Inhaltsverzeichnis
Ein Kompendium “klassischer” Vokalwerke
von Walter Eigenmann
Mit der Umschreibung und Einordnung von über 800 bedeutenden (oder zumindest bemerkenswerten) Chorwerken aus sechs Jahrhunderten, also aus der Früh-Renaissance bis heute und von Clémant Janequin (†1558) bis zu Jake Runestad (*1986), legen die Verlage Bärenreiter und Metzler mit ihrem neuen Kompendium “Handbuch der Chormusik” einen eindrücklichen Tour d’Horizont durch den gemeinschaftlichen Kunstgesang aller Zeiten hin. In den Fokus gezogen wurde dabei das instrumental unbegleitete Chorstück bzw. das Vokalwerk mit wenig Begleitinstrumentarium (Cembalo, Klavier, Orgel).
Der Band ist offensichtlich rein lexikalisch konzipiert, soll also als Nachschlagewerk fungieren: Nicht chronologisch oder stilistisch oder kategorial sind die 800 Werkportraits angeordnet, sondern alphabetisch nach den Komponisten. Gleichwohl enthält ein Register im Anhang die übliche Themen-Liste verwandter Lexika (“Tod/Leben”, “Nacht/Tag”, “Jahreszeiten”, “Liebe” u.a.) sowie eine Übersicht auf alle Textautor/inn/en – womit auch musikgeschichtlich Interessierte schnell zu den einschlägigen Buchseiten manövrieren können.
Im Fokus: Das individuell gestaltete Kunstwerk
Herausgeber Bernd Stegmann umreißt die grundsätzliche Intention des Handbuchs so: “Die Autorinnen und Autoren stellen das individuell gestaltete Kunstwerk in den Vordergrund und nicht so sehr sein Aufgehen in einer musikhistorischen Entwicklung. Daher wurde anstelle übergeordneter gattungspezifischer oder historisch orientierter Darstellungen auf erhellende Schlaglichter gesetzt”.
Dabei werden jeder einzelnen Werkbesprechung die Angaben zum Entstehungsjahr, zum/r Textdicher/in, zur Besetzung, zur Dauer und zum Verlag des Erstdrucks vorangestellt.

Die Portraits der Einzelstücke selber sind durchwegs zwar konzentriert auf ihren wesentlichen musikalischen Gehalt, aber sowohl informativ bezüglich Entstehungsgeschichte und zudem (z.B. für Dirigenten) oft sogar hilfreich, wo sie nicht nur Angaben zur kompositorischen Struktur, sondern auch Tipps zur Chordidaktik oder zur modernen Aufführungspraxis enthalten.
Informativ und sorgfältig
Natürlich impliziert jede Titel-Auswahl immer auch eine gewisse Subjektivität bzw. musikalische Präferenz der involvierten Verfasser – ausnahmslos kompetente Experten ihrer Fachgebiete -, und nicht bei jedem Werkportrait lässt der Umfang der Besprechung nachvollziehbar auf die Bedeutung oder Aktualität des betr. Chorstückes schließen. Andererseits stellte die Beschränkung auf 800 Stücke bzw. Liedersammlungen angesichts einer erschlagenden Fülle von -zig Tausenden heute verfügbarer hochqualitativer Chorwerke zweifellos eine besondere Herausforderung dar für Herausgeber und Mitarbeiter – eine Aufgabe, der dieses Kompendium inhaltlich sehr informativ und lexikalisch sorgfältig nachkam.
Bereicherung des Chor-Bücherregals

Zwei Dinge kann der Leser bedauern: Der über 720 Seiten starke Band enthält keine einzige Noten-Illustration (was angesichts der inhaltlichen Materialfülle allerdings verständlich ist); außerdem werden heutzutage so schwergewichtig praktizierte Chorgattungen wie Pop oder Jazz komplett ausgeblendet. Möglicherweise sind aber diese beiden Musiksparten ja Gegenstand eines zweiten, ähnlich sorgfältig konzipierten und fachlich instruktiven Bandes der beiden Verlagshäuser? Zusätzliche, möglicherweise jüngere Leserschichten wären einem solchen Folgeprojekt wohl garantiert.
Inhaltliche Qualität und lexikalische Sorgfalt
Mit seinem stolzen Buchpreis von über 90 Euro richtet sich dieses eindrückliche Nachschlagewerk nicht an den/die Amateur-Durchschnittssänger/in. Für alle anderen aber stellt dieses Handbuch eine wirkliche Bereicherung des modernen Chor-Bücherregals dar: Die Qualität der Beiträge, das Spektrum der behandelten Vokalstücke und die lexikalische Sorgfalt dieses Nachschlagewerkes sind vorbildlich und bieten jedem/r Chorinteressierten, ob Dirigent/in, Sänger/in, Hörende/r oder Studierende/r eine Fülle von Informationen, Anregungen, Tipps und Inspirationen rund um das enorm facettenreiche Gebiet des Singens im Ensemble. ♦
Bernd Stegmann (Hrsg): Handbuch der Chormusik – 800 Werke aus sechs Jahrhunderten, 718 Seiten, Bärenreiter/Metzler Verlag, ISBN 9783761823422
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Chormusik auch: Chorgesang und kognitive Fähigkeiten (Musik-Psychologie)
… sowie zum Thema Musik im Alter: Handbuch der Seniorenchor-Leitung (Kai Koch)