Manfred Herbold: Der Schachtherapeut (1)

Die Schachspieler auf der Psycho-Couch

von Wal­ter Eigenmann

Spin­nen die Schach­spie­ler? Man­fred Her­bold, 42-jäh­ri­ger Real­schul­leh­rer im deut­schen Stauf und mit einer inter­na­tio­na­len FIDE-Rating­zahl von zur­zeit 2157 Elo sel­ber ein spiel­star­ker Tur­nier-Kämp­fer, ist davon – augen­zwin­kernd – über­zeugt. Und so setzte er sich schon vor Jah­ren an den Com­pu­ter und kre­ierte die (mei­nes Wis­sens erste und ein­zige) deutsch­spra­chige Web-Site für “Schach­the­ra­pie” – der in der Online-Szene inzwi­schen berühmte “Schach­the­ra­peut” war geboren.

Manrfed Herbold: Der Schachtherapeut (1) - SelbstverlagIn den  vir­tu­el­len “Pra­xis­räu­men” des Schach-Docs tum­meln sich seit­dem die beson­ders schwie­ri­gen Fälle unter der sel­te­nen, im Volks­mund als beson­ders intel­li­gent, um nicht zu sagen: beson­ders ver­rückt bekann­ten Spe­zies “Schach­spie­ler”. Des “Schach­the­ra­peu­ten” Sprech­zim­mer sind denn auch über­füllt mit skur­ri­len Typen, die Nie­der­la­gen par­tout nicht hin­neh­men kön­nen, oder mit Spie­lern, die sich auch im Leben das Schach­brett vor den Kopf schnal­len, und des “The­ra­peu­ten” Behand­lungs­pro­to­kolle strot­zen von uner­klär­li­chen Läu­fer- oder Springer-“Opfern”, von mys­te­riö­sen Vor­fäl­len auf oder neben dem Schach­brett, von absur­den mensch­li­chen Mons­trö­si­tä­ten aus der Schach-Geschichte und -Gegen­wart – kurzum: von alle­dem, was das König­li­che Spiel so fas­zi­nie­rend für Schach­spie­ler, so abscheu­lich für nor­male Men­schen macht.

Schach-Psychiater mit Humor und Sprachwitz

Nun ist der fabu­lier­freu­dige, sei­ner­seits schach­be­ses­sene, dabei mit viel Sinn für Humor, Sprach­witz und Selbst­iro­nie aus­ge­stat­tete Schach-Psych­ia­ter dazu über­ge­gan­gen, seine “Pra­xis­räume” zu erwei­tern: Unlängst publi­zierte er (im Selbst­ver­lag) den ers­ten Teil einer geplan­ten Buch-Tri­lo­gie: “Der Schach­the­ra­peut”. Auf 172 Sei­ten mit 40 Klein- oder Gross­ka­pi­teln wer­den dabei schier sämt­li­che Berei­che des Bret­tes, das für man­che die Welt bedeu­tet, durch­schrit­ten, durch­leuch­tet, durchlitten.

Manfred Herbold
Man­fred Herbold

Ob Schach­blind­heit oder Kaf­fee­haus­schach, ob Gross­meis­ter- oder Frau­en­schach, ob Com­pu­ter- oder Pat­z­er­par­tien, ob Schach-Elo oder Schach-Ego, ob Schach-Alea­to­ri­sches (alias “Chess960”) oder “Handy-Betrugs­schach”, ob Psy­cho­pa­thi­sches aus den längst ver­sun­ke­nen Zei­ten der Aljechins&Nimzowitschs oder Spin­ner­tes aus unse­ren Tur­nier-Tagen, ob Genia­les auf oder Wahn­sin­ni­ges neben den 64 Fel­dern: “Der Schach­the­ra­peut” kre­denzt ein glei­cher­mas­sen brei­tes wie amü­san­tes Sam­mel­su­rium. Vor­wort-Schrei­ber Geor­gios Sou­lei­dis, sei­nes Zei­chens Inter­na­tio­na­ler Meis­ter, bringt es auf den süf­fi­san­ten Punkt: “Nach vie­len Jah­ren in den Tie­fen des Net­zes und unzäh­li­gen The­ra­pie­sit­zun­gen, ins­be­son­dere mit sei­nem Dau­er­pa­ti­en­ten Lobrehd, hat er [Der Schach­the­ra­peut] seine Pro­to­kolle über die ver­wirr­ten Schach­krie­ger end­lich geord­net und prä­sen­tiert sie in gedruck­ter Form. Mit die­ser bahn­bre­chen­den Aus­rüs­tung gewapp­net ist jeder Schach­kämp­fer, egal ob Rekrut oder Front­sau, psy­cho­lo­gisch lücken­los gerüs­tet, um auf jedem Sch(l)ach(t)feld die­ses Erd­balls zu bestehen.”

Schach-Praxisassistent Frank Stiefel

Des Schach-Cartoonisten Frank Stiefels unnachahmliche Handschrift
Des Schach-Car­too­nis­ten Frank Stie­fels unnach­ahm­li­che Handschrift

Doch der Band wäre nur halb so köst­lich, hätte der Ober­arzt nicht noch einen beson­de­ren Assis­ten­ten in seine Pra­xis geholt, näm­lich den bekann­ten Schach-Car­too­nis­ten Frank Stie­fel. Des­sen vir­tuo­ser Zei­chen­stift kam unnach­ahm­lich auch in prak­tisch jedem Kapi­tel des “Schach­the­ra­peu­ten” zum Ein­satz, so dass Text und Bild einen gebün­del­ten Angriff auf bei­den Flü­geln der mensch­li­chen Schmun­zel­mus­ku­la­tur ent­fa­chen kön­nen. Gemein­sam bren­nen die bei­den Docs ein wah­res Kurio­si­tä­ten-Feu­er­werk ab, dem man – inmit­ten des all­jähr­li­chen Hee­res von eher tro­cke­nen, Theo­rie-las­ti­gen Schach­buch-Novi­tä­ten – einen mög­lichst gros­sen, mit dem nöti­gen Quan­tum an Sinn für Schach­witz und -Enter­tain­ment aus­ge­stat­te­ten Leser­kreis wünscht.

“Der Schach­the­ra­peut” von Man­fred Her­bold ist ein buch- wie druck­tech­nisch sehr schön, ja lie­be­voll gestal­te­tes, mit Schach-Kabi­nett­stück­chen jeder Cou­leur voll­ge­spick­tes Psycho-Schmun­zel-Opus für alle Schach- und Couch-Lagen

Zwei Wer­muts­trop­fen betr. die­ses gepflegte Hard­co­ver-Buch seien hier nicht ver­schwie­gen, näm­lich die feh­lende ISBN-Num­mer sowie der recht hohe Ver­kaufs­preis von 15 Euro (immer­hin inkl. Ver­sand). Beide Pro­bleme – als Resul­tate der bekann­ten Tat­sa­che, dass Schach­bü­cher stets für nur ein rela­tiv win­zi­ges, wenn­gleich “emsig-treues” Leser-Seg­ment pro­du­ziert wer­den – lies­sen sich mög­li­cher­weise bei den zwei nächs­ten, bereits kon­zi­pier­ten Fol­ge­pro­jek­ten (Der Schach­the­ra­peut Band 2 – “Rel­oa­ded” und Der Schach­the­ra­peut Band 3 – “Revo­lu­ti­ons”) umge­hen, indem man über eine moder­nere Ver­triebs­form, z.B. das “Book-on-Demand”-Verfahren nachdenkt?

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Alles in allem: “Der Schach­the­ra­peut” von Man­fred Her­bold ist ein buch- wie druck­tech­nisch sehr schön, ja lie­be­voll gestal­te­tes, mit  Schach-Kabi­nett­stück­chen jeder Cou­leur voll­ge­spick­tes Psycho-Schmun­zel-Opus für alle Schach- und Couch-Lagen – abseits staub­tro­cke­ner Eröff­nungs- oder End­spiel­theo­rie, und gleich­wohl mit einer Unmenge an Schach-Tipps und -Tricks ver­se­hen. Schach-Enter­tain­ment ers­ter Sahne – unbe­dingt ins pri­vate Schach­re­gal stellen! ♦

Man­fred Her­bold, Der Schach­the­ra­peut (Band 1 – Ab auf die Couch), 172 Sei­ten, Selbst­ver­lag 2009

Lesen Sie im Glarean Maga­zin über den zwei­ten Band von
Man­fred Her­bold: Der Schach­the­ra­peut 2 (Rel­oa­ded)

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