­all­tag und in der Schach­presse wahr­nimmt. Das kann kaum Zufall sein, son­dern zeigt wohl Breu­ti­gams geschärf­ten Blick für die Belange des oft so unter­re­prä­sen­tier­ten Geschlechts.
Jede Kolumne kommt mit einer Buch­seite aus, die fast zur Hälfte von einem Stel­lungs­dia­gramm ein­ge­nom­men wird. Dann folgt der inhalt­li­che Text und zum Schluss ganz knapp der Ver­weis auf die abge­bil­dete Par­tie mit der Auf­for­de­rung die geniale Fort­set­zung zu ergrün­den. Einige wohl­do­sierte ganz­sei­tige Fotos run­den den auch äußer­lich guten Ein­druck ab.
Da es sich nicht pri­mär um ein Lehr­buch han­delt, sind frei­lich die Par­tie­frag­mente eher gedacht als unter­hal­ten­des Bei­werk. Die Erläu­te­rung im (klein­ge­druck­ten und kopf­ste­hen­den) Lösungs­text ist ent­spre­chend kurz. Das Buch hat eine andere Ziel­stel­lung, als uns schach­lich voran zu brin­gen. Obwohl die Anord­nung der Lösung am Fuß der Seite ein unge­woll­tes Erha­schen der Lösung kaum zulässt, habe ich mich jeden­falls nicht lange mit dem Lösen der Schach­rät­sel auf­ge­hal­ten, son­dern die kom­men­tierte Zug­folge lie­ber quasi als Fort­set­zung des Haupt­tex­tes gelesen.

Perfekte Präsentation von Lesehappen

Vielseitiger und sachkundiger Schach-Autor: Martin Breutigam (Geb. 1965 in Bremen))
Viel­sei­ti­ger und sach­kun­di­ger Schach-Autor: Mar­tin Breu­ti­gam (Geb. 1965 in Bremen)

Die wohl­durch­dachte Aus­wahl und die per­fekte Prä­sen­ta­tion in klei­nen Leseh­ap­pen machen das Buch zu einer will­kom­me­nen Lek­türe in Bus und Bahn oder bei War­te­zei­ten. Inso­fern würde ich auch die Kauf­emp­feh­lung aus­spre­chen: “Damen an die Macht” ist kein Buch mit Lern­ef­fekt, son­dern ein rei­nes Lese­buch. Gerade für Men­schen, die sich – auf wel­chem Level auch immer – für Schach begeis­tern und dabei über den Tel­ler­rand der 64 Fel­der hin­weg schauen, dürfte das vor­lie­gende Taschen­buch ein sehr will­kom­me­nes Geschenk sein.
Was wünscht sich der Rezen­sent noch? Viel­leicht könnte man jedem Arti­kel das Datum der Erst­ver­öf­fent­li­chung bei­geben. Immer­hin steht im Sei­ten­kopf das Jahr, aber die zeit­be­zo­ge­nen Text­pas­sa­gen wie “neu­lich” und “vor eini­gen Wochen” ver­wir­ren beim Lesen schon etwas. Noch bes­ser wäre es natür­lich in man­chen Fäl­len, wenn der Autor sei­nen Kolum­nen einen aktu­el­len Kurz­kom­men­tar bei­fü­gen würde, wenn sich inzwi­schen neue Ent­wick­lun­gen erge­ben haben. Eine sol­che Ergän­zung authen­ti­scher Zeit­zeug­nisse mit dem wis­sen­den Rück­blick würde ich als unge­mein reiz­voll emp­fin­den – auch wenn es dann ein ganz ande­res Buch wird. ♦

Mar­tin Breu­ti­gam: Damen an die Macht, Rät­sel und Geschich­ten aus der Welt des Schachs, Die Werk­statt Ver­lag, 192 Sei­ten, ISBN 9783-0596-0087-4

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schach­ko­lum­nen auch über F. Zava­tar­elli u.a: Feuil­le­tons von Ignaz Kolisch

… sowie zum Thema Frau­en­schach: Frauen-Schach-Welt­meis­ter­schaft 2020

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