T. Overwater (Bass) & A. Kohashi (Klavier): Crescent

Alte Stimmung mit neuen Vorstellungen

von Horst-Dieter Radke

Mit dem Album “Cre­s­cent” legen Atzko Koha­shi (Kla­vier) und Tony Over­wa­ter (Bass) eine Hom­mage an den Saxo­fo­nis­ten John Col­trane vor, die ohne des­sen Instru­ment aus­kommt und es trotz­dem schafft, die Stim­mung des alten Albums zu hal­ten und mit neuen, eige­nen Vor­stel­lun­gen zu verknüpfen.

Die CD weckte sofort Erin­ne­run­gen, als sie vor mir lag. Und zwar an die frü­hen Sieb­zi­ger Jahre des letz­ten Jahr­hun­derts. Da bekam ich eine bereits abge­nu­delte Platte von John Col­trane mit dem glei­chen Namen. Die Erin­ne­rung an das erste Hör­erleb­nis war sofort wie­der prä­sent. Der lang­same, fast hym­ni­sche Ein­stieg der Platte im gleich­na­mi­gen Stück und die fol­gen­den prä­gnan­ten Impro­vi­sa­tio­nen, die ich zumin­dest stel­len­weise schon nach kur­zer Zeit mit­sum­men konnte, blieb auch in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten erhal­ten. Würde es die­ses Duo mit ihrer Neu­in­ter­pre­ta­tion ohne Saxo­fon schaf­fen, die­ses Hör­erleb­nis zu wiederholen?

Mehr als nur Wohlfühlmusik

Cre­s­cent” aus dem Jahr 1964 war viel­leicht nicht Col­tra­nes erfolg­reichs­tes Album, viel­leicht aber sein ruhigs­tes. Man­che Kri­ti­ker bezeich­nen es als medi­ta­tiv, was aber nicht bedeu­ten soll, dass es Wohl­fühl­mu­sik ist, die Col­trane ein­ge­spielt hat. Diese ruhige-medi­ta­tive Seite kommt auch in den Inter­pre­ta­tio­nen von Kohashi/Overwater zur Gel­tung, und sie durch­zieht eben­falls die Kom­po­si­tio­nen, die nicht von Col­trane stam­men. Es beginnt mit “Wise One”, das auf Col­tra­nes Album das zweite Stück ist. Das Kla­vier in die­ser neuen Ein­spie­lung kommt kla­rer und akzen­tu­ier­ter, als Mac­Coy Tyner das in der alten Auf­nahme schaffte, was zum Teil sicher auf die heut­zu­tage bes­se­ren Auf­nah­me­tech­ni­ken zurück­zu­füh­ren ist. Dann über­nimmt der Bass die Melo­die und damit die Rolle von Col­tra­nes Tenorsaxofon.

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Das klingt unge­wohnt – aber nicht schlecht. Es zeigt recht schnell, dass Col­tra­nes Kom­po­si­tio­nen jen­seits des ursprüng­li­chen Instru­ments funk­tio­nie­ren. In den Impro­vi­sa­tio­nen ent­wi­ckeln sich beide dann eigen­stän­dig und hal­ten sich nur noch inso­fern an Col­tra­nes Vor­lage, als dass sie die Grund­stim­mung nicht ver­letz­ten. Dar­aus resul­tiert ein schö­nes, ent­spann­tes Zuhö­ren. Schon beim ers­ten Mal hatte ich das Gefühl, es brauchte gar nicht auf­zu­hö­ren. Das im Ori­gi­nal mehr als acht­mi­nü­tige Stück wird auf der neuen Ein­stel­lung auf fünf Minu­ten kom­pri­miert, was ihm jedoch nicht schadet.

Beide Inter­pre­ten gehö­ren zu den Bewun­de­rern Col­tra­nes. Es war kei­nes­wegs geplant, des­sen Musik auf­zu­neh­men, als sie sich zu den Auf­nah­me­ses­si­ons tra­fen, son­dern ergab sich zwang­los aus der Erin­ne­rung an das große Vor­bild. Sie mein­ten auch, so schrei­ben sie im Book­let, hei­lende Aspekte in Col­tra­nes Musik erkannt zu haben.

Gleichberechtigung von Bass und Klavier

Aber selbst­ver­ständ­lich ist es dann auch wie­der span­nend, den ande­ren Titeln zuzu­hö­ren. Das Duo über­nimmt drei Kom­po­si­tio­nen aus dem gleich­na­mi­gen Col­trane-Album: Wise One, Lonnie’s Lament und Cre­s­cent, sowie Mr. Syms aus dem Fol­ge­al­bum My Favo­rite Things. Zwei Songs des Jazz­bas­sis­ten Char­lie Haden, und einer von Bob Hag­gart, eben­falls Bas­sist, sowie eine Kom­po­si­tion von Tony Over­wa­ter ergän­zen das Album.

Jazz-Komponist und Bassist Tony Overwater - Glarean Magazin
Der Jazz-Kom­po­nist und -Bas­sist Tony Over­wa­ter (*1964 in Rotterdam)

Man könnte mei­nen, es sei etwas bass­las­tig gera­ten, aber beim Hören ergibt sich doch ein ande­rer Ein­druck. Kla­vier und Bass ergän­zen sich aus­ge­spro­chen gut. Dadurch, dass der Bass immer wie­der mal die Melo­die­füh­rung über­nimmt – nicht nur bei Impro­vi­sa­tio­nen – bekommt das ganze Album einen sehr aus­ge­wo­ge­nen Cha­rak­ter. Es ist kein Kla­vier­al­bum mit Bass­be­glei­tung, beide Instru­mente ste­hen sich gleich­be­rech­tigt gegen­über. Für ein tie­fes Instru­ment wie den Bass ist das nicht ganz ein­fach, aber Tony Over­wa­ter ist nicht der erste, dem dies gelingt. Die Pia­nis­tin unter­stützt ihn mit teil­weise mini­ma­lis­ti­scher Beglei­tung, aus der sie sich dann für ihre Impro­vi­sa­tio­nen nicht plötz­lich, son­dern sehr ange­mes­sen und ein­fühl­sam hervorspielt.

Nicht spektakulär, aber herausragend

John Coltrane - Jazz-Musiker - Glarean Magazin
Jazz-Legende: John Col­trane (1926-1967)

Cre­s­cent” ist das fünfte Stück auf dem Album, nicht der Ope­ner, wie beim Ori­gi­nal. So wird es zum Mit­tel­punkt und Höhe­punkt der CD. Over­wa­ter über­rascht mit einem gestri­che­nen Bass, der bei den ers­ten Klän­gen bei­nahe an ein Saxo­fon erin­nert. Das letzte Stück ist ein Song von Frank Sina­tra (As Long As There’s Music), kom­po­niert von Jule Styne, das sich her­vor­ra­gend als Aus­klang des Albums eignet.

Zusam­men­ge­fasst: Ein viel­leicht nicht spek­ta­ku­lä­res, aber auf jeden Fall her­aus­ra­gen­des Album, das nicht nur beim ers­ten Anspie­len gefällt. Es taugt abso­lut nicht als Hin­ter­grund­mu­sik, weil es immer wie­der zum genauen Zuhö­ren ver­lockt. Und es ver­liert auch nicht, wenn man zum Ver­gleich die alte Platte von Col­trane hört. Eher ent­steht der Ein­druck, dass es den Inter­pre­ten gelingt, neue Aspekte aus den Kom­po­si­tio­nen her­aus­zu­lo­cken, ohne den Ursprung zu verschleiern. ♦

Tony Overwater/Atzko Koha­shi: Cre­s­cent, Audio-CD, Label Jazz in Motion Records (Chall­enge Records Inter­na­tio­nal), 50 Minuten

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Jazz-Musik auch über Kenny Gar­rett: Sounds from the Ancestors

…sowie über die Jazz-CD Rudi Ber­ger fea­turing Ton­inho Horta

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