Horst-Dieter Radke: Drei Tier-Fabeln

Drei Fabeln

Horst-Dieter Radke

Schlange und Flöte

Du musst tan­zen, wenn ich erklinge!” sprach die Flöte zur Schlange. “Du bist meine Sklavin.”
Die Schlange wiegte sich hin und her. “Was ist schlimm daran, wenn ich deine Musik in Bewe­gung ver­wan­dele und so nicht nur dem Ohr, son­dern auch dem Auge etwas biete?”
“Du musst, wenn ich will” läs­terte hämisch die Flöte.
Am Abend kroch die Schlange zur Flöte, die der Spie­ler acht­los auf die Decke gelegt hatte, und rich­tete sich auf.
“Siehst du?” sprach sie. “Ich kann auch tan­zen ohne deine Musik. Wer will es mir verwehren?”
Die Flöte schaute die Schlange nur ver­ächt­lich an.
“Aber kannst du erklin­gen”, zischte die Schlange, “wenn der Spie­ler dich nicht bläst?”
Hilf­los und stumm schaute die Flöte der tan­zen­den Schlange zu.

Storch und Frosch

Schau”, sagte der Storch zum Frosch, “es ist ja nur etwas mehr als ein hal­bes Jahr, dass ich dei­nes­glei­chen beläs­tige. Im Herbst gehen wir auf Rei­sen und im Win­ter sind wir in Län­dern, die euch gar nicht gefal­len würden.”
“Was haben wir davon?” jam­merte der Frosch. “Im Win­ter lie­gen wir starr und steif im Schlamm, erwar­ten das Früh­jahr und fürch­ten eure Rückkehr.”
“Dafür kann ich nichts!” sagte der Storch. “Aus­ser­dem seid ihr uns zah­len­mäs­sig über­le­gen.” Er schnappte den Frosch mit dem Schna­bel, schlang ihn her­un­ter und stapfte auf sei­nen lan­gen Bei­nen wei­ter durch die Wiese, auf der Suche nach einem neuen Gesprächspartner.

Mücke und Fliege

Du ernährst dich nur von den Res­ten der Men­schen.” läs­tert eine Mücke arro­gant, als sie sich an der Wand neben der Fliege nie­der­lässt. “Ich nehme das Beste was sie haben, ihr Blut, wann immer ich es will.”
Belei­digt summt die Fliege davon. Ein hef­ti­ger Klatsch ver­streicht das fri­sche Blut mit der Mücke über die Wand zu einem häss­li­chen Fleck.
“Siehst du wohl!” sagt die Fliege, als sie sich auf den gut nach Honig rie­chen­den Kle­be­strei­fen setzt. ♦


Horst-Dieter Radke - Glarean MagazinHorst-Dieter Radke

Geb. 1953 in Hamm/D, Wirt­schafts­in­for­ma­ti­ker, Stu­dium der Päd­ago­gik mit dem Schwer­punkt Betriebs­päd­ago­gik an der Uni­ver­si­tät Koblenz-Landau, dane­ben Musik­leh­rer­prü­fung; frei­be­ruf­li­cher Lek­tor und Schrift­stel­ler, Buch-Ver­öf­fent­li­chun­gen zu regio­na­len und geschicht­li­chen The­men, Romane, Kri­mis, Novel­len, Erzählungen

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch die Sati­ri­sche Fabel von Angela Mund: Hun­de­ge­sprä­che (Satire)
… sowie von Peter Biro: Hams­ter­kauf (Satire)

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