Ameneh Bahrami: Auge um Auge (Islamismus)

Tragisches Schicksal als literarische Chimäre

von Karin Afshar

Der MVG-Ver­lag, in dem das Buch “Auge um Auge” von Ameneh Bah­r­ami erschie­nen ist, hat eine Phi­lo­so­phie: Man will Mut machen und kom­pe­tente Hilfe in allen Lebens­la­gen bie­ten. Die Bücher, die im Ver­lag erschei­nen, sol­len für ein unbe­schwer­tes, glück­li­ches und bewuss­tes Leben ste­hen. Der MVG-Ver­lag ver­steht sich als zukunfts­ori­en­tier­ter Rat­ge­ber­ver­lag mit den the­ma­ti­schen Schwer­punk­ten Per­sön­lich­keits­bil­dung und Moti­va­tion. Sein Pro­gramm umfasst rund 700 lie­fer­bare Titel. Im Bereich Life­style erschei­nen Hard­co­ver und Taschen­bü­cher zu ver­schie­de­nen The­men. Und so kün­digt er das Buch, um das es hier geht, an: “Das Buch gibt allen Frauen Kraft, für ihr Leben und ihre Frei­heit ein­zu­ste­hen. Es ist die Geschichte einer unglaub­lich star­ken Frau.”

Ameneh Bahrami: Auge um Auge” hat 256 Sei­ten und ist ein Hard­co­ver-Band. Bevor ich auf den Inhalt ein­gehe, erlau­ben Sie mir einen Blick auf den Ein­band. Vorne direkt unter dem Titel steht: “Ein Ver­eh­rer schüt­tete mir Säure ins Gesicht. Jetzt liegt sein Schick­sal in mei­ner Hand.” Zwei Augen in einem ansons­ten mit einem Schleier ver­bor­ge­nen Gesicht sprin­gen dem Leser – bzw. der Lese­rin, denn Frauen sind die Ziel­gruppe –  ent­ge­gen. Der­lei Buch­ein­bände gibt es mitt­ler­weile viel­fach – ja, ist denn dem Ver­lag nichts Eige­nes eingefallen?

Auge um Auge” als Bestandteil des Alten Testaments und der Scharia

Aber sehen wir uns den Titel näher an: “Auge um Auge”. Wer kennt das Zitat nicht? Soweit so gut: der Ver­lag setzt auf zwei bekannte und in vie­len Men­schen umher­geis­ternde Vor­stel­lun­gen, um sein Buch zu ver­mark­ten und neu im Unter­be­wusst­sein zu ver­an­kern. Die Leute sol­len kau­fen! Das ist legi­tim, denn damit ver­dient ein Ver­lag sein Geld. Und er hat Recht: ver­mut­lich geht für eine kurze Zeit – denn län­ger reicht das Gedächt­nis und die Geduld der Leser nicht mehr – genau mit die­ser Kom­bi­na­tion die Rech­nung auf. Daran ver­dient hof­fent­lich auch die Autorin.

Auge für Auge (hebrä­isch עין תÖחת עין ajin tachat ajin) ist Teil eines Rechts­sat­zes aus dem Sefer ha-Berit (hebr. Bun­des­buch) in der Tora für das Volk Israel (Ex 21,23–25 EU). In der heu­ti­gen Umgangs­spra­che wird Auge für Auge über­wie­gend unre­flek­tiert als Aus­druck für gna­den­lose Ver­gel­tung ver­wen­det. Über­setzt als Auge um Auge (und zusam­men mit Zahn um Zahn) wird das Teil­zi­tat zur Anwei­sung an das Opfer oder seine Ver­tre­ter, dem Täter Glei­ches mit Glei­chem “heim­zu­zah­len” bzw. sein Ver­ge­hen zu süh­nen. Dass es ursprüng­lich auch im Alten Tes­ta­ment (2. Moses 21, 24) darum ging, Rache abzu­weh­ren und Gewalt zu begren­zen, ist nur weni­gen präsent.
Im Iran, dem Hei­mat­land der Erzäh­le­rin, ist auf­grund der rund 1300 Jahre alten Scha­ria-Gesetze, die bei vor­sätz­li­cher Tötung und vor­sätz­li­cher Kör­per­ver­let­zung das Ver­gel­tungs­prin­zip (“Qisas”) dar­stel­len, sogar vor­ge­se­hen, dass der Täter das erlei­den soll, was er sei­nem Opfer ange­tan hat.
Der Erzäh­le­rin wird nach einer Gerichts­ver­hand­lung eben die­ser Urteils­spruch zuteil, der­glei­chen vor­neh­men zu dür­fen.  Zwar darf sie für zwei ihrer Augen zunächst nur ein Auge des Täters blen­den, aber sie kann ja das zweite hin­zu­kau­fen. Eine Frau ist eben nur halb so viel wert wie ein Mann. Sie bekommt schliess­lich doch seine bei­den Augen…

Sich für ein Leben allein entschieden

Ameneh Bahrami - Islamismus-Säureopfer - Glarean Magazin
Einst jung und schön, heute ent­stellt und blind: Säu­re­op­fer Ameneh Bahrami

Ameneh ist eine junge Frau, die an der Freien Uni­ver­si­tät in Tehe­ran Elek­tro­tech­nik stu­diert. Vom Tscha­dor hält sie nicht viel: sie trägt lie­ber einen knie­lan­gen weis­sen Man­tel und ein Kopf­tuch. Damit macht sie sich natür­lich nicht nur Freunde, und setzt sich den Män­ner­bli­cken und auch so man­cher Anma­che aus. Im Jahre 2003 ist eine Frau im Iran alles andere als ham­sar und auf Augen­höhe eines Man­nes, und scheint am bes­ten in einer (wie auch immer arran­gier­ten) Ehe auf­ge­ho­ben. Die Nach-Kho­meini-Zeit – aber nicht nur diese – hat selt­same männ­li­che Exem­plare und ver­quer-men­schen­ver­ach­tende Ansich­ten her­vor­ge­bracht. Nun ist es nicht unge­wöhn­lich und über­ra­schend, dass in einer regle­men­tier­ten Gesell­schaft das Dunkle ungleich böser zum Aus­bruch drängt.
Nicht alle sind “infi­ziert”, aber eben viel zu viele. Ameneh kann sich damit nicht abfin­den und glaubt an die Mög­lich­keit eines selbst­be­stimm­ten Lebens. Sie hat für ihr Stu­dium gekämpft und sich mehr­fach bewor­ben, dann hat sie Jobs ange­nom­men, um sich die­ses Stu­dium zu finan­zie­ren – etwas, das Frauen im Wes­ten eben­falls ken­nen, denn auch uns wird nichts geschenkt. Sie hat einen jun­gen Mann, in den sie wirk­lich ver­liebt war, nicht gehei­ra­tet, weil er sich als eifer­süch­tig und kon­trol­lie­rend ent­puppte und sie am liebs­ten gleich in die Küche ver­bannt hätte. Sie hat sich für ein Leben allein ent­schie­den – für solange, bis der “Rich­tige” käme. Da beginnt ein um drei Jahre jün­ge­rer Mann, sie zu bedrän­gen – und das Ganze endet in der inzwi­schen welt­weit bekann­ten Kata­stro­phe: als sie ihn abweist, schüt­tet er ihr Säure ins Gesicht, sie erblindet.

Tragik medial ausgenützt

Was Ameneh Bah­r­ami durch­ge­macht hat, ist erschüt­ternd, da gibt es keine Dis­kus­sion. Was nur kön­nen Men­schen Men­schen antun! Und wieso lässt Gott das zu, warum lässt er zu, dass ein her­an­wach­sen­des Leben zer­stört wird und ein Mensch tie­fer und tie­fer fällt, bis auf den Grund sei­ner Men­schen­würde? Soll er daran zugrun­de­ge­hen oder soll er wach­sen? Ist das die Lek­tion des Lebens?
Ameneh bemerkt in ihrer Hilf­lo­sig­keit bald, wer Freund und wer Feind ist, sie lernt zu unter­schei­den, wer sie ver­steht, und wer scha­den­froh ist. Sie ist bewusst und sich ihrer eige­nen Emp­fin­dun­gen gewahr. Der Gedanke an Rache kommt dann auf, wenn man see­lisch über­for­dert ist und von der ande­ren Seite, die man selbst noch vor sich in Schutz zu neh­men beginnt, kei­ner­lei Reue kommt.
Das hätte ein gutes, ein gross­ar­ti­ges Buch über grund­sätz­li­che Fra­gen wer­den kön­nen. Nicht jedoch jetzt, zu die­sem Zeit­punkt, son­dern erst viel spä­ter. Amen­ehs Geschichte ist noch nicht zuende – die Medien haben sie ihr aber vor­schnell aus der Hand geris­sen. Die­ses Buch ist eine Chi­märe. Ein Ver­lag publi­ziert es mit der Her­aus­stel­lung des Lei­dens­we­ges einer Frau und lie­fert eine nur halb­wegs durch­ge­ar­bei­tete Geschichte.
Es gibt durch­aus Pas­sa­gen, in denen Ameneh Bah­r­ami anschau­lich und erfri­schend vom All­tags­le­ben in Hama­dan oder Tehe­ran erzählt. Ich bekomme ein Bild von die­sem Mäd­chen, das sich sei­nen Platz in der Welt erobern möchte. Es ist ein mensch­li­ches Bild, das sich in jedem Land der Welt ein­stel­len könnte. Über­all suchen junge Men­schen nach Selbst­be­stim­mung und Eigen­stän­dig­keit, Aner­ken­nung und Liebe ohne Bedingungen.

Emotionalität der Schilderungen kaum zu ertragen

Was Ameneh durchgemacht hat, ist erschütternd, da gibt es keine Diskussion. Doch dann sind da die gewollten Belehrungen und die ideologischen Knöpfe, die gedrückt werden. Die Emotionalität der Schilderungen ist vielfach kaum zu ertragen. Der Leser wird missbraucht und in eine Meinung gezwungen, anderes als hier geschrieben darf man nicht fühlen. Eine solch künstliche, amateurhafte Erzeugung von Spannung hätte die Geschichte nicht nötig gehabt...
Was Ameneh durch­ge­macht hat, ist erschüt­ternd, da gibt es keine Dis­kus­sion. Doch dann sind da die gewoll­ten Beleh­run­gen und die ideo­lo­gi­schen Knöpfe, die gedrückt wer­den. Die Emo­tio­na­li­tät der Schil­de­run­gen ist viel­fach kaum zu ertra­gen. Der Leser wird miss­braucht und in eine Mei­nung gezwun­gen, ande­res als hier geschrie­ben darf man nicht füh­len. Eine solch künst­li­che, ama­teur­hafte Erzeu­gung von Span­nung hätte die Geschichte nicht nötig gehabt…

Doch dann sind da die gewoll­ten Beleh­run­gen und die ideo­lo­gi­schen Knöpfe, die gedrückt wer­den. Natür­lich geht es um Lite­ra­tur – und das ist hier trotz guter Ansätze eben Betrof­fen­heits­li­te­ra­tur. Das zeigt sich im Erzähl­mo­dus ganz bestimm­ter Zei­tun­gen, die ein bestimm­tes Kli­en­tel bedie­nen. Die Emo­tio­na­li­tät der Schil­de­run­gen ist viel­fach kaum zu ertra­gen. Der Leser wird miss­braucht und in eine Mei­nung gezwun­gen, ande­res als hier geschrie­ben darf man nicht füh­len. An der Ver­wen­dung des Wor­tes “plötz­lich” übri­gens erkennt man die Anfän­ger, und die­ses Wört­chen taucht mir zu häu­fig auf. Eine solch künst­li­che, ama­teur­hafte Erzeu­gung von Span­nung hat die Geschichte nicht nötig.

Ameneh Bah­r­ami wün­sche ich, dass sie die nahende Zeit, in der das Inter­esse der Medien nach­las­sen wird, für sich nut­zen kann, um ihren Frie­den zu fin­den. Ihren Gross­va­ter habe ich übri­gens ins Herz geschlos­sen. Ob sie auf ihn hört? – “Was dir die Zukunft bringt, das frage nicht / Und die ver­gangne Zeit beklage nicht. / Allein das Bar­geld Gegen­wart hat Wert, / Nach dem, was war und sein wird, frage nicht.” (Omar Khay­yam)

Ameneh Bah­r­ami: Auge um Auge, MVG-Ver­lag, 256 Sei­ten, ISBN 978-3-86882-155-0

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Isla­mis­mus auch über Abdel­wa­hab Med­deb: Die Krank­heit des Islam

…sowie zum Thema Auf­klä­rung über: Georg Cavallar: Geschei­terte Aufklärung?

Ein Kommentar

  1. Man­che Teile Ihrer Ansicht kann ich unter­schrei­ben, Frau Dr. Afs­har, man­ches erscheint mir hin­ge­gen als Kri­tik etwas dif­fus. Und dass Sie mit der “Emo­tio­na­li­tät” des Buches ein Pro­blem haben, ist eigent­lich nicht das Pro­blem des Buches…
    Noch etwas: wenn auf irgend einem Buch­um­schlag die Ver­wen­dung eines “mus­li­mi­schen Augen­paa­res” mit Tscha­dor seine Berech­ti­gung hat, dann auf die­sem “Auge um Auge”: Denn wenn man im Inhalts­ver­zeich­nis (pdf auf der Ver­lags­seite) nach­schaut, fällt sofort auf, dass fast jedes Kapi­tel des Buches (natür­lich nicht zufäl­lig) “aufs Auge”, aufs “Sehen”, auf “Per­spek­ti­ven”, auf “Blick­win­kel”, auf “Augen­bli­cke”, auf “Aus­blick” etc. aus­ge­rich­tet ist. Hier sind Bild und Thema sehr wohl im Ein­klang!! Aller­dings haben Sie auch recht: das Motiv ist wirk­lich lang­sam abgenützt…
    Grüsse: Mahsa

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