Diogenes-Verlag: Tintenfass Nr. 31 (Satiren)

Was zum Teufel ist mit Gott los?“

von Walter Eigenmann

In sei­ner 31. Aus­ga­be (!) will jetzt das le­gen­dä­re, im Schwei­zer Dio­ge­nes-Ver­lag jähr­lich zur Frank­fur­ter Buch­mes­se frisch auf­ge­füll­te „Tin­ten­fass“ ganz hoch hin­aus. Ge­nau ge­nom­men bis in den Him­mel – al­ler­dings mit ge­le­gent­li­chen Ab­ste­chern zur Höl­le. Denn das just er­schie­ne­ne neue „Ma­ga­zin für den über­for­der­ten In­tel­lek­tu­el­len“ wid­met sich de­zi­diert ei­ner Fra­ge, die ge­ra­de In­tel­lek­tu­el­le seit Nietz­sches Be­fund, dass Gott tot sei, per­ma­nent (über-)fordert: „Was zum Teu­fel ist mit Gott los?“

Das Who-is-Who der -ismen

Tintenfass Nr. 31 - Was zum Teufel ist mit Gott los - Diogenes Verlag - Glarean MagazinEine Fra­ge wahr­lich gott-lo­sen, ja teuf­li­schen Aus­mas­ses, und eine, die zu be­ant­wor­ten man eine Ar­ma­da von Geis­tes­grös­sen al­ler Zei­ten, Kon­ti­nen­te und Sti­le auf­zu­fah­ren ge­zwun­gen ist. Was die bei­den Her­aus­ge­ber Da­ni­el Kam­pa und Win­fried Ste­phan denn auch 414 üp­pig voll­ge­schrie­be­ne und -ge­zeich­ne­te Buch­sei­ten lang tun. Das Au­toren­ver­zeich­nis liest sich bei­na­he wie das Who-is-Who des The­is­mus, Athe­is­mus und Agnos­ti­zis­mus der neue­ren Geis­tes­ge­schich­te. Da steht ein Ge­spräch mit Bern­hard Schlink über „Ethik­un­ter­richt in der Schu­le“ ne­ben ei­nem Auf­satz von Lud­wig Mar­cu­se über „Kann man heu­te noch be­ten?“; Sa­ti­ren wie H.G. Wells‘ „Jim­my Glotz­au­ge, der Gott“ ne­ben Tief­grün­di­gem wie Marc Au­rels „Selbst­be­trach­tun­gen“; Chap­lins be­rühm­te Schluss­re­de aus sei­nem „Dik­ta­tor“ ne­ben Les­sings noch be­rühm­te­rer „Ring­pa­ra­bal“; ein In­ter­view mit Woo­dy Al­len („Kunst ist der Ka­tho­li­zis­mus der In­tel­lek­tu­el­len“) ne­ben ei­nem viel­sei­ti­gen Sam­mel­su­ri­um von „ehr­fürch­ti­gen und we­ni­ger ehr­fürch­ti­gen“ Ge­be­ten von Te­re­sa v. Avila bis Hans M. En­zens­ber­ger; oder der „Brief aus dem Ge­fäng­nis“ von KZ-Op­fer Graf von Molt­ke ne­ben Pro­sa-ischem der Re­gis­seu­rin Do­ris Dör­rie („Bur­ber­ry-Blues“).

Sinnstiftendes und Übersinnliches

Karikaturist Bosc: Zurechtlegung des Glaubens (Tintenfass Nr. 31 - Diogenes Verlag)
Ka­ri­ka­tu­rist Bosc: Zu­recht­le­gung des Glau­bens (Tin­ten­fass Nr. 31 – Dio­ge­nes Verlag)

Das Mot­to des neu­en „Tin­ten­fas­ses“, näm­lich „Sinn­stif­ten­des und Über­sinn­li­ches“, ver­spricht also kei­nes­wegs zu­viel. Kommt noch hin­zu, was in den Dio­ge­nes-Tin­ten­fäs­sern im­mer hin­zu­kommt, näm­lich eine Fül­le von ex­qui­sit-hand­ver­le­se­nen Zeich­nun­gen, Car­toons und Il­lus­tra­tio­nen, wel­che dem re­li­giö­sen Wort dort wei­ter­hel­fen, wo es Bil­der braucht. Und sei­en es sol­che re­spekt- bis pie­tät­lo­sen Schwarz-Weiss-Ma­li­ziö­si­tä­ten wie bei­spiels­wei­se von Bosc (oben) oder Un­ge­rer (links).

Karikaturist Tomi Ungerer: Anbetung des Autos (Tintenfass Nr. 31 - Diogenes Verlag)
Ka­ri­ka­tu­rist Tomi Un­ge­rer: An­be­tung des Au­tos (Tin­ten­fass Nr. 31 – Dio­ge­nes Verlag)

Wo­bei die sti­lis­ti­sche und in­halt­li­che Viel­falt des Bild-ne­ri­schen je­nem des Wort-li­chen in nichts nach­steht. Je­den­falls „zeich­net“ ein wahr­haft bun­ter Hau­fen von (teils be­rühm­ten) hu­mo­ris­ti­schen Phi­lo­so­phen und phi­lo­so­phie­ren­den Hu­mo­ris­ten für das Un­sin­ni­ge im schein­bar Sin­ni­gen ver­ant­wort­lich; die­ses „Tin­ten­fass“ ist nicht nur tief, son­dern auch breit.
Wer also nicht Theo­lo­gie-Sys­te­me, son­dern den süf­fi­san­ten Wi­der­spruch, und nicht kit­schi­ge Pie­tà, son­dern kri­ti­sche Nach­denk­lich­keit, und schon gar nicht re­li­giö­sen Ge­hor­sam, son­dern auf­ge­klär­te Ehr­furcht ver­bun­den mit ver­ständ­nis­vol­lem Au­gen­zwin­kern fürs Mensch­lich-All­zu­mensch­li­che sucht, der liegt ge­nau rich­tig mit die­sem ein­drück­li­chen, edi­to­ri­al sehr ge­lun­ge­nen Pan­op­ti­kum „über Gott und die Welt“.

Tin­ten­fass (Ma­ga­zin für den über­for­der­ten In­tel­lek­tu­el­len), Nr.31 (Was zum Teu­fel ist mit Gott los), Dio­ge­nes Ver­lag, 416 Sei­ten, ISBN 978-3-257-22031-5

Le­sen Sie im Glar­an Ma­ga­zin auch von Wal­ter Ei­gen­mann: Über die Satire

… so­wie in der Ru­brik „Wer bin ich?“ die Car­toons vom Ok­to­ber 2008: Ein Ab­grund an Visionen

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)