Peter Mitschitczek: Fang den König! (Kinderschach)

Neue Ideen in der Vermittlung des Kinder-Schachs

von Thomas Binder

Als lang­jäh­ri­ger Schach-Nach­wuchs­trai­ner war der Re­zen­sent ge­spannt, mit Pe­ter Mit­schit­c­zeks “Fang den Kö­nig” ein neu­es Kin­der­schach-Lehr­buch in der Hand zu hal­ten. Die Neu­gier stieg, weil sich der Au­tor nicht als Schach­meis­ter vor­stellt, son­dern als Opern­sän­ger. Zwi­schen die­sen bei­den Be­rei­chen – sei­nem Be­ruf und sei­nem Hob­by – sieht er viel­fäl­ti­ge Par­al­le­len, wo­von er den Kin­dern in ei­nem der ein­füh­ren­den Ka­pi­tel auch er­zählt. Schon dort spürt man, wor­in Mit­schit­c­zeks gros­ses Po­ten­ti­al lie­gen kann: Er spricht die Kids un­ter­halt­sam und er­zäh­le­risch an. Man spürt in je­dem Satz, dass der Au­tor Spass ge­habt hat am For­mu­lie­ren und am spie­le­ri­schen Ent­wi­ckeln sei­ner Ideen.

Auf 136 klein­for­ma­ti­gen Sei­ten und von Jür­gen Schrem­ser sehr hübsch il­lus­triert will das Buch den Kin­dern die Grund­re­geln des Schach­spiels nahe brin­gen. Das Ziel ist auf dem Rück­ti­tel for­mu­liert: “So bist du bes­tens ge­rüs­tet für die ers­te Schach­par­tie mit dei­nen Freun­den, El­tern oder Ge­schwis­tern!” Da­mit steckt das Werk wohl ei­nen An­spruchs­rah­men ab, der weit un­ter den mög­li­chen Kon­kur­renz­pro­duk­ten liegt. Wür­de man näm­lich “Fang den Kö­nig!” an der Se­rie “Fritz & Fer­tig” des Markt­füh­rers mes­sen, so hät­te Mit­schit­c­zek schon vor dem ers­ten Zug kei­ne Chan­ce. Jene Pro­dukt­rei­he mit DVDs, Bü­chern, Rät­sel­blö­cken usw. setzt im An­ge­bot für Kin­der im Grund­schul­al­ter eine ganz an­de­re Markt­macht und Au­toren-Kom­pe­tenz ein, als es ein Ein­zel­kämp­fer leis­ten kann.

Die Grundregeln des Schachspiels

Peter Mitschitczek: Fang den König! - Schach für KinderWas ler­nen wir also auf den 136 Sei­ten aus der Per­len-Rei­he? Es sind wirk­lich nur die Grund­re­geln des Schach­spiels. Nach 36 Sei­ten sind wir im­mer­hin so weit ge­kom­men, dass wir das lee­re Schach­brett rich­tig vor uns hin­le­gen und die Fi­gu­ren in Grund­stel­lung brin­gen kön­nen. Dann folgt die Er­klä­rung der Spiel­re­geln, be­gin­nend mit der Gang­art der Fi­gu­ren. Ro­cha­de und en-pas­sant-Schlag so­wie die grund­le­gen­den Re­mis-Re­geln bil­den schon den krö­nen­den Ab­schluss. Das Ma­te­ri­al wird sehr un­ter­halt­sam prä­sen­tiert, im­mer wie­der un­ter­bro­chen von net­ten klei­nen Ab­schwei­fun­gen. Auch die un­ver­meid­li­chen Ge­schich­ten der Schach-Folk­lo­re wie die Wei­zen­korn­le­gen­de und Kem­pe­lens Au­to­mat dür­fen nicht fehlen.
Sehr gut ge­fällt mir, dass Mit­schit­c­zek schon in die frü­hen Ab­schnit­te im­mer wie­der klei­ne Auf­ga­ben und Spiel­ideen ein­baut – selbst in ei­nem Mo­ment, wo das Kind noch gar kei­ne voll­stän­di­ge Schach­par­tie spie­len kann. Ge­nannt sei­en etwa die Auf­ga­be, mit dem Sprin­ger von ei­ner Ecke zur an­de­ren zu ge­lan­gen oder ein Du­ell zwi­schen acht Bau­ern auf je­der Sei­te. Be­son­ders ge­fal­len hat mir das Spiel­chen mit zwei Tür­men ge­gen acht Bau­ern. Als “run­ning gag” zie­hen sich Übun­gen durch das Buch, bei de­nen der jun­ge Schach­spie­ler Gum­mi-Bär­chen als Be­loh­nung ver­die­nen kann.
So­weit zu den Stär­ken des vor­lie­gen­den Bu­ches. Et­was schwie­ri­ger wird für mich die Be­wer­tung, wenn es um den schach­li­chen Ge­halt geht. Da habe ich näm­lich so mei­ne Zwei­fel, ob der oben for­mu­lier­te An­spruch “…ge­rüs­tet für die ers­te Schach­par­tie…” ge­hal­ten wer­den kann. Das schach­li­che Ni­veau bleibt doch auf sehr be­schei­de­nem Le­vel ste­hen. Als höchs­te Schu­le be­kom­men wir das “Schä­fer­matt” prä­sen­tiert, so­wie das Trep­pen­matt mit zwei Türmen.

Zielgruppe leicht verfehlt

Opernsänger, Komponist, Schach-Autor: Peter Mitschitczek
Opern­sän­ger, Kom­po­nist, Schach-Au­tor: Pe­ter Mitschitczek

Und da­mit sind wir beim ei­gent­li­chen Pro­blem: Wo liegt die Ziel­grup­pe für die­ses Buch? Der Klap­pen­text be­misst sie mit “… ab 8 Jah­ren”, bei ei­nem gros­sen On­line-Händ­ler habe ich “8 – 10 Jah­re” ge­fun­den. Das al­les ist wohl dem Ge­dan­ken ge­schul­det, dass die Kin­der na­tür­lich des Le­sens und des selb­stän­di­gen “Ar­bei­tens” mit dem Buch mäch­tig sein müs­sen. Aber – selbst als Schach­an­fän­ger dürf­ten Kids in die­sem Al­ter mehr er­war­ten als ih­nen “Fang den Kö­nig!” bie­ten kann.
Zu­min­dest teil­wei­se scheint mir das Her­an­ge­hen des Au­tors ei­gent­lich auf eine noch jün­ge­re Ziel­grup­pe zu fo­kus­sie­ren, was dann aber am Selbst-Le­sen schei­tert. Es gibt heu­te für Kin­der die­ses Al­ters (und jün­ge­re!) ein reich­hal­ti­ges Schach­an­ge­bot: AGs in Grund­schu­len und Kin­der­gär­ten, spe­zia­li­sier­te Schach­schu­len für die Jüngs­ten und spe­zi­el­les Trai­nings­ma­te­ri­al in Hül­le und Fül­le. Ja, selbst die Tur­nier­land­schaft der Al­ters­klas­sen U8 und U6 (ja, wirk­lich) ist heu­te schon un­über­schau­bar, ganz zu schwei­gen von der U10. Schliess­lich ma­chen Kin­der in die­sem Al­ter heu­te ihre ers­ten Er­fah­run­gen mit dem Com­pu­ter und fin­den auch da­bei al­ters­ge­rech­te Ein­stie­ge in das kö­nig­li­che Spiel.
Um die Kids wirk­lich für eine ers­te Schach­par­tie zu rüs­ten, hät­te Mit­schit­c­zek deut­lich wei­ter aus­ho­len sol­len. Bei den ele­men­ta­ren Matt­füh­run­gen wäre das Matt mit ei­ner Schwer­fi­gur (Dame oder Turm) un­er­läss­li­cher Lern­stoff. Aus der End­spiel­welt wäre si­cher noch Ele­men­ta­res über Bau­ern­um­wand­lun­gen (Op­po­si­ti­on, Qua­drat­re­gel) denk­bar. Mehr Raum als nur eine ein­fa­che Auf­zäh­lung hät­ten zu­dem die grund­le­gen­den Er­öff­nungs­prin­zi­pi­en (Ent­wick­lung, Ro­cha­de, Zen­trum) ver­dient. Statt­des­sen wird das Schä­fer­matt prä­sen­tiert, was die üb­li­chen Lern­zie­le im An­fän­ger­trai­ning ge­ra­de­zu unterläuft.

Zuwenig schachliche Substanz

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Der Au­tor bringt auf er­fri­schen­de und kind­ge­rech­te Wei­se, mit lo­cke­rem Sprach­stil und gu­ter Be­bil­de­rung, neue Ideen in die Ver­mitt­lung der Grund­re­geln des Schach­spiels ein. Die Ziel­grup­pe der 8-10-jäh­ri­gen hät­te al­ler­dings deut­lich mehr schach­li­che Sub­stanz vertragen…

Be­son­ders at­trak­tiv für die an­ge­spro­che­ne Ziel­grup­pe wä­ren ein­fa­che tak­ti­sche Mo­ti­ve (Sprin­ger­ga­bel, Fes­se­lung, Ab­zug, Patt-Tricks, Matt­bil­der…) ge­we­sen.  Ge­ra­de sol­che “action”-lastigen Ele­men­te kön­nen die be­tref­fen­de Al­ters­grup­pe für das Schach­spiel enorm be­geis­tern.  Hier hät­te Mit­schit­c­zeks Buch sei­ne Stär­ken in der kind­ge­rech­ten Er­zähl­wei­se und der le­ben­di­gen Il­lus­tra­ti­on be­son­ders gut aus­spie­len kön­nen. Ich wäre sehr ge­spannt, wie der Au­tor die­se The­men ver­mit­teln würde.
Aus ei­ge­ner Er­fah­rung weiss der Re­zen­sent, dass Kin­der der an­ge­spro­che­nen Al­ters­klas­se schon sehr bald nach dem Er­ler­nen der Grund­re­geln weit mehr und An­spruchs­vol­le­res an schach­li­chem Know-How wol­len, brau­chen und auch ver­ste­hen, eben um wirk­lich für die ers­te Schach­par­tie oder gar das ers­te Kin­der­schach-Tur­nier ge­rüs­tet zu sein. ♦

Pe­ter Mit­schit­c­zek: Fang den Kö­nig! – Schach für Kin­der, Ver­lag Per­len-Rei­he, 136 Sei­ten, ISBN 978-3990060261

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über die mo­der­nen For­schungs­er­geb­nis­se zum The­ma „Schach in der Schule“
… so­wie über das neue Er­öff­nungs­buch für Kin­der von Gra­ham Bur­gess: Ch­ess Ope­ning Work­book for Kids

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