Emma Goldman: Anarchismus (Essays)

Um von Tauben gehört zu werden, braucht man eine laute Stimme“

von Sig­rid Grün

Emma Gold­man gilt als Iko­ne der an­ar­chis­ti­schen Be­we­gung. Sie wur­de 1869 im da­mals rus­si­schen (heu­te li­taui­schen) Kow­no ge­bo­ren und setz­te sich Zeit ih­res Le­bens für Frie­den und Ge­rech­tig­keit ein. Im Al­ter von 16 Jah­ren floh sie aus Russ­land, um im „Land der un­be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten“ ei­ner von ih­ren El­tern ar­ran­gier­ten Ehe zu ent­ge­hen. Doch in den USA fand sie eben­so un­halt­ba­re po­li­ti­sche Zu­stän­de vor, die an­zu­pran­gern sie nicht müde wur­de. Von ih­ren Geg­nern mehr­fach als Auf­rüh­re­rin und Un­ru­he­stif­te­rin, die un­ter an­de­rem auch für po­li­tisch mo­ti­vier­te Mor­de mit­ver­ant­wort­lich sein soll­te, ver­ur­teilt, ver­büss­te sie in den USA mehr­fach Ge­fäng­nis­stra­fen und wur­de schliess­lich nach Russ­land de­por­tiert. Nach Auf­ent­hal­ten in Eng­land, Frank­reich und Spa­ni­en ver­starb sie 1940 im ka­na­di­schen Toronto.

Vorreiterin der Friedensbewegung

Emma Goldman: Anarchismus & andere EssaysBe­reits in den 1890er Jah­ren hielt Emma Gold­man glü­hen­de Re­den in deut­scher und eng­li­scher Spra­che und er­reich­te mit die­sen Vor­trä­gen tau­sen­de An­hän­ger. Die in die­sem Band vor­lie­gen­den Es­says stam­men über­wie­gend aus dem Jahr 1910. Be­reits vier Jah­re vor Aus­bruch des 1. Welt­krie­ges ana­ly­sier­te die Vor­rei­te­rin der Frie­dens­be­we­gung die stark um sich grei­fen­den Phä­no­me­ne des Pa­trio­tis­mus und Mi­li­ta­ris­mus. Die Es­says zeu­gen von ei­nem mes­ser­schar­fen Ver­stand und um­fas­sen­der Bil­dung – ei­ner Me­lan­ge, die die Herr­schen­den ver­ständ­li­cher­wei­se ner­vös mach­te. Sie ver­steht es her­vor­ra­gend Zu­sam­men­hän­ge zu er­klä­ren und Rück­schlüs­se zu zie­hen, die zum da­ma­li­gen Zeit­punkt ganz klar auf die sich an­bah­nen­de Ka­ta­stro­phe meh­re­rer Krie­ge hin­deu­te­ten. Der Ton ist selbst­be­wusst, die Stim­me laut, denn wie Gold­man in ih­rem Es­say „Die Psy­cho­lo­gie po­li­ti­scher Ge­walt“ kon­sta­tiert: „Um von Tau­ben ge­hört zu wer­den, braucht man eine lau­te Stim­me.“ Sie ruft zum ra­di­ka­len Um­sturz auf, zur ab­so­lu­ten Be­frei­ung vom Joch der Herr­schaft und Un­ter­drü­ckung. Selbst nach ih­ren Haft­stra­fen in­ves­tiert sie ihre ge­sam­te Kraft in die agi­ta­to­ri­sche Arbeit.

Erschreckend aktuelle Texte

Emma Goldman (1869-1940)
Emma Gold­man (1869-1940)

Die zen­tra­len The­men der Tex­te sind Ei­gen­tum, Re­gie­rung, Mi­li­ta­ris­mus, Rede- und Pres­se­frei­heit, Kir­che, Lie­be und Ehe so­wie Ge­walt. Im Mit­tel­punkt steht – wie soll­te es im An­ar­chis­mus auch an­ders sein – stets der freie Mensch. Man­che Es­says mö­gen dem Le­ser zu­nächst be­fremd­lich und ge­wagt er­schei­nen, etwa „Ge­fäng­nis­se – In­be­griff ge­sell­schaft­li­chen Ver­bre­chens und Ver­sa­gens“, folgt man je­doch der Ar­gu­men­ta­ti­ons­li­nie, wird deut­lich, wie kläg­lich ein Sys­tem, das auf ei­ner ste­ti­gen Ne­ga­tiv­spi­ra­le des Ver­bre­chens ba­siert, versagt.

Emma Goldmans Essay-Sammlung "Anarchismus" ist eine beeindruckende Lektüre. Es ist erschreckend, wie aktuell diese Texte heute noch sind – und wie wenig sich eigentlich geändert hat. Die Aufsätze sind auf alle Fälle Klassiker der Sozialrevolte, die man gelesen haben sollte.
Emma Gold­mans Es­say-Samm­lung „An­ar­chis­mus“ ist eine be­ein­dru­cken­de Lek­tü­re. Es ist er­schre­ckend, wie ak­tu­ell die­se Tex­te heu­te noch sind – und wie we­nig sich ei­gent­lich ge­än­dert hat. Die Auf­sät­ze sind auf alle Fäl­le Klas­si­ker der So­zi­al­re­vol­te, die man ge­le­sen ha­ben sollte.

Hier, wie in sämt­li­chen an­de­ren Tex­ten, wird schnell klar, wel­ches Men­schen­bild hin­ter sol­chen Sys­te­men steckt. An­de­rer­seits macht die Frie­dens­ak­ti­vis­tin aber auch Mut, denn sie wid­met sich in ei­ni­gen Es­says auch Vor­rei­tern auf dem Ge­biet der Frie­dens­be­we­gung und des An­ar­chis­mus. Etwa dem ka­ta­la­ni­schen Re­form­päd­ago­gen Fran­cis­co Fer­rer, der wie vie­le an­de­re An­ar­chis­ten zum Tode ver­ur­teilt wur­de, weil ihm die Ver­wick­lung in ei­nen Auf­stand un­ter­stellt wur­de. Ent­las­ten­de Zeu­gen­aus­sa­gen wur­den nicht ge­hört, und ob­wohl be­reits sei­ne Un­schuld er­wie­sen war, wur­de der Be­grün­der der „Es­cue­la Mo­der­na“ (Mo­der­nen Schu­le) hin­ge­rich­tet. Von sei­nem und dem Tod vie­ler an­de­rer Ak­ti­vis­ten be­rich­tet Gold­man in zahl­rei­chen Es­says und zeigt da­mit, wel­che Furcht die Herr­schen­den vor dem An­ar­chis­mus ge­habt ha­ben müssen.
Emma Gold­mans Es­says sind eine be­ein­dru­cken­de Lek­tü­re. Es ist er­schre­ckend, wie ak­tu­ell die­se Tex­te heu­te noch sind – und wie we­nig sich ei­gent­lich ge­än­dert hat. Die Auf­sät­ze sind auf alle Fäl­le Klas­si­ker der So­zi­al­re­vol­te, die man ge­le­sen ha­ben sollte. ♦

Emma Gold­man: An­ar­chis­mus & an­de­re Es­says – Klas­si­ker der So­zi­al­re­vol­te (22), 256 Sei­ten, Un­rast Ver­lag, ISBN 978-3-89771-920-0

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