Ursula Hasler: Die schiere Wahrheit (Roman)

Simenon und Glauser im Roman vereinigt

von Alexandra Lavizzari

In ih­rem zwei­ten, eben­falls im Lim­mat Ver­lag er­schie­ne­nen Ro­man “Die schie­re Wahr­heit” ge­währt die Schaff­hau­ser Au­torin Ur­su­la Has­ler Ein­blick in die Schreib­werk­statt zwei­er gros­ser Kri­mi­schrift­stel­ler des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts, de­ren Cha­rak­ter und Le­bens­läu­fe un­ter­schied­li­cher nicht hät­ten sein kön­nen: Des Bel­gi­ers Ge­or­ges Si­me­non, des­sen mit leich­ter Fe­der hin­ge­wor­fe­ne Mai­gret-Ro­ma­ne ihm schon früh eine fi­nan­zi­ell gut ge­pols­ter­te Exis­tenz er­mög­lich­te, und des glück- und ru­he­lo­sen Schwei­zers Fried­rich Glau­ser, der sich, von Mor­phi­ums­sucht ge­plagt, sei­ne Stu­der-Ro­ma­ne un­ter schwers­ten psy­cho­lo­gi­schen Be­din­gun­gen ab­rin­gen musste.

Ursula Hasler: Die schiere Wahrheit - Glauser und Simenon schreiben einen Kriminalroman - Limmat VerlagSie hät­ten ein­an­der im wah­ren Le­ben be­geg­nen kön­nen, Ge­or­ges Si­me­non und Fried­rich Glau­ser, denn zu­fäl­li­ger­wei­se weil­ten bei­de im Som­mer 1937 un­weit von­ein­an­der an der west­fran­zö­si­schen At­lan­tik­küs­te. Glau­ser war mit sei­nem Ro­man Mat­to re­giert end­lich der Durch­bruch ge­lun­gen, und er hoff­te, an der Sei­te von Ber­the Ben­del in ei­nem klei­nen Ba­de­ort süd­lich von Nan­tes sei­ne in­ne­ren Dä­mo­nen bän­di­gen zu kön­nen, um ver­schie­de­ne li­te­ra­ri­sche Pro­jek­te zu Ende zu führen.

Georges Simenon - Glarean Magazin
Va­ter der le­gen­dä­ren Mai­gret-Ro­ma­ne: Ge­or­ges Si­me­non (1903-1989)

Zur glei­chen Zeit flüch­te­te sich Si­me­non mit sei­ner schwer de­pres­si­ven Frau vom Pa­ri­ser Tru­bel in die Nähe von La Ro­chel­le, wo er sich nach den er­folg­rei­chen Mai­gret-Ro­ma­nen end­lich der wah­ren Li­te­ra­tur zu wid­men ge­dach­te. Die­ses zeit­li­chen und geo­gra­fi­schen Zu­falls hat sich Ur­su­la Has­ler in ih­rem Ro­man be­dient, um ei­nen Kri­mi zu schrei­ben, der die li­te­ra­ri­schen Ei­gen­hei­ten bei­der Au­toren mit­ein­an­der ver­knüft. Eine Fu­si­on so­zu­sa­gen, bloß dass Glau­sers Wacht­meis­ter Stu­der nicht Si­me­nons Mai­gret zur Sei­te steht, son­dern eine alte Jung­fer na­mens Amé­lie Mo­rel, die sich Si­me­non spon­tan als Er­satz aus­denkt, weil er 1937 noch im Ernst glaub­te, sei­nen po­pu­lä­ren Kom­mis­sar end­gül­tig in den Ru­he­stand ge­schickt zu haben.

Prosa mit Helvetismen

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Buch-Au­torin Ur­su­la Has­ler sagt es je­doch selbst: Die schie­re Wahr­heit ist eine Spie­le­rei, als her­kömm­li­cher Kri­mi nicht wirk­lich ernst zu neh­men. Und tat­säch­lich ist nicht so sehr der von Si­me­non und Glau­ser wäh­rend aus­ge­dehn­ten Strand­spa­zier­gän­gen er­fun­de­ne Plot um ei­nen am Strand tot auf­ge­fun­de­nen Ame­ri­ka­schwei­zer in­ter­es­sant, son­dern die Zwi­schen­ka­pi­tel, in de­nen die bei­den sich über ihr Schrei­ben, das Kon­zi­pie­ren von Kri­mi­nal­fäl­len, ihre Fi­gu­ren­zeich­nung und Evo­zie­rung be­stimm­ter Mi­lieus und At­mo­sphä­ren unterhalten.
Man spürt, dass die­sen fik­ti­ven Ge­sprä­chen aus­ge­dehn­te Re­cher­chen der Au­torin zu­grun­de lie­gen. Has­ler hat nicht nur Le­ben und Werk von Si­me­non und Glau­ser mi­nu­ti­ös un­ter die Lupe ge­nom­men, son­dern auch de­ren je­wei­li­gen Schreib­stil, den sie sich im ei­ge­nen Ro­man auch an­eig­net. So streut sie gern Hel­ve­tis­men in ihre Pro­sa, wenn Glau­ser – oder Mon­sieur Glosè­re, wie Si­me­non sei­nen Kol­le­gen nennt – an der Rei­he ist, ein Ka­pi­tel des Kri­mi­nal­falls bei­zu­steu­ern. Bis­wei­len klin­gen die­se Hel­ve­tis­men et­was for­ciert, aber wäh­rend der Lek­tü­re auf Wör­ter wie „Lis­me­te”, „blutt”, „Chab­is”, „z’Bern” und der­glei­chen zu sto­ßen, ruft ei­nen im­mer­hin in Er­in­ne­rung, dass man es bei die­sem in ei­nem fran­zö­si­schen See­bad an­ge­sie­del­ten Ro­man doch letzt­lich mit ei­nem Schwei­zer Text zu tun hat.

Glausers exakt beobachtete “Sächeli”

Friedrich Glauser - Studer Manuskript und Schreibmaschine - Glarean Magazin
Fried­rich Glau­sers “Studer”-Manuskript mit Schreib­ma­schi­ne (Sze­nen-Foto aus dem Film “Glau­ser”)

Si­me­nons und Glau­sers Pos­tu­lat, wo­nach der Au­tor sich für die Er­zeu­gung von Span­nung nicht un­be­dingt eine ver­zwick­te Hand­lung aus­den­ken muss, be­her­zigt die Au­torin lei­der et­was zu wört­lich. Mit­te des Ro­mans lässt sie Glau­ser sa­gen: “Eine Hand­lung kann un­glaub­lich lang­wei­lig sein, sta­tisch möch­te ich sa­gen, und eine Er­zäh­lung, in der schier nichts pas­siert, kann span­nend sein und voll Dy­na­mik. Näm­lich mit ex­akt be­ob­ach­te­ten Sächeli…”
Stimmt. Man den­ke an Proust Mo­nu­men­tal­werk, in dem über Sei­ten nichts pas­siert au­ßer ei­nem Lä­cheln oder dem von ei­ner Frau­en­schul­ter Glei­ten ei­nes Schals. Prousts ex­akt be­ob­ach­te­te “Sä­che­li” sind in­des­sen nicht blo­ße Be­schrei­bun­gen, son­dern mit Er­in­ne­run­gen, As­so­zia­tio­nen und Emo­tio­nen be­frach­te­te Wahr­neh­mun­gen, die auf die mo­men­ta­ne Be­find­lich­keit des Be­ob­ach­ten­den zu­rück re­flek­tie­ren. In Has­lers Pro­sa sind die­se “Sä­che­li”, die eine At­mo­sphä­re schaf­fen und die Ei­gen­art der Fi­gu­ren her­aus­kris­tal­li­sie­ren soll­ten, je­doch meist nur un­nö­ti­ger Wortballast.

Klischierung von Figuren

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Die der­mas­sen aufs blo­ße Be­schrei­ben re­du­zier­te Spra­che führt bald ein­mal zur Kli­schie­rung der Fi­gu­ren und Si­tua­tio­nen. Vor al­lem die tüf­teln­de Amé­lie Mo­rel ver­kommt da­bei zur blas­sen fran­zö­si­schen Ka­ri­ka­tur von Aga­tha Christie’s Miss Mar­ple. Dass sie eine alte Jung­fer ist, wird ei­nen bei je­der Ge­le­gen­heit – und aus­führ­lichst – in Er­in­ne­rung ge­ru­fen, so auch, dass Glau­ser arm und Si­me­non reich ist. Aber auch die Pro­sa selbst ist bis auf den flot­ten und ein­la­den­den An­fang oft über­la­den und zei­tigt bis­wei­len arg miss­glück­te Stil­blü­ten: “…der zier­li­che Korb­ses­sel knack­te ent­setzt und ent­setz­lich…” oder: “An ih­rem Tisch hock­te bo­ckig das Schweigen…”
Was nach der Lek­tü­re die­ses Ro­mans bleibt, ist eine Mi­schung von Är­ger und Ent­täu­schung. Die grund­le­gen­de Idee mit­samt über­ra­schen­dem Schluss à la Pi­ran­del­lo ist bril­lant und der Schau­platz – Strand, Dü­nen, See­bad – mit sicht­li­cher Lie­be evo­ziert, aber eine hal­bier­te Sei­ten­zahl hät­te es auch ge­tan, so­wohl der Zeit und Ge­duld des Le­sers als auch den bei­den her­vor­ra­gen­den Kri­mi­au­to­ren zu­lie­be, die Has­ler hier zum Le­ben er­we­cken wollte. ♦

Ur­su­la Has­ler: Die schie­re Wahr­heit – Glau­ser und Si­me­non schrei­ben ei­nen Kri­mi­nal­ro­man, Ro­man, Lim­mat Ver­lag, 342 Sei­ten, ISBN 978-3-03926-020-1

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Schwei­zer Kri­mi auch über Tho­mas Bränd­le: Das Ge­heim­nis von Montreux

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