Martin Weteschnik: Schachtaktik – Jahrbuch 2011

Aufgabensammlung mit breitem Anwendungsgebiet

von Tho­mas Binder

FIDE-Meis­ter Mar­tin Wete­sch­nik hat sich auf dem deut­schen Schach­buch-Markt vor allem durch Trai­nings­bü­cher zur Schachtak­tik einen Namen gemacht. In sei­nem neu­es­ten Werk “Schachtak­tik – Jahr­buch 2011” macht er den inter­es­san­ten Ver­such, die Kom­bi­na­ti­ons­samm­lung mit einem Jahr­buch des welt­wei­ten Schach­ge­sche­hens zu verbinden.

Martin Weteschnik - Schachtaktik - Jahrbuch 2011Das Buch beginnt mit einem äus­serst infor­ma­ti­ven Blick um 100 Jahre zurück auf das Schach­jahr 1910. Im Mit­tel­punkt steht dabei der WM-Kampf zwi­schen Las­ker und Schlech­ter. Einige sehens­werte Kom­bi­na­tio­nen von damals run­den den ein­füh­ren­den Bei­trag ab. Unmit­tel­bar danach wid­met sich Wete­sch­nik den wich­tigs­ten Ereig­nis­sen des aktu­el­len Jahr­gangs, laut Kapi­tel­über­schrift also dem “Schach­jahr 2010”. Aller­dings han­delt es sich genau genom­men um die Sai­son 2009/2010, wes­halb man z.B. die Schach-Olym­piade in Russ­land ver­misst. Die Dar­stel­lung ist umfas­send und geht auf alle wich­ti­gen Wett­kämpfe des Zeit­raums ein. Auch einige Opens sowie Jugend- und Senio­ren-Meis­ter­schaf­ten wer­den gestreift.

Themen auch abseits des Schachbretts

Dass dabei die Schwer­punkt­set­zung dis­ku­tier­bar ist, liegt in der Natur der Sache. Über den WM-Kampf zwi­schen Anand und Topa­low in Sofia hätte ich – gerade mit dem Abstand eines hal­ben Jah­res – gern deut­lich mehr gele­sen als über einen Län­der­kampf zwi­schen Russ­land und China. Sehr ver­dienst­voll ist hin­ge­gen das Ein­ge­hen auf The­men abseits des Schach­bretts, wie die Schach­po­li­tik und Regel­än­de­run­gen der FIDE. Frei­lich fehlt auch hier die Aktua­li­tät, wenn auf die anste­hen­den Wah­len der FIDE und der ECU im Vor­aus­blick ein­ge­gan­gen wird.
Zwei Nach­rufe auf ver­stor­bene Meis­ter (Edith Kel­ler-Herr­mann und Was­sili Smy­s­low) run­den den Rück­blick ab. Cam­po­ma­nes wird noch erwähnt, min­des­tens Andor Lili­en­thal hätte eine aus­führ­li­che Wür­di­gung ver­dient. Ins­ge­samt wünscht sich der Rezen­sent, dass in künf­ti­gen Jahr­gän­gen die­ser Jahr­buch-Cha­rak­ter noch mehr aus­ge­prägt wird, die Text­bei­träge etwas umfang­rei­cher werden.

Kombinationssammlungen aus verschiedenen Wettkampf-Ebenen

Kern­stück des Buches sind die Kom­bi­na­ti­ons­samm­lun­gen aus den ver­schie­de­nen Wett­kampf­ebe­nen, wobei jeweils ein infor­ma­ti­ver Text voran gestellt ist. Im Ein­zel­nen sind das fol­gende Bereiche:

  • Bun­des­liga und aus­län­di­sche Ligen (42 Aufgaben)
  • Deut­sche Meis­ter­schaf­ten (18 Aufgaben)
  • Schach Inter­na­tio­nal (48 Aufgaben)
  • Open-Tur­niere (54 Aufgaben)
  • Deut­sche Jugend­meis­ter­schaf­ten (42 Aufgaben)
  • Jugend­schach Inter­na­tio­nal (30 Aufgaben)
  • Senio­ren­schach (36 Aufgaben)
  • Ergänzt wer­den diese Kapi­tel durch zwei Ein­schübe, bei denen die Kom­bi­na­tio­nen gleich im Kom­men­tar vor­ge­stellt und erläu­tert werden:
  • Ein- und Rein­fälle (17 ver­blüf­fende Kombinationen)
  • Schachtak­tik zum Mit­ma­chen” (ein Kom­bi­na­ti­ons­wett­be­werb der Deut­schen Schach­ju­gend, 5 Beispiele)

Die enorme Viel­falt der Kom­bi­na­ti­ons­mo­tive unter­schied­lichs­ter Schwie­rig­keit ist die grosse Stärke der Samm­lung. Viele der gezeig­ten Par­tien wären ohne die­ses Buch völ­lig unbe­ach­tet geblie­ben. Die Auf­ga­ben sind jeweils als kom­men­tar­lo­ses Dia­gramm gege­ben. Dem Leser fehlt also zunächst jeder ori­en­tie­rende Hin­weis. Gerade dies macht Wete­sch­niks Tak­tik-Buch aber als Trai­nings­mit­tel so reizvoll.
Im Anschluss an die Auf­ga­ben eines Kapi­tels fol­gen die Kurz­lö­sun­gen (tabel­la­risch, jeweils nur der Schlüs­sel­zug) und dann die kom­men­tier­ten Lösun­gen, bei denen wir auch die Namen der Spie­ler erfah­ren. In kom­ple­xen Fäl­len wird hier noch ein Dia­gramm eingefügt.
Bei den aus­führ­li­chen Lösun­gen fin­det Wete­sch­nik das rich­tige Mass an Bespre­chungs- und Vari­an­ten­tiefe, so dass man sei­nen Vari­an­ten in aller Regel noch “vom Blatt” fol­gen kann. Der Sprach­stil ist flüs­sig und gut ver­ständ­lich. Inhalt und Form der Lösungs­be­spre­chung lie­gen nach mei­nem Emp­fin­den deut­lich über dem Durch­schnitt ähn­lich gela­ger­ter Arbei­ten. Hier wird offen­bar prak­ti­sche Trai­ner­er­fah­rung beson­ders ange­nehm spürbar.
Auf die Aus­sage, alle Kom­bi­na­tio­nen seien gewis­sen­haft über­prüft, ver­lässt sich der Rezen­sent mal, ohne sie im Detail nach­zu­prü­fen. Ernst­hafte Zwei­fel kom­men jeden­falls nicht auf.

Für Schachlernende jeder Leistungsstufe

Die Samm­lung von nahezu 300 kom­bi­na­to­ri­schen Schach­auf­ga­ben kann Spie­lern und Trai­nern auf jeder Leis­tungs­ebene kurz­wei­lige Unter­hal­tung und Lern­ef­fekt bie­ten. Mar­tin Wete­sch­nik prä­sen­tiert ein Jahr­buch, bei dem man sich bereits auf die Fort­set­zung in den Fol­ge­jah­ren freut.

Wete­sch­niks Auf­ga­ben­samm­lung eröff­net sich ein brei­tes Anwen­dungs­ge­biet. In der vor­lie­gen­den Form kann man sie zum schnel­len “Zwi­schen­durch­lö­sen” im Zug ebenso gewinn­brin­gend ver­wen­den, wie als Trai­ner für den Ein­satz im Kin­der- und Jugendschach.
Die Fülle der Namen und Zah­len in einem sol­chen Buch erfor­dert vom Autor wie vom Lek­to­rat beson­dere Sorg­falt. Lei­der ist hier­bei doch eine ganze Reihe von Schreib­feh­lern durch­ge­rutscht. Dass der Deut­sche U10-Meis­ter Raphael Lagu­now als “Lagonow” vor­ge­stellt wird, ist viel­leicht nur dem Rezen­sen­ten auf­ge­fal­len, der die­sen jun­gen Schach­meis­ter zu sei­nen Schütz­lin­gen zäh­len darf. Fehl­schrei­bun­gen wie “Chanty-Man­si­jks” und “Tisch­bier­eck” sind hin­ge­gen ebenso pein­lich wie ein fal­sches Geburts­jahr im Nach­ruf auf Edith Kel­ler-Herr­mann. Dem schach­li­chen Gebrauchs­wert des Buches tun sie kei­nen Abbruch, pas­sen aber nicht gerade zum guten Gesamteindruck. ♦

Mar­tin Wete­sch­nik, Schachtak­tik – Jahr­buch 2011, Jugend­schach-Ver­lag Dres­den, 160 Sei­ten, ISBN 978-3000324314

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