“Es gehört […] zum guten Ton, dass man diejenigen, die sich Musik anhören und die in der Lage sind, dies kritisch zu tun, das heisst, sich nicht nur berieseln zu lassen, als reaktionär und minderwertig beschimpft. Die Absurdität, dass man jemanden zum Trottel abstempelt, weil er einem etwas abkauft, was man verkaufen möchte (es ist unumgänglich, sich den Vorgang rein kaufmännisch darzustellen; anders wird das Groteske der Situation nicht ersichtlich), löst sofort Assoziationen an Brecht aus: ‘Das Volk ist schlecht, schaffen wir also das Volk ab.’
Hierauf sei erwidert: Unser Publikum ist viel besser, klüger, kritischer und instinktsicherer, als man es wahrhaben will. Es vermag sehr wohl zwischen ästhetischem Objekt und predigender Belehrung zu unterscheiden. Es weiss auch, dass Musik heute anders klingen muss als zu Zeiten Mozarts. Und wenn ihm zu jener der Zugang noch versperrt ist, so ist die Zahl derer, welche diesen Zugang zu gewinnen wünschen, grösser als gemeinhin angenommen wird.
Hans Vogt (1911-1992)
Dass die Einheit Produzent-Publikum sich bisher selten ereignet, ist Tatsache, jedoch kein Anlass zur Resignation. Die Annahme, dass dies in früheren Epochen wesentlich anders gewesen sei, ist wohl ein Romantizismus. Auch die ‘Matthäuspassion’ war nicht für jedermann geschrieben. Wer ihre Qualität erkennen, ihr gerecht werden wollte, hatte sich darum zu bemühen. Er hatte geistig wach und konzentrationsfähig zu sein, musste zuhören können. Wollen wir behaupten, dass es so etwas heute nicht mehr gäbe?” ♦