Klaus Modick: Fahrtwind (Roman)

Modernisiertes Italien-Fernweh

von Christian Busch

Klaus Modicks neuer Roman “Fahrt­wind” ist eine roman­ti­sche Reis­er­zäh­lung und eine Remi­nis­zenz an Eichen­dorffs berühmte “Tau­ge­nichts“-Novelle, die das Ita­lien-Rei­se­fern­weh in die Sieb­zi­ger Jahre trans­po­niert, in des Autors eigene Studienzeit.

Klaus Modick: Fahrtwind, Roman, Kiepenheuer & Witsch Verlag 2021Wem Gott will rechte Gunst erwei­sen / Den schickt er in die weite Welt. / Dem will er seine Wun­der wei­sen / In Berg und Wald und Strom und Feld!” Mit die­sen Zei­len stürzte sich vor unge­fähr 200 Jah­ren Joseph Frei­herr von Eichen­dorffs berühm­ter, längst zur lite­ra­ri­schen Legende und zum Sinn­bild deutsch-roman­ti­scher Ita­lien-Sehn­sucht gewor­de­ner Tau­ge­nichts in sein Rei­se­aben­teuer, das ihn über Wien bis nach Rom und in die Arme sei­ner Gelieb­ten führt.
Wer kennt nicht die zum Para­digma roman­ti­sier­ter Rei­se­lust sti­li­sierte Ein­lei­tung der Künst­ler­no­velle, in wel­cher der gestrenge Vater sei­nen fau­len­zen­den, musik­ver­lieb­ten Herrn Sohn und Müßig­gän­ger in die Welt hinausschickt:
“Du Tau­ge­nichts! da sonnst du dich schon wie­der und dehnst und reckst dir die Kno­chen müde und läßt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht län­ger füt­tern. Der Früh­ling ist vor der Tür, geh auch ein­mal hin­aus in die Welt und erwirb dir sel­ber dein Brot.” – “‘Nun”, sagte ich, “wenn ich ein Tau­ge­nichts bin, so ists gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.’ Und eigent­lich war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vor­her sel­ber ein­ge­fal­len, auf Rei­sen zu gehen…'”.

Folie für eine Modernisierung

Novellen-Dichter mit Modernisierungs-Potential: Joseph Freiherr von Eichendorff
Novel­len-Dich­ter mit Moder­ni­sie­rungs-Poten­tial: Joseph Frei­herr von Eichendorff

In Klaus Modicks neuem Roman “Fahrt­wind”, der bereits zum “Spiegel”-Bestseller avan­ciert ist, dient nun, wie der Autor bereits im Vor­wort frei­mü­tig bekennt, Eichen­dorffs Erzäh­lung als Folie für eine Moder­ni­sie­rung. Modick ver­legt seine Geschichte in die Sieb­zi­ger Jahre, seine eigene Stu­den­ten­zeit – und scheint seine Jugend nach­ho­len zu wol­len. Er ist nun ein auf den sin­ni­gen Namen Mül­ler getauf­ter Stu­dio­sus vaga­bun­di­cus, der kurz nach dem Abitur sorg- und ziel­los auf­bricht, um dem gere­gel­ten, bür­ger­li­chen Leben der Spie­ßer und Phi­lis­ter zu ent­kom­men (“Die Trä­gen, die zu Hause lie­gen / Erqui­cket nicht das Mor­gen­rot / Sie wis­sen nur vom Kin­der­wie­gen / Von Sor­gen, Last und Not um Brot”).
Aus der Mühle wird der Klemp­ner­be­trieb, aus der Geige die Gitarre, aus der Wan­der­schaft eine Tramp­tour, aus der Kut­sche der bei­den vor­neh­men Damen ein “Mer­ce­des Roads­ter 107”, aus dem Schloss bei Wien ein Schloss­ho­tel und aus den bei­den frem­den Wan­de­rern zwei homo­phile, ver­meint­lich mit Dro­gen dea­lende Easy-Rider-Cyclis­ten – und so wei­ter. Stil­si­cher wer­den – mit einer Prise nar­ko­tisch wir­ken­der Pilze und ande­rer Grä­ser ange­rei­chert – Kulis­sen und Reli­quien aus­ge­tauscht. Deren Flair erschließt sich wei­ter durch die Pop­songs, die als Motti über den Kapi­teln ste­hen, und durch die gele­gent­li­che Erwäh­nung von RAF und Roten Bri­ga­den. Tief­ge­hen­der und sozi­al­kri­ti­scher war das bei Eichen­dorff auch nicht.

Stimmung, Rhythmus und schwebende Leichtigkeit

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Auch wenn der Ich-Erzäh­ler bei sei­nen eige­nen Dich­tun­gen an seine Gren­zen stößt, wird abso­lut flott fabu­liert. Fast scheint es so, als habe er Eichen­dorffs Ori­gi­nal­text durch eine moderne Über­set­zungs­ma­schine gejagt, die alles trans­po­niert, ohne Stim­mung, Rhyth­mus und die schwe­bende Leich­tig­keit zu ver­lie­ren. Mit ebenso leicht­fü­ßi­gem Charme und schwin­del­erre­gen­der Ver­spielt­heit ent­ste­hen tos­ka­ni­sche Gar­ten­land­schaf­ten und die von Zypres­sen und Oli­ven­hai­nen gesäum­ten arka­di­schen Sehn­suchtsorte der roman­ti­schen Seele.

Schriftsteller Klaus Modick (Geb. 1951 in Oldenburg/D)
Schrift­stel­ler Klaus Modick (Geb. 1951 in Oldenburg/D)

Das ist wirk­lich ver­blüf­fend und wäre ein span­nen­des Thema für eine ger­ma­nis­ti­sche Semi­nar-Arbeit, denn auch die Zeich­nung des über­wie­gend eins zu eins über­nom­me­nen Figu­ren-Inven­tars gelingt in ihrer nai­ven, aber direk­ten und poin­tier­ten Art – auch unter gänz­li­cher Wah­rung der roman­ti­schen Iro­nie. Und doch dürfte den Leser Klaus Modicks gekonnte Hom­mage und Remi­nis­zenz an Eichen­dorffs Künst­ler­epi­sode nur halb zufrie­den­stel­len. Denn bei aller Ver­gnüg­lich­keit bleibt die Geschichte doch allzu sehr eine scha­blo­nen­hafte Imi­ta­tion – ohne, dass Reise-, Lebens- und Lie­bes­mo­tive irgend­eine Aktua­li­sie­rung, Ver­tie­fung oder Erwei­te­rung erfahren.

So beschert “Fahrt­wind” zwei­fel­los ein beträcht­li­ches Lese­ver­gnü­gen und nicht nur in Corona-Zei­ten ein sinn­li­ches Ita­lien-Erleb­nis, hin­ter­lässt bei dem lite­ra­risch ambi­tio­nier­te­ren Leser, viel­leicht auch bei dem genauen Ken­ner der Eichendorff’schen Vor­lage jedoch auch eine gewisse Rat­lo­sig­keit dar­über, dass nach 200 Jah­ren am Ende ein­fach “alles, alles gut” ist. Aber lesen Sie selbst, denn lesens­wert ist der neue Modick allemal! ♦

Klaus Modick: Fahrt­wind (Roman), 208 Sei­ten, Ver­lag Kie­pen­heuer & Witsch, ISBN 978 3462001303

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Lite­ra­ri­sche Roman­tik auch über den Roman von Ger­win van der Werf: Der Anhalter

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