Franz Trachsel: Semper fidelis (Humoreske)

Marsch-Impressionen im Parkhaus

Franz Trachsel

Shop­ping-Cen­ter-Park­häu­ser dür­fen für sich be­an­spru­chen, nach aus­sen um­ge­bungs­kon­form-freund­lich auf­zu­tre­ten, nach in­nen an­ge­sichts ih­res gros­sen Park­platz­an­ge­bots aber die nüch­tern-zweck­mäs­si­ge Wucht sel­ber zu sein. Und dann erst die aus­ser­halb der Shop­ping-Zei­ten dar­in herr­schen­de Stil­le – emp­fun­den heu­te, ei­nes vor­som­mer­lich frü­hen Mon­tag­vor­mit­tags, und an­ge­sichts des nur sehr spär­li­chen Ein­tref­fens der Kundschaft.
Doch ur­plötz­lich sieht sich, wer schon hier, vom Haupt­zu­gang her von ei­nem vol­lor­ches­trier­ten marsch­mu­sik­ka­li­schen Auf­takt ver­ein­nahmt! Und wer aus­ser­dem auf dem schma­len Weg im Zwei­rad­be­reich ab­ge­stie­gen, der kommt sich in eine ka­ser­nen­haft gros­se, höchst be­leb­te Blas­mu­sik­hal­le hin­ein­ge­ra­ten vor.
Das al­les aber kei­nes­wegs als auf­dring­li­ches Un­ter­hal­tungs­ge­ze­ter da­her­tö­nend. Nein, was sich da voll­ent­fal­tet sehr wohl hö­ren lässt, ist nichts Ge­rin­ge­res als eine ame­ri­ka­ni­sche Marsch-Le­gen­de, näm­lich John Phil­ipp Sou­sas enorm be­schwing­ter “Sem­per Fi­de­lis“. In vol­ler Korps­stär­ke no­ta­be­ne – ein wirk­lich frap­pan­ter Ta­ges- und Wochen-Start!

Und dann ist da die Er­in­ne­rung, die­sen Marsch nicht nur in Kon­zer­ten, son­dern in qua­si welt­his­to­ri­scher Ent­fal­tung mit­er­lebt zu ha­ben. Und zwar live an­läss­lich der Ju­bi­lä­ums­pa­ra­de “200 Jah­re USA” am 4. Juli 1976 auf der Penn­syl­va­nia-Ave­nue in Wa­shing­ton. Die­ses Er­leb­nis da­bei umso ein­drück­li­cher, als Sou­sas “Sem­per Fi­de­lis” nichts Ge­rin­ge­res ist als das stolz ver­ton­te Sie­gel der US-Ma­ri­ne. Ja, und wem sonst, wenn nicht der Ma­ri­ne-Band wäre da­mals die Ehre zu­ge­kom­men – vom Mil­lio­nen­pu­bli­kum be­son­ders stür­misch ap­plau­diert -, dem his­to­ri­schen Tag die­sen un­ver­kenn­ba­ren Stem­pel auf­zu­drü­cken! Das blen­dend weiss uni­for­mier­te Korps, ein ma­kel­lo­ses Neu­ner­ko­lon­nen-Er­schei­nungs­­­bild, der mit­reis­sen­de Marsch­mu­sik-Takt: ein na­tio­nal­his­to­ri­sches Auf­kreu­zen wie aus ei­nem Guss!

John Philipp Sousa
John Phil­ipp Sou­sa (1854-1932)

Hier im Par­king des ört­li­chen Shop­ping-Cen­ters hin­ge­gen, 35 Jah­re spä­ter: Sein Klang eine wah­re Ent­schul­di­gung da­für im Ge­gen­satz zu Wa­shing­ton, auch ohne das ge­rings­te Auf­blit­zen hoch­glän­zend po­lier­ter Blas­in­stru­men­te fest­zu­stel­len. Aber war­um soll­te denn den eta­gen­tra­gen­den Park­haus-Be­ton­säu­len, den Auf- und Ab­fahrts­ram­pen, den Park­platz­schran­ken und dem mas­sig alle sie­ben Eta­gen un­ter­ein­an­der ver­bin­den­den Lift­schacht nicht aus­nahms­wei­se mal eine ech­te Klang­re­flek­to­ren-Rol­le zu­kom­men! aus­ser­ge­wöhn­lich da­bei halt die­ser “Immer-Treu”-Marschauftritt vor al­lem des­we­gen, weil er ohne au­gen­fäl­li­ge For­ma­ti­on aus­kam. Nahm sich die Frei­heit, statt sich müh­sam um all die Be­gren­zun­gen, Kur­ven, Auf- und Ab­stie­ge her­um­zu­win­den und sich in sei­ne ein­zel­nen Re­gis­ter auf­zu­lö­sen und ganz ei­ge­ne Weg zu ge­hen. Ja selbst der Di­ri­gent dürf­te sich un­ter dem wuch­ti­gen Eta­gen­mau­er­werk marsch­trun­ken mit schwin­gen­dem Takt­stock auf die son­ni­ge Cen­ter-Dach­ter­ras­se ver­irrt ha­ben. Und wenn da­bei schritt­si­cher von je­man­dem be­glei­tet, dann am ehes­ten noch vom Tam­bou­ren- und Flö­ten­re­gis­ter, der­weil sich das Kla­ri­net­ten-, das Sa­xa­phon-, Trom­pe­ten-, Po­sau­nen-, Pau­ken- und Bass­re­gis­ter (weil für den vom Di­ri­gen­ten ir­gend­wo mit sei­nem Stock in die Luft ge­schmet­ter­ten Takt hell­hö­rig ge­wor­den), auf das üb­ri­ge hal­be Dut­zend Eta­gen auf­ge­teilt ha­ben mochten.
Und weil nun ein­mal John Phil­ipp Sou­sas Klas­si­ker des Ta­ges die Auf­war­tung mach­te, dann ge­wiss nicht ohne sein – das Korps be­kannt­lich hin­ten de­ko­ra­tiv ab­schlies­sen­des – Sou­sa­phon-Re­gis­ter! Nicht aus­zu­den­ken, die­ses könn­te – weil den Auf­tritt auch hier hin­ten ab­schlies­send – im Zuge ei­ner aku­ten Klang­trun­ken­heit etwa im Par­terre-Zu­gang, also im Wa­gen­wasch­an­la­gen-Be­reich in die ge­wal­tig ro­tie­ren­den Wasch­bürs­ten ge­ra­ten sein. De­ren scho­nungs­los näs­se­trun­ke­ner Um­lauf wäre ver­mut­lich der käl­tes­ten Du­sche ih­res Mu­sikerle­bens gleich­ge­kom­men. Hät­te man sich also den völ­lig aus­ser­ge­wöhn­li­chen Marsch-Auf­tritt durch­aus im Bei­sein sei­nes be­rühm­ten Kom­po­nis­ten vor­stel­len kön­nen, so doch kei­nes­wegs den Un­ter­gang ei­ner gan­zen Sou­sa­phon-Equi­pe. So ge­se­hen viel­leicht nicht ganz un­glück­lich für ihn, die­se Welt schon vor 80 Jah­ren ver­las­sen zu haben.

Nun denn, plötz­lich er­wie­sen sich auch mei­ne Marsch­mu­sik-Mi­nu­ten hier als ge­zählt. Au­gen­bli­cke spä­ter be­nimmt sich in die ein­ge­tre­te­ne Stil­le hin­ein ir­gend­wo im Par­king eine forsch zu­schla­gen­de Au­to­tür takt­ge­nau wie ein Schluss­si­gnal. Eine Sound­an­la­ge der Zehn­tau­sen­der­klas­se in ei­nem Cou­pé der Mit­tel­klas­se hat­te wohl Raum- und Klang­qua­li­tät be­wie­sen. Hier also ein hoch­ka­rä­ti­ges Bra­vour­stück, was sich an­ders­wo un­ter an­de­ren Vor­zei­chen als po­li­zei­lich ver­bo­te­ne Be­läs­ti­gung er­wie­sen hätte. ♦


Franz TrachselFranz Trach­sel
Geb. 1933, lang­jäh­ri­ger Lo­kal- und Kul­tur­jour­na­list bei ver­schie­de­nen Print­me­di­en, Kurz­pro­sa in Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten, lebt in Emmenbrücke/CH

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin von Franz Trach­sel auch Hab Son­ne im Rü­cken! (Hu­mo­res­ke)

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