Thomas Bernhard: Der Wahrheit auf der Spur

Ich bin kein Skandalautor”

von Günter Nawe

Gibt es einen Unter­schied zwi­schen dem “öffent­li­chen” Tho­mas Bern­hard und den fik­ti­ven Figu­ren in sei­nen Roma­nen und Thea­ter­stü­cken? Wer war die­ser mono­ma­ni­sche Schrift­stel­ler, der am 9. Februar 1931 – also vor 80 Jah­ren – erst auf die Welt und dann in die Lite­ra­tur gekom­men und am 12. Februar 1989 als Autor von Welt­rang gestor­ben ist? Das dürfte ein nie ganz zu lösen­des Rät­sel bleiben.

Es fällt aller­dings oft eine eigen­tüm­li­che Über­ein­stim­mung zwi­schen den öffent­li­chen Äus­se­run­gen Tho­mas Bern­hards und vie­len sei­ner Roman­fi­gu­ren auf. Viel­leicht sind die Bücher die­ser “mis­an­thro­pi­sche Wort­mühle” (Sig­rid Löff­ler) nichts ande­res als Selbstbeschreibungen?

Thomas Bernhard - Der Wahrheit auf der Spur (Suhrkamp Verlag)Eine Ant­wort kann even­tu­ell der jetzt erschie­nene Band “Der Wahr­heit auf der Spur” geben. In chro­no­lo­gi­sche Rei­hen­folge sind Zei­tungs­ar­ti­kel, Leser­briefe, Inter­views und öffent­li­che Erklä­run­gen gesam­melt. Nicht alles ist neu, vie­les konnte bereits in “Meine Preise” gele­sen wer­den. Den­noch: Alle Bei­träge in die­sen Band sind inter­es­sant, wer­fen Schlag­lich­ter auf den Autor, vor allem weil sie durch­weg “Selbst­aus­künfte” sind. Begin­nend mit einem Vor­trag, den der jun­gen Tho­mas Bern­hard 1954 zu Ehren von Arthur Rim­baud gehal­ten hat, und einem Arti­kel in der Gmun­de­ner Lokal­zei­tung, in dem er sich für den Erhalt der Stras­sen­bahn in Gmun­den einsetzte.

Skandale – Spielchen – Selbstinszenierungen

Viele die­ser öffent­li­chen Äus­se­run­gen waren ein­ser­seits Selbst­sti­li­sie­run­gen, iro­ni­sche Spiel­chen mit sei­nem Publi­kum oder dem Inter­view­part­ner. Ande­rer­seits erzeugte Bern­hard damit Skan­dale und Skan­däl­chen, die er mal lust­voll, mal bit­ter­böse kom­men­tierte. Er war ein Meis­ter des Eklats, der wun­der­bar aus­tei­len, aber sel­ten ein­ste­cken konnte. Eber­hard Falcke hat ihn ein­mal einen “Ver­zweif­lungs­vir­tuo­sen und Miss­muts­ma­nie­ris­ten” genannt. Und so geben viele Bei­träge Anlass zu glau­ben, dass die­ser aus­ser­ge­wöhn­li­che Autor am Leben litt. Aber “sich umzu­brin­gen hat genau­so­we­nig Sinn wie weiterzuleben.”

Immer wie­der seine Hass­liebe zu Öster­reich, die ihn umge­trie­ben hat. Es gab für ihn kein schö­ne­res Land als Öster­reich, in dem er nicht leben konnte, und in dem er doch bis zu sei­nem Tode blieb. Wut, Zorn und Häme gal­ten dem Land und sei­nen Men­schen. Vor allem die Poli­ti­ker hat­ten es ihm ange­tan. Berühmt der Skan­dal bei der Ver­lei­hung des Öster­rei­chi­schen Staats­prei­ses an Tho­mas Bern­hard am 4. März 1968. Unter dem Titel “Ver­ehr­ter Herr Minis­ter…” ist die Rede hier noch ein­mal zu lesen. Es waren wohl die Sätze: “Der Staat ist ein Gebilde, das fort­wäh­rend zum Schei­tern, das Volk ein sol­ches, das unun­ter­bro­chen zur Infa­mie und Geis­tes­schwä­che ver­ur­teilt ist…. Wir sind Öster­rei­cher, wir sind apa­thisch…”. Pole­misch und ein wenig ver­zwei­felt klingt das auch heute noch. Der öster­rei­chi­sche Unter­richts­mi­nis­ter ver­liess jeden­falls unter Pro­test den Saal. Der Skan­dal war per­fekt. Aber nein: “Ich bin kein Skan­dal­au­tor”, so Tho­mas Bernhard…

Begnadeter Alles-und-alle-Beschimpfer

Wer war Thomas Bernhard? Er schrieb Weltliteratur, war einer der berühmtesten Stückeschreiber seiner Zeit. Der
Wer war Tho­mas Bern­hard? Er schrieb Welt­li­te­ra­tur, war einer der berühm­tes­ten Stü­cke­schrei­ber sei­ner Zeit. Der “Alles-und alle-Beschimpfer” pro­vo­zierte Skan­dale und wollte den­noch kein “Skan­dal­au­tor” sein. Der Wahr­heit auf der Spur also? Zumin­dest kann man sich ihr mit die­sem Buch nähern.

Jeder die­ser Texte in die­sem Band steht für sich. Man­cher könnte als pure Lite­ra­tur gele­sen wer­den. Denn Lite­rat, Schrift­stel­ler – das war der “Alles-und-alle-Beschimpfer” letzt­end­lich. Und als sol­cher äus­sert er sich über Poli­tik und Kul­tur, über Kol­le­gen und das Leben im All­ge­mei­nen und über sein eige­nes(?) im Beson­de­ren. Das gilt auch für die Inter­views. Sehr ein­drucks­voll – viel­leicht das ehr­lichste und per­sön­lichste – ist das Gespräch, das die Kol­le­gin Asta Scheib am 17. Januar 1987 mit ihm führte (“Von einer Kata­stro­phe ind die andere”). Da heisst es doch wahr­lich: “Das Leben ist schön… Doch, jetzt hänge ich am Leben…” – Worte, die man dem “staat­lich geprüf­ten Mis­an­thro­pen” (Mar­cel Reich-Rani­cki) nicht zuge­traut hätte.
Wer war Tho­mas Bern­hard? Mit die­sem Buch kann sich der Leser auf die Spur der Wahr­heit bege­ben. Ob er darin die ganze Wahr­heit über ihn fin­den wird, bleibt dahingestellt. ♦

Tho­mas Bern­hard, Der Wahr­heit auf der Spur, 344 Sei­ten, Suhr­kamp Ver­lag, ISBN 978-3-518-42214-4

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema „Skan­dal-Lite­ra­tur aus Öster­reich“ auch über das sati­ri­sche Wie­ner Bana­nen­blatt (Num­mer 8)

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)