“Jede neue Partitur sieht in die Zukunft”
Bernhard Lang befragt von Jakob Leiner
Bernhard Lang wurde 1957 in Linz geboren, und der 65-jährige Komponist weist aktuell ein nicht nur zahlenmäßig, sondern auch stilistisch beeindruckendes Oeuvre vor. Der mehrfach ausgezeichnete und häufig aufgeführte Komponist schreibt für den Konzertsaal, für das Musiktheater und für den Film.
Glarean Magazin: Guten Tag, Herr Lang, wie verhält sich aktuell das Wetter dort, wo Sie gerade sind?
Bernhard Lang: Überraschende Frage – der Jahreszeit entsprechend.

Als Komponist können Sie auf ein in seiner Vielfalt geradezu betörendes Gesamtwerk zurückblicken, das sich natürlich noch weiter fortsetzt. An was arbeiten Sie derzeit?
Ich arbeite derzeit an Radical Loops, einem Stück für 6 Violinen, Schlagzeug und Playback.
Sie sind im Jazz und elektronischer Musik genauso zu Hause wie in der zeitgenössischen Avantgarde. Langweilt Sie die Etikettierung von Musik oder halten Sie sie für notwendig?
Kategorisierungen muss man rational bzw. wissenschaftlich begründen: Solange es solche objektiven Begründungen gibt, sind Differenzierungen sinnvoll, wenn nicht, sind sie redundant.
Sie arbeiten häufig mit Stilmitteln der Recyclage, der “Über- und Fortschreibung”. Aus welcher musikhistorischen Haltung heraus komponieren Sie?
Die Überarbeitung/Überschreibung ist eines der ältesten Prinzipien in der Geschichte der notierten Musik und reicht bis zum Gedanken des Remixens (vgl. die Transformation eines römischen Chorals in die Tenorstimme eines Messesatzes).
Welchen Raum nimmt die Ironie samt Schattenseiten in Ihrer Arbeit ein?
Ironie ist ein romantischer Begriff und geht von der Erkenntnis eines verlorenen Ideals aus; explizit spielt das eher in den Musiktheatern eine Rolle, etwa im Reigen. Die “Schattenseite” der Ironie müsste man vielleicht zuvorderst erst definieren.
“Playing Trump” heißt eine Ihrer sogenannten “Cheap Operas”, deren Uraufführung begeistert aufgenommen wurde. Was liegt Ihnen näher: Vernichtungswut oder Spieltrieb?
Vernichtungswut ist mir unbekannt, Spieltrieb motorisiert mich allezeit, jedoch in Kombination mit sehr strengen strukturellen Überlegungen.
Ein weiterer Aspekt Ihrer Karriere ist die umfangreiche Lehrtätigkeit u.a. an der Kunstuniversität Graz. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Zukunftsherausforderungen für künstlerisch ausbildende Institutionen?

Die größte Herausforderung ist sicherlich, dass die kommenden Generationen zunehmend den Bezug zum eigenständigen Produzieren von Musik verlieren, Singen, Spielen, Üben inbegriffen: Die notwendige Disziplin am Instrument wird jetzt vehement von Handy und vor allem von der Playstation konkurriert. Wer aber selbst keine musikalische Ausbildung hat, dem wird immer der Zugang zu komplexeren Musikformen fehlen.
Das Multidisziplinäre scheint für Sie von besonderem Reiz zu sein, insbesondere die Beschäftigung mit Tanz und Tanztheater. Was kann körperlich ausgedrückt werden, was der Musik fehlt?
Ich würde eher formulieren: Tanz kann in der Musik bereits vorhandene Momente verstärken, etwa Bewegung.
Gibt es wiederkehrende Routinen, wie Sie sich einem Stoff künstlerisch nähern?
Ja, das vorausgehende wissenschaftliche Studium der Texte, deren Analyse.
Der mehrfach ausgezeichnete und häufig aufgeführte Komponist schreibt für den Konzertsaal, für das Musiktheater und für den Film.
Sie studierten ebenso Philosophie und Germanistik, sind also durchaus text- und schriftaffin, was sich ebenso in Ihren zahlreichen Vertonungen niederschlägt. Zuerst das Wort, dann die Musik?
Das lässt sich nicht auf alle Stücke und Genres verallgemeinern, im Falle des Musiktheaters ist es sicher der Text, der vorangeht, wenn nicht zuerst schon ein Konzept im Raum steht. Bei einem Stück für Orgel ist es dann etwa der Klang, der das Konzept formt.
Für unsere jüngere Leserschaft: Welcher Rapper / welche Rapperin wäre Ihre Herzensempfehlung?
Tricky, Snoop Dog, Cypress Hill.
Herr Lang, wie klingt eigentlich die Musik der Zukunft?
Jede neue Partitur sieht in die Zukunft. ♦
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