Georg Schwikart: Dichtersorgen (Satire)

Dichtersorgen

Georg Schwi­kart.

Es ist doch immer das Glei­che. Wenn ich in der Bade­wanne sitze, kom­men mir die bes­ten Gedan­ken für einen Roman. In der U-Bahn lie­gen mir die zar­tes­ten Gedichte auf der Zunge. Hun­de­müde im Bett ruhend, schreibt mein Geist sprit­zige Kurz­ge­schich­ten. Ich könnte die Reihe belie­big fort­set­zen. So fällt mir beim Spü­len ein, dass man zu bestimm­ten Sach­ver­hal­ten unbe­dingt Unter­su­chun­gen anstel­len müsste, oder in ein inter­es­san­tes Gespräch ver­tieft, über­fällt mich die lang gesuchte, tref­fende For­mu­lie­rung für einen Essay.
Auf den Punkt gebracht lau­tet also die Grund­re­gel: Immer genau dann, wenn weder Papier noch Schreib­ge­rät zur Hand sind, immer genau dann küsst mich die Muse.
Habe ich aber vol­ler Taten­drang an mei­nem Schreib­tisch Platz genom­men, um die Welt mit mei­nen geis­ti­gen Ergüs­sen zu beglü­cken, dann ist mir, als beherrschte ich nicht ein­mal das Schrei­ben. Mit den nun reich­lich vor­han­de­nen Fül­lern, Blei­stif­ten und Kugel­schrei­bern trak­tiere ich abwech­selnd sta­pel­weise Papier. Ich kritzle und male, schreibe das eine oder andere Wort, strei­che es wie­der durch – leer, das Papier bleibt leer. Weil der Kopf leer ist. Nichts, gar nichts will mir gelingen.
Nun, ich will mich inspi­rie­ren, schaue zum Fens­ter raus. Es ist schmut­zig. Schnell bli­cke ich wie­der aufs Papier. Es ist leer.
Ich giesse die Blu­men, die Ärms­ten waren schon ganz ver­trock­net. Ich begebe mich zurück zum Schreib­tisch, die­ser Fol­ter­stätte. Ich male einen Kreis auf das Blatt. Einen Punkt in die Mitte. Ich zer­knülle das Blatt und werfe es weg.
Einen Kaf­fee trinke ich, esse ein paar Plätz­chen. Mir geht es schon viel bes­ser. Mei­nen Schreib­tisch mag ich nicht mehr anse­hen. Ich setze mich zwar hin, doch eigent­lich igno­riere ich die­ses Möbel. Auch den Stift in mei­ner Hand ver­achte ich, ebenso die eigen­ar­tige Wort­kon­stel­la­tion, die er gerade zu Papier gebracht hat. Ich bin dafür verantwortlich.
Ich lese. Erst eine Zei­tung, dann in einem Buch. Durst habe ich, ach nein, Kaf­fee habe ich gerade erst getrun­ken. Die Blu­men sind auch schon gegos­sen, schade.
Ich betrachte mei­nen Schreib­tisch und tue so, als ginge ich zum ers­ten Male zu ihm. Hallo, alter Junge, begrüsse ich ihn. Doch er mag mich nicht.  Er bleibt stumm, wie mein Stift und das Papier. Ich hasse Papier.
Ich gehe zu Bett, gestresst, müde, depres­siv, zer­fal­len mit Gott und der Welt. Meine geschwäch­ten Glie­der genies­sen das ruhige Lie­gen auf der Matratze.
Da, als ich gerade froh bin, dass die­ser grau­same Tag ein Ende gefun­den hat – mir fal­len die Augen zu, ich weiss nicht mehr, in wel­cher Lage ich mich befinde -, da kom­men sie: Ein­fälle über Einfälle.
Ich bin über mich selbst begeis­tert. Phan­tas­tisch! Gelun­gen! Ich schlafe ein.
Aus mir hätte ein gros­ser Schrift­stel­ler wer­den kön­nen. Sei’s drum. ♦


Georg Schwikart - Glarean MagazinGeorg Schwi­kart

Geb. 1964 in Düs­sel­dorf, Stu­dium der Reli­gi­ons­wis­sen­schaft, Theo­lo­gie und Volks­kunde, Pro­mo­tion; zahl­rei­che bel­le­tris­ti­sche und essay­is­ti­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen für Erwach­sene und Kin­der in Zei­tun­gen, Zeit­schrif­ten und Antho­lo­gien, ver­schie­dene Bei­träge für Radio und Fern­se­hen, Lei­ter von Lite­ra­ri­schen Werk­stät­ten, lebt als freier Schrift­stel­ler und Publi­zist in St. Augustin/BRD

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch die Satire von Her­bert Fried­mann: Im Literaturhaus

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)