Inhaltsverzeichnis
Im Fokus: Die Schachgeschichte
von Walter Eigenmann
Zeitschrift “Caissa” Nummer 2 / 2016
Der Verlag Chaturanga ist im deutschen Neunkirchen domiziliert und zeichnet sich durch exquisite, thematisch oft abseits des Mainstreams angesiedelte Schach-Produktionen aus – das dokumentieren auch die beiden jüngsten Publikationen dieses noch relativ jungen “Verlages für Liebhaber von Literatur, Kultur und Spiel”.
Da ist zum einen die Zeitschrift “Caissa”, die der Herausgeber und Chef-Redakteur Mario Ziegler nun in ihrer zweiten Ausgabe vorlegt. Halbjährlich berichtet das Journal “für Schach- und Brettspielgeschichte” über Themata, die man in dieser Konstellation und Qualität (noch) kaum im Internet findet, sondern genuin dem Printmedium vorbehalten scheinen. Ziegler und sein Team beweisen dabei Blick für exquisiten Schach-/Spiele-Stoff und eine treffliche Hand bei der Auswahl kompetenter Autoren.
Wie bereits in der Première-Ausgabe der Zeitschrift liess man sich vom erklärten Grundsatz “Aus vielem das Beste” leiten, das Inhalts- bzw. Autoren-Verzeichnis zeigt das sofort; unter anderem beinhaltet das Heft die Schwerpunkte: “Der Mongredien-Preis 1868-1869 (Robert Hübner), “Die Geschichte der chinesischen Schachidee” (Rainer Schmidt), “Die Schachpartie in Samuel Becketts Roman Murphy” (Bernd-Peter Lange), “Schach und Tarnschriften” (Siegfried Schönle), “Das verklärte Soldatenbild in Brettspielen” (Antonella Ziewacz). Und wiederum illustriert “Caissa” seine umfangreichen Texte mit zahlreichen Abbildungen teils dokumentierender, teils feuilletonistischer Art.
Insgesamt garantiert das Periodikum intellektuellen Lesespass – keineswegs nur für Schachfreunde! ●
Caissa – Zeitschrift für Schach- und Brettspielgeschichte, Nr.2/2016, 94 Seiten, Chaturanga Verlag, ISSN 2363-8214
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Mario Ziegler: Das Schachturnier London 1851
Dagobert Kohlmeyer: “Attacke!”
Den Berliner Schachautor Dagobert Kohlmeyer muss man der Schachwelt kaum näher vorstellen, der bekannte Publizist schrieb 25 Bücher über das königliche Spiel und übersetzte zahlreiche Werke von Smyslow, Karpow, Kasparow, Kortschnoi oder Jussupow ins Deutsche. Seine jüngste Veröffentlichung im Chaturanga-Verlag titelt “Attacke!” und widmet sich den “Grossen Angreifern der Schachgeschichte”. Zu Wort bzw. zum Zug kommen darin alle genialen Angriffsspieler von Anderssen und Morphy über Aljechin und Tal bis zu Neshmetdinow und Bronstein.
Der Band ist layouterisch ansprechend gestaltet und zwischendurch gespickt mit etwas “psychologischem” Hintergrundwissen. Allerdings beinhaltet er praktisch ausschliesslich Partien und Züge von “historischen” Meisterspielern, deren schachlichen Höhenflüge mittlerweile problemlos mit umfangreicher Kommentierung von jedermann selbst aus dem Netz gezogen werden können. Schade auch, dass Kohlmeyer das 21. Jahrhundert mit Carlsen, Anand & Co. völlig ausklammert.
Partie-Kommentare im Lichte der Schachprogramme
Kommt drittens hinzu, dass heutzutage solche schachlichen “Geschichtsaufbereitungen” immer die Gefahr des Nachplapperns bergen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Kohlmeyer (ebenso wie zahlreiche Schachautoren vor ihm) schwärmt über Morphys 18. schwarzen Zug gegen Bird (London 1858) gleich mit zwei Ausrufezeichen. Doch heutzutage kann jeder schlechtere Vereinsamateur mit Gratis-Programmen wie der Engine “Stockfish” und der Datenbank “Scid” nachweisen, dass der “geniale” Damenzug h3-a3 nicht besser, nur “schöner” ist als das profane Ld6-a3, und dass Morphy mit seinem vorausgehenden Turmopfer f8xf2 den ebenfalls wohl “schönsten”, aber objektiv fast schlechtesten aller valablen Züge gespielt hat…
Dieser Befund schmälert keineswegs die On-The-Board-Leistung des Schachgenies Morphy – aber heutige Kommentatoren wie Kohlmeyer täten gut daran, ihre Partie-Anmerkungen immer mit moderner Software gegen zu prüfen, um solche peinlichen Kolportierungen zu vermeiden wie: “Ein unglaubliches Manöver! Die Dame eilt von einer Brettseite zur anderen. Rudolf Teschner schwärmte: ‘Zauber der Geometrie!’ Wie lange wohl hat Morphy damals über das Turmopfer und den Damenschwenk nachgedacht?” (S.29) Denn neueste Schachsoftware verändert die herkömmliche Schachästhetik komplett – und Schachautoren im Jahre 2016 haben das zu berücksichtigen, wenn sie ernst genommen werden möchten… ●
Dagobert Kohlmeyer: Attacke! – Grosse Angreifer der Schachgeschichte, 188 Seiten, Chaturanga Verlag, ISBN 978-3-944158-17-4 —-> Leseprobe
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