Kenny Garrett: Sounds from the Ancestors (Jazz)

Musik nicht nur von den Vorfahren

von Horst-Dieter Radke

Als ich die neue CD “Sounds from the An­ces­tors” des Alt-Sa­xo­pho­nis­ten Ken­ny Gar­rett be­kam, war ich ge­spannt. Der 1960 ge­bo­re­ne ame­ri­ka­ni­sche Mu­si­ker hat mit vie­len an­de­ren, die im Jazz Rang und Na­men ha­ben, ge­spielt. Aus­ge­hend vom Duke El­ling­ton Or­ches­tra, in dem er Mit­glied war, und den Com­bos von Fred­die Hub­bard, Mi­les Da­vid und Chick Co­rea hat er ei­ge­ne En­sem­bles zu­sam­men­ge­stellt und an­de­re be­rei­chert. Die Lis­te der Ton­trä­ger, auf de­nen er mit­spielt ist lang. Per­sön­lich be­rührt mich sei­ne Art von Mu­sik sehr, weil sie bis in mei­ne frü­hes­ten Er­fah­run­gen mit dem Jazz zu­rück­führt. Aber nicht nur…

Jeder Musiker zählt

Kenny Garrett: Sounds From The Ancestors - Audio-CDAls ich mein ei­ge­nes Tran­sis­tor­ra­dio be­kam im Al­ter von 12 oder 13 Jah­ren, er­öff­ne­te sich mir eine Mu­sik­welt, die ich vor­her nicht ge­kannt hat­te. Mei­ne El­tern hör­ten haupt­säch­lich Mu­sik der drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­re, mei­ne Schul­ka­me­ra­den und Freun­de das, was da­mals in den Hit­pa­ra­den an­ge­sagt war. Mit dem Tran­sis­tor­ra­dio ent­deck­te ich beim Such­lauf durch die Sen­der nicht nur die klas­si­sche Mu­sik, son­dern – vor al­lem abends oder nachts (heim­lich) den Jazz und den Blues.
Dar­an be­geis­ter­te mich be­son­ders, dass plötz­lich die aus­füh­ren­den Mu­si­ker her­vor­ge­ho­ben wur­den – und zwar nicht nur der eine im Vor­der­grund ste­hen­de Sän­ger oder So­list, son­dern aus­nahms­los alle. “Sie hö­ren bei der fol­gen­den Num­mer Os­car Pe­ter­son am Pia­no, Herb El­lis an der Gi­tar­re, Ray Brown am Bass, J.C. He­ard am Schlag­zeug und Les­ter Young mit dem Te­nor­sa­xo­phon.” Das wa­ren An­sa­gen – und schnell kann­te ich eine gro­ße An­zahl von Jazz-Mu­si­kern und ent­wi­ckel­te lang­sam Vorlieben.

Im Zentrum: Das Saxophon

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Un­ter den In­stru­men­ten war es nicht die Gi­tar­re, die ich sel­ber spiel­te, oder die Trom­pe­te, die mit So­lis­ten wie Lou­is Arm­strong, Chet Bak­er oder Mi­les Da­vis ziem­lich po­pu­lär war, son­dern das Sa­xo­phon, das ich be­son­ders schätz­te. Der sat­te Ton des Te­nor-Sa­xo­phons, das ein­dring­li­che Sin­gen des Alt-Sa­xo­phons oder gar das in den tie­fen Re­gis­tern röh­ren­de Ba­ri­ton-Sa­xo­phon, das mir durch und durch ging, wa­ren mei­ne Favoriten.
Und ver­mut­lich wa­ren es ge­nau die­se Ef­fek­te, die das In­stru­ment für den Jazz prä­de­sti­nier­ten. Les­ter Young und Can­non­ball Ad­der­ley la­gen min­des­tens so häu­fig auf mei­nem Plat­ten­spie­ler wie die Beat­les oder Bob Dy­lan. Mit mei­nem brei­ter wer­den­den Mu­sik­ge­schmack der fol­gen­den Jahr­zehn­te trat der Jazz dann ein we­nig in den Hin­ter­grund, wur­de aber nie ver­ges­sen und sämt­li­che neu­en Strö­mun­gen gern zur Kennt­nis ge­nom­men, wenn auch nicht im­mer geliebt.

Von allem etwas und doch eigenständig

Kenny Garrett - Saxophon - Glarean Magazin
Ver­track­te Rhyth­men mit un­glaub­li­cher Leich­tig­keit: Sa­xo­pho­nist Ken­ny Garrett

Als nun die neue CD von Ken­ny Gar­rett in mei­nen Play­er kam, wur­de ich schon nach den ers­ten Tak­ten wie­der an mei­ne frü­hen Jazz-Hör­erleb­nis­se er­in­nert. Die “Klän­ge der Vor­fah­ren” hör­ten sich für mich neu und alt zu­gleich an, klan­gen frisch und doch ein we­nig nach Stall­ge­ruch, so das ich auf­merk­sam ver­fol­gen muss­te, was im Ver­lauf der ein­zel­nen Ti­tel passiert.
Ein­gän­gi­ge Me­lo­dien, fas­zi­nie­ren­de, teil­wei­se ver­track­te Rhyth­men, al­les zu­sam­men mit ei­ner un­glaub­li­chen Leich­tig­keit ge­spielt, und Im­pro­vi­sa­tio­nen, die fes­seln, je­doch sich nie­mals ver­lie­ren – so macht Zu­hö­ren Spaß, und nicht nur beim ers­ten und zwei­ten Hö­ren. Ver­schie­de­ne Sti­le wer­den ge­nutzt, afri­ka­ni­sche Wur­zeln wer­den deut­lich, ohne dass es all­zu sehr nach Eth­no-Mu­sic klingt, Ku­ba­ni­sches scheint durch, und auch Rhythm&Blues so­wie Gos­pel-Ele­men­te wer­den nicht aus­ge­las­sen – aber al­les nicht bloß als Zi­ta­te, son­dern ver­in­ner­licht. Klän­ge der Vor­fah­ren? Durch­aus, doch nicht als Pla­gi­at, son­dern als Er­geb­nis ei­ner lan­gen Tradition.

Melodien, die im Gedächtnis bleiben

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Der Kern von Gar­retts Trup­pe auf die­sem Al­bum be­steht aus Ver­nell Brown jr. (Pia­no), Cor­co­ran Holt (Bass), Ro­nald Bru­ner (Drums) und Rudy Bird (Per­cus­sion). Dann und wann greift Gar­rett selbst in die Tas­ten, man weiß aber nicht ge­nau wann, weil im­mer auch noch ein an­de­rer ak­tiv ist, mit Aus­nah­me des sieb­ten Stücks, das auch dem Al­bum den Ti­tel gibt. Das In­tro so­wie das Ou­t­ro spielt Garrett.
Auch ge­sun­gen wird von Gar­rett und ei­ni­gen an­de­ren Mu­si­kern (Dwight Tri­ble, Lin­ny Smith, Chris Ash­ley An­tho­ny, She­he­ra­za­de Hol­mann), doch fügt sich die­ser Ge­sang in die in­stru­men­ta­le Mu­sik ein wie ein gleich­wer­ti­ges In­stru­ment und nicht wie eine Stim­me, die be­glei­tet wer­den muss. Die Me­lo­dien blei­ben schon nach we­ni­gen Ma­len des Hö­rens im Ge­dächt­nis (was im Jazz nicht selbst­ver­ständ­lich ist). Mir ist es in der Fol­ge ei­ni­ge Male pas­siert, dass ich ein­zel­ne Frag­men­te vor mich hin­ge­summt und – ich will nicht sa­gen im­pro­vi­siert, aber doch – va­ri­ie­rend ver­än­dert habe.

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Was die­ses her­aus­ra­gen­de und er­freu­li­che Al­bum al­ler­dings nicht braucht, ist der CD-Be­gleit­text, der Gar­retts Mu­sik ei­nen über­höh­ten Wert zu­ge­ste­hen will. Er – und vor al­lem die Mu­sik – braucht kei­ne über­hö­hen­de Mys­tik. Sie klingt gut, sie lässt sich spü­ren und er­le­ben – und wer mag, kann die­sem hö­ren­den Er­le­ben auch eine per­sön­li­che Deu­tung ge­ben. Mehr ist nicht nötig.
Für alle, die den Jazz und ins­be­son­de­re das Sa­xo­phon lie­ben, eine rund­um emp­feh­lens­wer­te Aufnahme! ♦

Ken­ny Gar­rett (Sa­xo­phon): Sounds from the An­ces­tors (Jazz-Au­dio-CD), Mack­A­ve­nue, 68 Min.

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Sa­xo­phon-Mu­sik auch über Hans-Chris­ti­an Del­lin­ger: Strea­ming (CD)

… so­wie über Sieg­me­th, Hun­stein, Wolf: Win­ter­rei­se nach Franz Schu­bert (CD)

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