Ralf Günther: Als Bach nach Dresden kam (Novelle)

Das Duell der Tastenvirtuosen

von Heiner Brückner

Jo­hann Wolf­gang von Goe­the for­mu­lier­te 1827 in ei­nem Ge­spräch mit Jo­hann Pe­ter Ecker­mann als we­sent­li­ches Merk­mal der No­vel­le “eine sich er­eig­ne­te un­er­hör­te Be­ge­ben­heit”. No­vel­len ge­stal­ten all­ge­mein ge­se­hen von ei­nem wah­ren Kern aus­ge­hend eine Neu­ig­keit mit er­zäh­le­risch mehr oder min­der span­nen­den Aus­schmü­ckun­gen. Et­was hät­te so sein kön­nen oder wäre si­cher­lich per­fek­ter ge­wor­den, als es in Wirk­lich­keit ge­we­sen ist. Die Kunst des Au­tors liegt dar­in, das Er­eig­nis der­art plas­tisch zu er­zäh­len, dass es na­he­zu au­then­tisch er­scheint. Bei sei­nem De­büt über den Ma­ler Ernst Lud­wig Kirch­ner ist es Ralf Gün­ther her­vor­ra­gend ge­lun­gen, die Kri­te­ri­en ei­ner No­vel­le umzusetzen.

Ralf Günther - Als Bach nach Dresden kam - Literatur-Rezension im Glarean MagazinIm Fall der aus­ge­dach­ten Dres­den-Epi­so­de von Jo­hann Se­bas­ti­an Bach kann man ihm die meis­ter­li­che Form­be­herr­schung eben­so we­nig ab­spre­chen. Al­ler­dings mit dem ent­schei­den­den Un­ter­schied, dass sei­ne No­vel­le “Als Bach nach Dres­den kam” um eine fik­ti­ve No­vi­tät auf­ge­baut ist. Der Bach-Ex­per­te Jan Katzschke hat das in sei­nem Nach­wort “Dich­tung und Wahr­heit des Dresd­ner Tas­ten­du­ells” er­läu­tert und ei­nen ech­ten Dresd­ner Or­gel­wett­streit von 1650 so­wie in Rom das Du­ell im Jahr 1709 zwi­schen Ge­org Fried­rich Hän­del an der Or­gel und Do­me­ni­co Scar­lat­ti auf dem Cem­ba­lo angeführt.

Anfang und Ende aller Musik”: Johann Sebastian Bach

Für den Ne­kro­log auf Jo­hann Se­bas­ti­an Bach, der “An­fang und Ende al­ler Mu­sik” sei, wie es Max Re­ger (1873 bis 1916) for­mu­liert hat, wur­de 1754 zu sei­ner Glo­ri­fi­zie­rung eine An­ek­do­te über ei­nen an­geb­li­chen Wett­streit zwi­schen ihm als ge­die­ge­nem, from­mem Pro­vinz­mu­si­ker am deut­schen Fürs­ten­hof und dem skan­dal­um­wit­ter­ten, über­heb­li­chen Hof­or­ga­nis­ten Lou­is Mar­chand (1669 bis 1732) des fran­zö­si­schen Son­nen­kö­nigs Lud­wig XIV. in Dres­den kre­iert. Die­ses Tas­ten­du­ell hat 1717 nicht statt­ge­fun­den, denn zu je­ner Zeit war Bach Kon­zert­meis­ter im Fürs­ten­tum Wei­mar und war so­eben zum Hof­ka­pell­meis­ter des Fürs­ten Leo­pold von An­halt in Kö­then er­nannt wor­den. Man kann die Mär folg­lich ge­trost be­gra­ben und ver­ges­sen. Fakt ist viel­mehr, dass Jo­hann Se­bas­ti­an Bach zum Dank für den ver­lie­he­nen Ti­tel “Hof­kom­po­si­teur” in ei­nem zwei­stün­di­gen Kon­zert am 1. De­zem­ber 1736 die Sil­ber­mann-Or­gel in der Dresd­ner Frau­en­kir­che be­spielt hat.

Spannend-amüsantes Orgel-Duell

Johann Sebastian Bach gegen Louis Marchand - Orgel-Duell - Glarean Magazin
Fik­ti­ves Du­ell von zwei der bes­ten Or­ga­nis­ten ih­rer Zeit: Jo­hann Se­bas­ti­an Bach ge­gen Lou­is Marchand

Aus ei­ner Rand­no­tiz der Mu­sik­ge­schich­te ge­stal­te­te Ralf Gün­ther so­mit ein span­nen­des Or­gel-Du­ell zwi­schen zwei mu­si­ka­li­schen Grös­sen des 18. Jahr­hun­derts zu ei­ner höchst amü­sant er­zähl­ten Begebenheit.
Kur­fürst Au­gust der Star­ke habe den Di­rek­tor sei­ner Dresd­ner Hof­ka­pel­le, den flä­mi­schen Gei­ger Jan-Bap­tist Woul­mey­er ali­as Jean-Bap­tis­te Vo­lu­mier, be­auf­tragt, den Hof­or­ga­nis­ten Lou­is Mar­chand des Son­nen­kö­nigs Lud­wig XIV. zu ei­nem Kon­zert in Dres­den zu über­re­den. Der habe Kon­kur­renz ge­wit­tert und sich den ge­fak­ten Wett­streit aus­ge­dacht. Den Ein­fäd­ler Vo­lu­mier hat­te sei­ne ei­ge­ne Täu­schung, den gros­sen Bach zu hö­ren, ob­wohl es der … Schulz ge­we­sen ist, auf die die Fin­te ge­bracht. Er hiess ihn eine Bach-Pe­rü­cke auf­zu­set­zen, als der Fran­zo­se, sei­ner­seits in Frau­en­klei­der ver­hüllt, die Pro­be aus­hor­chen woll­te. Was er zu hö­ren be­kam, schreck­te ihn der­art ab, dass er wie­der ab­reis­te und den Wett­streit der Or­gel­gi­gan­ten nicht an­tritt. Schliess­lich habe auch Vo­lu­miers Be­fürch­tung, der Kur­fürst habe den Fran­zo­sen an sei­nen Hof en­ga­gie­ren wol­len, sich als über­ängst­li­cher Ei­fer herausgestellt.

Einfühlsame und ausdrucksstarke Novelle

FAZIT: “Als Bach nach Dres­den kam” von Ralf Gün­ther ist amü­san­te No­vel­le mit reich­lich Zeit­ko­lo­rit des 18. Jahr­hun­derts über den Mu­si­ker­wett­streit zwi­schen dem Pa­ri­ser Or­gel­gi­gan­ten Lou­is Mar­chand und Jo­hann Se­bas­ti­an Bach, der wo­mög­lich in Dres­den statt­ge­fun­den ha­ben könn­te, wenn der Ver­mitt­ler des Kur­fürs­ten nicht aus Kon­kur­renz­angst ge­fakt, son­dern mit of­fe­nen Tas­ten ge­spielt hätte…

Die Schil­de­run­gen Ralf Gün­thers sind bild­haft in den be­schrie­be­nen Ges­ten, ein­fühl­sam in den Dia­lo­gen und da­her aus­drucks­stark. Noch die ne­ben­säch­lichs­te An­mer­kung be­zieht er auf das Kern­ge­sche­hen. Die Spra­che ist ge­le­gent­lich his­to­ri­sie­rend, des­we­gen für heu­ti­ge Oh­ren et­was lang­at­mig, aber sie bringt die Zeit­ge­schich­te an­schau­lich und im De­tail ins Bild. Manch­mal hat man al­ler­dings auch den Ein­druck, ein Pas­sus wie­der­ho­le sich. Die Dar­stel­lung der Un­an­nehm­lich­kei­ten ei­ner Rei­se in der Post­kut­sche des­il­lu­sio­nie­ren je­den Ro­man­ti­ker. In­ter­es­sant ist der Ein­blick in das In­nen­le­ben ei­ner Or­gel, das an­hand ei­ner Or­gel­ab­nah­me Bachs aus­führ­lich ge­schil­dert wird. Auch die Lie­be wird nicht ver­ges­sen, so­wohl in Pa­ris als in Dres­den: Wäh­rend sei­ner Täu­schungs­ma­nö­ver ver­lieb­te sich Vo­lu­mier in Bachs Cou­si­ne Frie­de­le­na, wur­de aber auf spä­ter ver­trös­tet. Am Ende des span­nen­den wie un­ter­halt­sa­men his­to­risch-mu­si­ka­li­schen Rät­sel­stücks durf­te der nicht in das Täu­schungs­ma­nö­ver in­vol­vier­te Drit­te la­chen: der Dresd­ner Hof­or­ga­nist, des­sen be­stehen­de Po­si­ti­on von Au­gust dem Star­ken nie in­fra­ge ge­stellt wor­den war. ♦

Ralf Gün­ther: Als Bach nach Dres­den kam, 156 Sei­ten, Ro­wohlt-Kind­ler-Ver­lag, ISBN 9783463407067

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Jo­hann Se­bas­ti­an Bach auch über den Mon­te­ver­di-Choir (Gar­di­ner): Eter­nal Fire (Chor-CD)

… so­wie zum The­ma Mu­sik-Städ­te über Heinz Sta­de: Bach, Liszt und Wag­ner in Weimar


Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)